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Therion, Arkona, Sound Storm, Heavenshine   13.12.2013   Jena, F-Haus
von rls

Das Leben geht manchmal doch kuriose Wege: Eine Combo namens The Devil sollte eigentlich als erster Support dieses Packages spielen, aber der Bandnamensgeber machte seinem schlechten Ruf alle Ehre und "seiner" Band die Tour zunichte. Der Ersatz Heavenshine kommt namentlich von der "Gegenseite", aber das rettet ihn auch nicht vor gewisser Unbill: 20.30 Uhr soll das Konzert laut F-Haus-Homepage beginnen, aber 20.12 Uhr, so berichtet ein bereits früher anwesender Bekannter des Rezensenten, müssen die Italiener bereits auf die Bühne. Der Rezensent wiederum ist kurz vor 20.30 Uhr vor Ort, aber da es bezüglich seiner Akkreditierung irgendwo eine Kommunikationslücke gegeben haben muß und sich die Klärung ein wenig hinzieht, entgeht ihm der komplette Gig der Band, von dem abgesehen, was er, neben der Abendkasse wartend, aus den geöffneten Saaltüren zu hören bekommt. Das ist zwar natürlich prinzipiell unbewertbar, hört sich aber nicht uninteressant an, und der besagte Bekannte zeigt sich begeistert und attestiert der Sängerin sogar Früh-Tarja-Niveau, während der männliche Counterpart zumindest draußen vor der Tür doch etwas schräg klingt. Passenderweise covert die Truppe dann auch noch "Phantom Of The Opera" und erntet durchaus gute Resonanzen.
Die nächste Band, Sound Storm, erlebt der Rezensent dann auch direkt von Angesicht zu Angesicht. Prinzipiell hinterläßt die Combo einen engagierten Eindruck, die Spielfreude ist durchaus sichtbar, auch wenn der Sänger mit seiner Optik eher ans Mikro einer Glam-Gothic-Truppe passen würde und im Kontext des hier gebotenen Italometals einen merkwürdigen Eindruck hinterläßt. Das Problem besteht darin, daß man die Spielfreude zwar sehen, aber nicht hören kann. Der Sound besteht in den ersten zwei Songs aus den Leadvocals beider daran Beteiligter (auch Sound Storm haben eine gemischte Doppelspitze), der Gitarre, sofern sie Leads spielt, den Drums und einem undefinierbaren Grundgeräusch. Danach schafft es der Soundmensch, die Rhythmusgitarre und die Keyboards wenigstens latent erahnbar zu machen (letztere bestreiten zudem einige Intros im Alleingang), allerdings um den Preis, daß der vorher klar vernehmbare Leadgesang jetzt auch noch in dem undefinierbaren Grundgeräusch zu versinken droht (oder dieser Gefahr sogar unterliegt). Der Gitarrist hat übrigens auch noch ein Gesangsmikrofon vor sich stehen, aber daß er da hier und da herzhaft hineinbrüllt, ist auch eher zu erahnen als wirklich zu hören. Das leicht pathetisch wirkende Auftreten scheint zum Grundkonzept zu gehören (Italometal ist ja grundsätzlich so etwas wie die Umsetzung italienischer Oper mit metallischen Mitteln), aber da man den musikalischen Teil des Grundkonzeptes unter den gegebenen Bedingungen kaum analysieren kann, bleibt das Pathos zwangsweise hohl und der vielleicht 40minütige Auftritt folglich unbewertbar.
