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Standing On A Rock   29.09.2012   Mölbis, Pfarrgarten
von rls

"Abschied ist ein scharfes Schwert", sang einst Roger Whittaker, und in gewisser Weise hat er ja auch recht. Nach acht Jahren heißt es jedenfalls Abschied vom Standing On A Rock-Festival nehmen, das seit 2005 alljährlich im September jungen wie gestandenen Bands der sächsischen und angrenzenden Szenen eine Spielmöglichkeit bot, allerdings das Problem der schwer zu greifenden, zu erreichenden und zu begeisternden Zielgruppe nie entscheidend meistern konnte. Dem hat man 2012 zumindest partiell Paroli geboten: Das Festival schließt den diesjährigen Konfirmandentag im Kirchenbezirk ab, und einige von dessen Teilnehmern bleiben dann tatsächlich auch noch auf dem Gelände und verstärken das Publikum, das wie fast jedes Jahr (von 2010 mal abgesehen) sich wieder über angenehme Witterungsbedingungen freuen darf. Als Verzahnungselement beider Veranstaltungen dient ein Jugendgottesdienst, der das Tagesthema "Wer bin ich?" noch einmal darstellt (wenngleich auf für Konfirmanden vielleicht noch etwas zu symbolistische Weise) und den Hope! musikalisch ausgestalten, die dann auch der erste Act des Festivals sind.
Hatte sich das Sextett im Gottesdienst noch zurückgehalten und nur in "Blessed Be The Name" etwas heftiger gerockt, so demonstriert der Gig dann, was Hope! real draufhaben - und das ist durchaus nicht wenig. Immerhin spielt die Truppe schon seit 2005 zusammen, drei Gründungsmitglieder sind noch dabei, und somit hat sich soviel Routine eingestellt, daß auch ein längerer Gitarrenausfall gekonnt überspielt wird. Zudem muß die Band zwar mit einem Ersatzbassisten antreten, aber der macht nicht nur seine musikalische Sache gut, sondern hüpft auch fröhlich über die Bretter und ist in puncto Anfeuerung des Publikums fast der Agilste auf der Bühne. Stilistisch mixen Hope! fröhlich klassische und modernere Rockelemente, wobei die moderneren Grooves eher in den älteren Songs wie dem lange Zeit als Setopener gespielten, mittlerweile aber in den Mittelteil integrierten "Der einzige Weg" angesiedelt sind (nein, das ist kein Widerspruch in sich). Besonders stark sind die Erzgebirgsbewohner allerdings dann, wenn sie die ausgefahrenen Gleise verlassen und ungewöhnliche, oft dramatisch angehauchte Elemente einbasteln. So gerät beispielsweise die Halbballade "Leben" zu einem der stärksten Songs des Sets, aber auch Gitarrist Lukas' Einzlingswerk "Gib nie auf" weiß diesbezüglich sehr zu überzeugen. Zudem greift Sänger Elias bisweilen noch zur Geige, was in Verbindung mit einem classicrockigen Unterbau bisweilen Erinnerungen an Kansas wach werden läßt, und das ist in diesem Kontext eindeutig als Kompliment gemeint. Was Hope! noch zu wünschen wäre, ist ein etwas ausdrucksstärkerer Leadgesang - Elias macht seine Sache zwar keineswegs schlecht, aber zum einen kratzt er hier und da doch hörbar an seiner Höhengrenze, und zum anderen hinterläßt er auch in den tieferen Lagen einen allenfalls soliden, aber nicht weiter auffallenden Eindruck. Vielleicht läuft der Band mal noch ein geeigneter Kandidat über den Weg, so daß Elias hauptamtlich an die Geige wechseln könnte - das wäre eine "Win-Win-Situation" für alle Seiten. Soundtechnisch steht das Keyboard außerhalb der Soli relativ weit im Hintergrund, auch die Gitarren weisen deutliche Lautstärkeunterschiede auf, aber das Gesamtbild ist durchaus als nicht schlecht einzustufen. Hope! haben zudem einige Anhänger aus ihrer erzgebirgischen Heimat dabei, und auch vom Rest des Publikums werden sie anständig beklatscht. Nur fällt dem Rezensenten vor Ort nicht ein, woher er Song 3 mit seinem markanten Keyboardthema kennt - der Groschen purzelt erst später: vom Hope!-Gig anno 2011 in Geithain ...
