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Münchener Freiheit   29.03.2014   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Zwei Jahre nach den ersten Konzerten als Ersatz für Stefan Zauner ist Jörg-Tim Wilhelm immer noch Sänger bei der Münchener Freiheit - ein allseitiges Zurückrudern und Wiedervereinigen hat also bisher nicht stattgefunden und wird, sofern es keinen externen Druck gibt, wohl auch nicht stattfinden. Als möglicher Druckfaktor käme eine "Abstimmung mit den Füßen" seitens des Publikums in Frage - diesbezüglich bleibt dieser Abend in der Chemnitzer Stadthalle aber nicht als eindeutiges Symbol deutbar: Es sind augenscheinlich weniger Besucher als beim letzten MF-Gig, den der Rezensent an gleicher Stelle erlebt hat, anwesend, aber der Schwund ist nicht so extrem, daß man sich als Band akut Gedanken machen müßte, was man hier gerade tut. Und die Versammelten machen auch durchaus gut Stimmung, wenngleich in einer so voluminösen Halle natürlich kein so druckvoller Chorgesang zustandekommt wie etwa 2012 im deutlich kleineren Gasthof Kosma.
Nun ist in der Zwischenzeit allerdings noch etwas passiert: "Mehr", das erste Studioalbum mit Tim am Gesang, ist erschienen, und die Gigs dienen logischerweise der Promotion dieses neuen Albums und nicht mehr explizit der Einführung und Positionsbestimmung Tims als neuer Frontmann. Ergo war naturgemäß mit einer veränderten Setlist zu rechnen, und diese Theorie trifft auch zu, wobei es der Überraschungen einige gibt, zumindest für den Rezensenten, der die Band 2013 erstmals seit 2004 in einem Jahr nicht live gesehen hat und folglich nicht weiß, ob zwei der Überraschungen möglicherweise schon in den vor dem herbstlichen Albumrelease angesiedelten Gigs dieses Jahres zutagegetreten waren. Zunächst jedenfalls bleibt alles beim alten: Auf ein Intro verzichtet die Band, Rennie kommt einfach auf die Bühne und beginnt Drums zu spielen, woraus sich schrittweise "S.O.S." entwickelt, gefolgt von "Tausendmal Du". Nach diesen beiden Songs sind bestimmte Dinge schon mal klar: Erstens ist das Klanggewand sehr druckvoll (wenngleich nicht ganz so druckvoll wie 2009 in Wernesgrün) und ziemlich laut, aber trotzdem sehr klar; lediglich Alex' Keyboards stehen an einigen wenigen Stellen einen Tick zu weit im Hintergrund, und Tims Leadmikro ist oft auffällig leise eingestellt, so daß speziell Aron in den mehrstimmigen Passagen eine sehr dominante Rolle übernimmt. Der Grund für letzteren Aspekt wird nicht offen angesprochen, aber trotzdem klar: Tim schleppt eine heftige Erkältung mit sich herum, greift sogar zwischen den Strophen sehr häufig zur Wasserflasche und gibt nach fast jedem Song wilde Hustgeräusche von sich, die die Mikrofone bisweilen auch über die Anlage hörbar machen. Da ist es nur zu verständlich, wenn er sich in den chorischen Passagen ein wenig nach hinten fallen und entlasten läßt - was er in seinen solistischen Passagen leistet, ist trotzdem aller Ehren wert, und so paradox das klingt: Seine Erkältung macht in den wenigen Passagen, wo man sie anhand einer geringfügig angerauhten Artikulation hört, sogar einen gewissen Charme aus, indem sie seiner doch recht weichen Stimme einen leicht kratzbürstigen Touch verleiht. Erstaunlicherweise führt die Erkältung kaum zu Tontreffsicherheitsproblemen, auch wenn natürlich die eine oder andere Gesangslinie etwas "flächiger" gerät, als sie das wohl im gesunden Zustand des Sängers geworden wäre. Hochachtung also vor der Leistung Tims an diesem Abend - nicht wenige Kollegen hätten vermutlich eher zu einer Absage des Konzertes tendiert. Daß der Sänger auch wieder ein purer Aktivposten ist, versteht sich mittlerweile von selbst - er hat sich zu einer richtigen Rampensau entwickelt, nutzt die ganze Größe der Bühne und hat mittlerweile auch ein besseres Gespür, wann man welche Ansage in welchem Stil bringt. Auch die Mitklatsch- und Winkaufforderungen dosiert er mittlerweile besser, wenngleich da hier und da immer noch ein wenig Hyperaktivität zu diagnostizieren ist. Daß er bei einigen Songs Akustikgitarre spielt, ist ebenfalls beibehalten worden, interessanterweise aber nicht bei "Liebe auf den ersten Blick", sondern bei "Energie", dazu wie üblich bei "Tausend Augen" und als Neuzugang auch bei "Die neue Freiheit", einem von insgesamt fünf Songs der neuen Scheibe "Mehr" in