Ganz und gar nicht unbewertbar ist der Arkona-Auftritt: Die russische Band hat sich durch fleißiges Touren einen enormen Bekanntheitsgrad erspielt und fährt auf dieser Grundlage auch an diesem Abend einen Fast-Start-Ziel-Sieg ein - nur fast, weil die Stimmung während der ersten sieben Songs zwar schon sehr positiv, aber noch nicht richtig ausgelassen ist. Es erklingt in diesen Songs starker angedüsterter Metal mit Folktouch, interessant strukturiert und auch gesanglich sehr vielfältig, wobei die wie üblich mit einem Wolfsfell behangene und wild über die Bühne springende Mascha Archipowa fast die komplette Vielfalt aus ihrer eigenen Kehle holt, nur gelegentlich unterstützt von ihren Mitmusikern. Deren Zahl hat sich im Vergleich zu 2010, als der Rezensent die Band zum ersten und bisher einzigen Mal live sah, um 1 vergrößert: Ein fester Dudelsackspieler und Flötist ist mittlerweile an Bord, so daß diese Komponenten nicht mehr wie weiland vom Band eingespielt werden (2011, als Kollege Christian die Band sah, war er auch schon mit dabei), und der Soundmensch bringt auch tatsächlich das Kunststück fertig, diese nicht leicht abzumischenden Komponenten über weite Teile des Sets hörbar zu gestalten und nicht in der metallischen Power untergehen zu lassen. Daneben beeindruckt der Gitarrist, der wie ein orthodoxer Mönch aussieht und trotz heruntergezogener Mundwinkel lange nicht so finster wirkt, wie er das vielleicht anstrebt, auch wenn trotzdem ein Rest von Unnahbarkeit bleibt. Die verschwindet allerdings, wenn er auf seiner Bühnenseite mal nicht würdevoll auf und ab schreitet, sondern fröhlich zu hüpfen beginnt (erwähnte ich bereits, daß die vier männlichen Bandmitglieder in einheitlicher schwarzer, sparsam gemusterter, möglicherweise historisch nachempfundener Kleidung auf der Bühne erscheinen?). Das tut er in den letzten beiden Songs ganz besonders intensiv: Arkona legen einen Schalter um, spielen zwei ihrer folklastigsten Songs, rufen eine "Folkwall Of Death" aus - und plötzlich verwandelt sich das bisher zwar gut gelaunte, aber auf seinen Standplätzen verharrende Publikum in eine wilde Tanzmeute, die fleißig das Tanzbein schwingt, aber nach diesen beiden Songs offenbar so stehend k.o. ist, daß der enthusiastische Applaus schnell abebbt und keiner die Forderung nach einer Zugabe einbringt (unabhängig davon, ob im Zeitplan eine vorgesehen gewesen wäre).
Setlist Arkona:
Az'
Arkaim
Goi, Rode, Goi!
Zakliatie
Pamiat
Slavsya Rus
Arkona
Stenka na Stenku
Yarilo

Um eine Analyse des merkwürdigen Publikums kommt man auch bei Therion nicht herum. Wieso geht man als Musikfreund heute zu einem Therion-Gig? Die Tour war als "Unveiling Rock Opera" angekündigt, also die Erstaufführung einiger Teile eines größeren Musikprojektes, an dem die Band derzeit arbeitet und das sie bereits einmal vor Publikum austesten will. Folglich war davon auszugehen, daß die Grundlinie der jüngeren Therion-Alben, die sich im sinfonischen Rockbereich bewegen und den Metal teils nur noch ankratzen, nicht verlassen werden und sich auch der Set dieses Abends danach bemessen würde. Daß das eigentümliche Coveralbum mit französischen Chansons, immerhin das aktuellste Studioalbum der Band, breiteren Raum im Set einnehmen würde, dürften nur die wenigsten vermutet haben - und es bleibt letztlich sogar komplett außen vor, von einer optischen Komponente abgesehen: Wer die Promobilder nicht im Kopf hat, muß dreimal hinsehen, um in dem kurzhaarigen Gitarristen mit Sonnenbrille und Zylinder Christoffer Jonsson zu erkennen. Nach Song 5 entledigt sich der Mann beider genannten Utensilien, sieht danach aber nicht weniger merkwürdig aus - so etwa Marke Jungstudent meets Traumschwiegersohn und trotz Geheimratsecken eher wie Anfang 20 als wie Anfang 40 wirkend. Sollte jemand anhand dieser Alterseinschätzung allerdings auf Musik aus der Ära, als der Therion-Mainman Anfang 20 war, gehofft haben, wird er enttäuscht: "Symphony Masses: Ho Drakon Ho Megas" bleibt außen vor. Statt dessen kann, wer vorher auf die Setlist gelinst hatte, etwas anderes feststellen: Vom kurzen "The Opening"-Instrumental abgesehen, spielen Therion zunächst das komplette "Vovin"-Album durch - und nun müssen wir wieder zur Publikumsanalyse übergehen: "Vovin" ist das bis heute bestverkaufte Therion-Album, es liegt weitgehend auf einer stilistischen Linie mit den jüngeren Werken der Band, gilt bei vielen Hörern als eines der besten ihrer Alben (auch wenn die meisten "Theli" noch höher einschätzen) und besitzt das Potential, auch Menschen, die keine eingefleischten Anhänger der Band sind, für deren Schaffen einzunehmen. Nach drei Songs ist dem Menschen, der das Album besitzt, klar, daß es wohl auf eine Gesamtaufführung hinauslaufen wird, und Sängerin Lori Lewis bestätigt das auch in ihrer Ansage nach besagtem "Wine Of Aluah". Reaktion im Publikum? Müder Applaus, kaum weniger müde als nach dem ersten und zweiten Song (und "Birth Of Venus Illegitima" gehört immer noch zum Besten, was Jonsson je geschrieben hat!). Noch einmal zum Merken: Mit "Vovin" wird gerade ein Semi-Klassiker komplett aufgeführt, es steht eine sehr kompetente und gut eingespielte Band auf der Bühne, und trotz zweier Gitarren, zahlreicher Samples (es ist kein Livekeyboarder dabei) und dreier Leadgesangsmikrofone, die allesamt ihren Platz im Sound haben wollen, gelingt dem Soundmenschen eine überwiegend ausgewogene und lautstärketechnisch angenehm zurückhaltende Klangarbeit. Gut, die zupackende Power fehlt dem Sound (aber dann wäre ein Teil der Transparenz flötengegangen), und zum wilden Herumspringen laden die meisten der Songs auch nicht ein - aber da steht ja an Position 5 "The Wild Hunt", der genau dafür Gelegenheit böte. Aber auch die nutzt das an Lethargie während dieser "Vovin"-Gesamtaufführung kaum zu überbietende Publikum nicht, und der Jubel am Ende von "Raven Of Dispersion" könnte sich auch darauf beziehen, daß dieser Programmteil endlich abgeschlossen ist. Wenigstens der Rezensent, der "Vovin" über weite Strecken sehr schätzt, aber "Theli" im Direktvergleich knapp vorzieht, freut sich, etliche der Songs erstmals überhaupt live zu hören, aber er kann dieses Rätsel nicht entschlüsseln, zumal es noch weitergeht: Jonsson erklärt in einem längeren Monolog das Konzept der im Entstehen befindlichen Rockoper (von Frankreich wandert man inspirationstechnisch nunmehr nach Rußland), und danach erklingen einige Ausschnitte aus diesem Werk, die zuvor noch niemand im Publikum gehört hat und die stilistisch tatsächlich auf einer Linie mit den anderen jüngeren Werken liegen. Plötzlich fällt der Applaus des Publikums deutlich enthusiastischer aus, ohne daß man einen rationalen Grund dafür benennen könnte, und bei den danach noch folgenden Songs im Hauptset, wo dann u.a. Material von "Secret Of The Runes" zum Vorschein kommt, bricht sogar richtige Headliner-Feierstimmung aus, die sich im Zugabenblock, der aus zwei "Theli"-Klassikern besteht, noch ein weiteres Mal steigert. Keine Ahnung, was da passiert ist - aber ein derart merkwürdiges Konzert hat der Rezensent lange nicht mehr erlebt. Sei's drum - er hat seinen Spaß, und zwar während des gesamten, sehr langen Auftritts. Der beinhaltet übrigens ein Kuriosum: Jonsson hat während der ersten Songs einige technische Probleme mit seiner Gitarre und seiner Monitorbox, so daß sich nach "Wine Of Aluah" eine Reparatur erforderlich macht - die Band unterbricht daraufhin die "Vovin"-Gesamtwiedergabe und spielt ad hoc (!) ohne Jonsson (!!) ein dem Rezensenten unbekanntes Lied, das möglicherweise ebenfalls Bestandteil der Oper ist (!!!). Bei welcher Band könnte man sich ein solches Vorgehen sonst noch vorstellen?? Überhaupt präsentieren sich Therion, die lange durch häufige Besetzungswechsel geprägt bzw. geplagt waren, als eingespielte Einheit, und der seit 2010 an Bord befindliche Zweitgitarrist Christian Vidal (ein Argentinier, der optisch wie ein Zigeuner wirkt) bereichert den Sound durch exzellente Leads. Der Gesangsposten ist dreifach besetzt: Thomas Vikström gibt eine beeindruckende Kostprobe von seiner stimmlichen Vielseitigkeit ab, und neben Lori Lewis ist seine Tochter Linnea als zweite Sopranistin dabei. Diese drei müssen also auch die chorischen Wirkungen reproduzieren, aber sie entledigen sich dieser Aufgabe souverän. So bleiben Therion auch anno 2013 eine interessante Band, und man darf gespannt warten, was die fertige Rockoper bringen wird.
Setlist Therion:
The Rise Of Sodom And Gomorrha
Birth Of Venus Illegitima
Wine Of Aluah
N.N.
Clavicula Nox
The Wild Hunt
Eye Of Shiva
Black Sun
Morning Star
Black Diamond
Raven Of Dispersion
Overture
End Of Dynasty/March
Who's Your God?
Onda Toner
Sad End
Flesh Of The Gods
Muspelheim
Ginnungagap
Asgard
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Invocation Of Naamah
To Mega Therion



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