Steeproad hatten weiland das erste Standing On A Rock-Festival eröffnet, und sie sind auch beim letzten Festivaljahrgang wieder mit von der Partie - allerdings nicht mehr unter diesem Namen: Schon zu Steeproad-Zeiten waren musikalische Veränderungen passiert, und diese nahmen letztlich so massive Züge an, daß eine Umbenennung sinnvoll erschien. Seither musiziert das Quintett unter dem Banner Yonah.Me und hat einen Stapel neuer Songs geschrieben, die stark in die postrockige Ecke tendieren. Diese Stilistik beherrschten sie schon in der Steeproad-Endphase am besten, und sie kultivieren somit bewußt ihre Stärken weiter. Der Mölbis-Set besteht nahezu ausschließlich aus neuen Stücken, die bis auf einzelne vielleicht noch etwas flüssiger zu gestaltende Momente und einige etwas abrupte Songfinals voll und ganz zu überzeugen wissen. Die beiden Gitarristen spielen oft halbclean, und die Soundwände bleiben überschaubar, so daß viel Raum für Thomas' mittlerweile extrem eindringliche Cleanvocals bleibt, den der Sänger auch souverän zu nutzen weiß. Leider stellt der Soundmensch die hysterischen Kreischvocals der beiden Gitarristen etwas zu weit ins klangliche Abseits, so daß manche Kontrastwirkung nicht in der angedachten Stärke entfaltet werden kann. Trotzdem bleibt ein sehr intensiver Gig, der besonders in der zweiten Sethälfte mancherlei Highlights beinhaltet, etwa "The End" (kurioserweise nicht etwa der Closer des Hauptsets, sondern der vorletzte Track), das etwas ruhigere "A Secret Sigh's Song" oder dessen nicht per Titel angesagter Vorgänger, der beweist, daß Yonah.Me auch geradlinige Passagen sinnvoll ins Ganze einzubinden wissen. Mit "Post Mortem Dystopia" steht auch einer der letzten Steeproad-Songs im Set, und als Zugabe wird mit "Pain" noch ein zweiter (beide auf der letzten und bis zum noch 2012 auf dem Plan stehenden Yonah.Me-Debüt noch aktuellen EP "Pain" enthalten) ausgepackt - der Unterschied zum Yonah.Me-Material ist nicht immens, aber doch fühlbar. Als regulären Setcloser packen die Bad Lausicker "Scent Of September" aus, einen der wenigen Songs, wo man hin- und hergerissen ist: ein großes Epos, das allerdings etwas unmotiviert endet, obwohl man das Gefühl hat, es sei noch nicht bis zum Höhepunkt entwickelt worden. Das tut dem sehr positiven Gesamtbild allerdings keinen Abbruch. Yonah.Me passen zudem gut in den derzeitigen Trend der komplexeren Rockmusik, so daß ihnen noch einiges zuzutrauen sein dürfte.