der Setlist. Der Rezensent kennt die Studiofassung von "Mehr" noch nicht, lediglich die erste Single "Meergefühl", die ihn noch nicht so richtig zu überzeugen wußte - aber er stellt überrascht fest, daß gerade dieser Song, plaziert gleich an Setposition 3, in der Livefassung einen enormen Drive entfaltet, sozusagen "viel Zug zum Tor" auf die Bühne bringt. Das gelingt nicht allen der Neulinge, wobei hier wie gesagt noch keine Meinungsbildung bezüglich der Studiofassungen stattgefunden hat. Komplett überzeugen kann nach einmaligem Hören jedenfalls keine der vier Liveversionen, obwohl fast alle durchaus bestimmte Qualitäten haben. Nehmen wir mal "All die Jahre" her: Ein starker hymnischer Refrain wird von eher unauffälligen Strophen flankiert, und das zumindest live richtig qualmende Hammondsolo von Alex findet ein eher unmotiviert wirkendes Ende. "Magnet" bleibt vorerst nur anhand der interessanten Bridge, die zu einer Verzögerung des Refraineinsatzes führt, im Gedächtnis haften, "Irgendwo da draußen" fällt erstmal gar nicht weiter auf, und "Die neue Freiheit" besitzt ein stimmungsvolles Gitarrensolo, das den gedanklichen Boden für den in der Setlist folgenden Song bereitet: "Sommernachtstraum" ist in der grandiosen Extended Version positiverweise nach wie vor am Start, diesmal mit noch etwas ausgebautem Vorher-Solo von Alex. Auch "Katrin" (mit enormer Spielfreude!) und "Kalt oder heiß" haben sich als Auswechselkandidaten noch im Set gehalten, dafür verzichtet die Band interessanterweise auf "Oh Baby" und das vom Rezensenten sowieso wenig geschätzte "Ich will dich nochmal". Pluspunkt dafür - Minuspunkt statt dessen für die Entscheidung, die zwar der alten Bandfassung überlegene, aber dennoch alles andere als gute Neufassung von "Solang man Träume noch leben kann" in der Form, wie man sie schon Ende 2012 gehört hat, zu spielen und nicht wieder auf den Geniestreich, die Originalfassung als Outro vom Band laufen zu lassen, zurückzugreifen. Auch im eher selten veränderten hinteren Setteil gibt es diesmal zwei Neuerungen. Zwar geht der Hauptset wie gewohnt mit "Ohne dich (schlaf' ich heut' nacht nicht ein)" und dem enorm druckvollen "Ich steh' auf Licht" zu Ende, aber als erste Zugabe gräbt die Band "So heiß" aus - eine gelungene Überraschung (und im stimmlichen Zustand von Tim muß man sich diesen Song an dieser Stelle erstmal trauen, aber er bewältigt auch die hohen Passagen im Refrain ohne hörbare Schwierigkeiten), der dann wie gewohnt "Bis wir uns wiedersehn" folgt. Und dann ... tja, und dann ist Schluß. Zwar hatte die Band 2012 in Kosma (es war der letzte Gig des besagten Jahres) angekündigt, man spiele an diesem Abend zum letzten Mal die Instrumententauschzugabe "I Love Rock'n'Roll", aber das hatte wohl jeder so verstanden, als ob es beim nächsten Mal dann mal wieder einen neuen Song an dieser Stelle gäbe. Der Rezensent hat bekanntlich die 2013er Gigs nicht miterlebt und kann daher nicht sagen, ob dieser eigentlich feste Showbestandteil (der nur bei wenigen Stadtfesten weggefallen war) auch dort schon gestrichen worden war. Schade drum ist's definitiv, und Tims stimmliche Angeschlagenheit kann an diesem Abend auch nicht der Grund für die Streichung gewesen sein, denn er hätte da ja nicht singen, sondern "nur" Schlagzeug spielen müssen. So ist der Gig diesmal auch kürzer als gewohnt - keine zwei Stunden, sondern "nur" 105 Minuten, aber die wenigstens in gewohnt hoher Qualität und mit einer phasenweise recht psychedelischen Lichtshow ausstaffiert (will man Teile des Publikums schon auf The Australian Pink Floyd Show fünf Tage später an gleicher Stelle vorbereiten? :-)). Kuriosum am Rande: Der Soundmensch spielt als vorletzten Song der Pausenmusik vor Showbeginn ausgerechnet "Always On My Mind" der Pet Shop Boys, das ja das überdeutliche Vorbild für "Meine Königin" vom MF-Albumvorgänger "Ohne Limit" abgegeben hatte ...

Setlist:
S.O.S.
Tausendmal Du
Meergefühl
Herzschlag ist der Takt
All die Jahre
Wenn das so einfach ist
Magnet
Kalt oder heiß
Die neue Freiheit
Sommernachtstraum
Irgendwo da draußen
Energie
Liebe auf den ersten Blick
Tausend Augen
Katrin
Herz aus Glas
Solang man Träume noch leben kann
Ohne dich (schlaf' ich heut' nacht nicht ein)
Ich steh' auf Licht
---
So heiß
Bis wir uns wiedersehn



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