Cafe Jazz sind gerade dabei, auch deutschlandweit durchzustarten - ergo wird es vielleicht eine der letzten Gelegenheiten gewesen sein, sie noch in einem vergleichsweise kleinen Rahmen live zu erleben. In Mölbis eröffnen sie ihre Herbsttour 2012, und in der Setlist steht erwartungsgemäß ein guter Teil der Songs ihres aktuellen Albums "Achtzehndreißig", das den Rezensenten durchaus positiv überrascht hat. Leider verliert die Toto-Gedächtnispassage im als Opener gespielten "Viel mehr" aufgrund des noch nicht optimal ausgepegelten Sounds ein wenig ihre Wirkung, aber zwei, drei Songs später ist alles in klanglicher Ordnung, und einem unterhaltsamen Gig steht nichts im Wege. Das Quintett spielt auch nach einer sommerlichen Gigpause seine ganze Routine aus, die es auf einer großen Anzahl von Konzerten und aufgrund seit der Gründung stabilen Besetzung gewonnen hat, und gleich im Opener einen ausgedehnten Mitsingteil für das Publikum einzubauen muß man sich auch erstmal trauen. Neben weiteren Beiträgen der ein Vierteljahr zuvor erschienenen Scheibe, etwa der flotten aktuellen Single "Beweg dich", spielen Cafe Jazz allerdings auch einige ganz brandneue Stücke, die an diesem Abend ihre Livepremiere erleben - und auch in einen dieser, nämlich "Der Fragesteller", einen größeren Mitsingpart einzubauen zeugt von Mut. Aber er wird belohnt - das Publikum geht mit, sorgt für Stimmung, und somit ernten die Bautzener sehr positive Reaktionen. Festzuhalten bleibt allerdings, daß sich Sänger Jan-Philipp in den neuen Songs verstärkt einem rapartigen Sprechgesang widmet, der schon auf "Achtzehndreißig" im ausgerechnet auch noch als erste Single ausgekoppelten "Alles beim Alten" eher bemüht wirkte und auch live eher wie ein Fremdkörper wirkt, wenngleich er zum Sänger, der auch selbstironisch bemerkt, er sei eine wahre Quasselstrippe, durchaus paßt. Die Songs leben live allerdings besonders vom sehr energischen Drumming Friedrichs, der oft auch eher zurückhaltenden Passagen einen starken Drive verpaßt, allerdings auch weiß, wann er das nicht tun sollte, wodurch der sehr schleppende neue Song "Wie lebt man so" seinen besonderen Ausdruck erhält. Auch die Klavier- und Saxophonballade "Überall" gerät sehr stimmungsvoll, und Saxophonist Steve schafft es, auf der Bühne nicht wie ein Fremdkörper zu wirken, obwohl er in den meisten Songs nur in den Soli und einigen Breaks und Bridges zum Einsatz kommt. Dort allerdings wird er zum reizvollen Originalitätsfaktor im ansonsten eher konventionellen Poprock der Band, die vom begeisterten Publikum nicht ohne die Zugabe "Du gehst mit" von der Bühne gelassen wird.
Projevy Radosti hatten 2007 eine der denkwürdigsten Shows der Festivalgeschichte geliefert, und sie schaffen das auch 2012 wieder, obwohl sie ihren Psychocore um eine Stimme reduziert haben. Aber dem Vokalisten Matej gelingt es auch alleine völlig problemlos, dem schon recht wilden Instrumentalgebräu noch das Sahnehäubchen aufzusetzen, und das sowohl mit dem vielschichtigen Gesang irgendwo zwischen Xanthippe und Esel (wunderbar: das romantische Geleier als Intro des Songs über die Liebe an Position 2) als auch mit seinen kuriosen Ansagen. Als Konzept dient 1. Korinther 7, Verse 1-11, und nach jedem Song rezitiert der Frontmann einen Vers und findet daraus eine mehr oder weniger schräge Überleitung zum Thema des Folgesongs. Vom Material kennt man etliches schon in Konservenform, und es bewegt sich zwischen schleppenderen Songs wie "Normativnie Texty" und Hochgeschwindigkeit wie in Gestalt des deutschsprachigen und manchem noch in guter Erinnerung befindlichen "Ich bin so jung". Die Ansagen hält der Fronter zudem in einem sympathischen böhmisch durchwirkten Deutsch, und mittels eines Megaphons sowie einem Blechdeckel, auf den er gelegentlich einschlägt, verleiht er seinen Lautäußerungen noch eine spezielle Beigabe. Zudem steht er zumeist tief gebeugt auf der Bühne, wenn er nicht gerade wie ein Kaputter über selbige springt und von seinem Bassisten ähnliche Reaktionen erntet, während der Gitarrist eher den Ruhepol bildet. Ein ziemlich klares Soundgewand läßt das problemlose Erkennen der Songstrukturen, auch der komplizierteren, zu, wobei auffällt, daß die abgedrehteren Songs eher in der ersten und die etwas geradlinigeren in der zweiten Sethälfte zu finden sind. Die elf Korintherverse werden noch durch einen aus den Ephesern ergänzt, und das zahlenmäßig gegenüber Cafe Jazz etwas geschrumpfte, aber ähnlich feierfreudige Publikum fordert lautstark eine Zugabe ein, welche das Quartett aus Usti nad Labem auch gerne gewährt.
In den Jahren zuvor hatte der letzte Act zumeist in der dem Pfarrgarten unmittelbar benachbarten Mölbiser Kirche gespielt, aber dort hätten Mantiquttair wohl keine so glückliche Figur gemacht - sie sind auf der großen Open-Air-Bühne deutlich besser aufgehoben, wenngleich nicht showtechnisch, sondern musikalisch: In der Kirche wäre ihr proggig angehauchter Instrumentalmetal vermutlich soundlich eher badengegangen, was schade gewesen wäre, denn gerade durch den Verzicht auf Gesang (nur in einem Song wirft der Bassist einige Vokalisen ein) ist der Hörer darauf angewiesen, die strukturellen Linien der einzelnen Instrumente klar und deutlich nachvollziehen zu können, und das gelingt in der Livesoundsituation dieses Abends auch nahezu problemlos. Mantiquttair beschränken ihre Instrumentierung dabei auf die klassische Rockbesetzung mit zwei Gitarren, Baß und Drums, lediglich Gitarrist Ronny hat in Hüfthöhe noch ein zusätzliches Effektgerät stehen, mit dem er gelegentlich ein paar kratzende oder rauschende, ähem, Geräusche erzeugt. Für eine Einordnung ins Postrockfeld, das man bei neuzeitlichen Instrumentalacts ja gern heranzuziehen pflegt, agiert das Quartett in harmonischer und songstruktureller Hinsicht über weite Strecken des Sets deutlich zu konventionell und traditionell - man fühlt sich statt dessen bisweilen an Joe Satriani erinnert, allerdings ohne dessen Neigung zur Leadmelodie auf der Gitarre. Zudem haben Mantiquttair nicht nur einen, sondern zwei erstklassige Gitarristen in der Besetzung, und sie nutzen dieses Potential daher auch in angemessener, bisweilen dialogisch geprägter Form, was auch zum Bandnamen paßt, der soviel wie "Vogelgespräche" bedeutet. Songtitel sind Schall und Rauch - erst kurz vor Setende ergreift der Bassist zum ersten Mal das Wort, um eine Ansage zu machen. Noch nicht jede Songidee kann von Anfang bis Ende tragen, aber im überwiegenden Teil des Sets stimmt der Spannungsbogen, auch die Laut-Leise-Dynamik weiß zu überzeugen, und wenn Ronny mal einen Song lang mit überkreuzten Händen auf dem Griffbrett seiner Gitarre spielt, bekommt auch das Auge noch etwas geboten, denn auf eine wilde Bühnenshow verzichten die Leipziger. Die vermißt aber auch niemand - Bewegungsaktivitäten vor der Bühne entfaltet aber auch niemand, das noch verbliebene Publikum lauscht der Band gebannt und staunend und erklatscht sich lange nach Ende der Geisterstunde sogar noch eine Zugabe, die zu zwei Dritteln aus einem direkten instrumentalen Dialog der Gitarristen über Drumteppich ohne Baßbeteiligung besteht, bevor im Finale doch noch alle vier Musiker zum Einsatz kommen. Ein stimmungsvoller Abschluß des 2012er Festivals wie auch der gesamten Festivalgeschichte - oder doch nicht? Jedenfalls hört man im Laufe des Abends schon erste Stimmen, daß es vielleicht doch weitergehen wird, wenn auch nicht 2013: Da gibt es statt dessen eine Extra-Bühne beim Crossover-Festival in Grimma am 25. Mai. Be there! www.standing-on-a-rock.de hält den Interessenten auf dem laufenden.



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