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Standing On A Rock   24.09.2005   Mölbis, Pfarrgarten
von rls

Chefdenker Andreas Bergmann, seines Zeichens Jugendwart im Kirchenbezirk Borna, rief, und (fast) alle kamen. Damit gemeint sind diejenigen Bands, die in den letzten Jahren schon mal im Kirchenbezirk auf verschiedenen Veranstaltungen gespielt hatten. Die Klammerbemerkung bezieht sich darauf, daß das Ganze diversen Einschränkungen unterworfen war. Die Elektroniker out of tune hatte man von vornherein ausgeplant, da sie stilistisch überhaupt nicht in das eher rockende Biling gepaßt hätten, die jiddischen Berliner Di Grine Kuzine konnten nicht kommen und wurden durch Cottonbomb ersetzt, und auch die Letten Metanoia (die sich diesen nicht eben originellen Namen gewählt hatten, um ihrem früheren, auch nicht gerade originellen Namen Addicted zu entkommen - klassischer Fall vom Regen in die Traufe) sagten kurzfristig ab; ihren Platz nahmen zwei Tage vor dem Festival die Tschechen Jesus Puras ein. Am letzten Septemberwochenende ein Open Air zu versuchen grenzt an Wagemut, aber in diesem Fall wurde er belohnt, denn tagsüber herrschte strahlender Sonnenschein; lediglich abends wurde es aufgrund des klaren Himmels schnell kalt. Das wuchs sich allerdings auch zum Vorteil aus, denn so wäre das Auditorium eigentlich gezwungen gewesen, zwecks Vermeidung der Körperauskühlung diverse Bewegungsabläufe auszuführen. Der Rezensent wiederum war in der Lage, über weite Strecken ein Livereview im wahrsten Sinne des Wortes zu schreiben, da er (eigentlich aus ganz anderem Grund) seinen Laptop dabeihatte und somit in den Umbaupausen backstage gleich die Eindrücke brühwarm festhalten konnte.

Als Steeproad die Bühne betraten, schien noch die Sonne, was den lokalen Fankreis aber nicht davon abhielt, ordentlich Stimmung vor der Bühne zu machen. Komischerweise hatte ich die Truppe noch nie live gehört, obwohl sie keine 10 km entfernt von mir residieren. Ein Verlust zweifelsohne, denn für ihr junges Alter waren Steeproad schon erstaunlich weit, was das Verfassen angegrungter Rocksongs anging. Sänger Thomas offenbarte anfangs einige Halteprobleme bei den cleanen Passagen, sang sich aber schnell warm und offenbarte eine Stimme, die nicht nur einmal an einen gewissen Herrn Hetfield zu "Load"/"Reload"-Zeiten erinnerte, wenngleich dieses Level natürlich noch ein Stück entfernt ist. Sowohl die Shoutparts als auch die melodischen Passagen überzeugten, die massiveren Tracks erzeugten ebensolche Bewegung vor der Bühne, während die Ruhepole durchaus noch ein wenig intensiviert hätten werden können. Den größten Wohlfühlfaktor strömte allerdings "Laying On The Grass" dar, ein skalastiger Track, der letztlich als Zugabe gleich noch ein zweites Mal gespielt werden mußte und zu dem die Band das Motto ausrief, das ein paar Jahrhunderte früher ein Mensch in "Geh aus mein Herz und suche Freud" transportiert hatte. "Standing On A Rock" als Opener wiederum war gleichfalls mottogebend, nämlich für die ganze Veranstaltung und natürlich auch biblisch spiritualisiert. Mit einem guten, nicht zu lauten und alle Instrumente auf ihren gebührenden Platz stellenden Sound rockten sich Steeproad durch eine unterhaltsame Stunde Katja-Rock (diesen Fachbegriff erfinde ich hiermit, um die Bands zu klassifizieren, die prinzipiell so klingen, als ob sie unserer Dresdner Kollegin Katja Starke gefallen könnten) irgendwo in der Nähe von Nickelback und Konsorten und bewiesen ihre Tauglichkeit auch für überregionale Aufgaben.

Tschechischkundige brauchen sich keine Mühe zu machen, den Namen Jesus Puras entschlüsseln zu wollen: Es handelt sich um den Namen eines brasilianischen Autorennfahrers, den Bandleader/Sänger David offensichtlich so gut fand, daß er ihn für den Namen seines eigenen Projektes adaptierte. Formel 1-taugliche Geschwindigkeit erzielten die vier Tschechen in ihren Songs (Störung beim Reviewschreiben im Backstageraum des Festivals: Tobias von zwischenFall setzt sich ans Harmonium und beginnt Lennons "Imagine" zu intonieren) zwar nur sehr selten, aber trotzdem machte ihr stonerangehauchter Rock jede Menge Laune; zudem bewies die Mucke der Band, daß die Rockmusik gewisse Wurzeln in einem Stil namens Rhythm'n'Blues besitzt. Gitarrist Tomas war der auffälligste Akteur des Quartetts, nicht nur aufgrund seiner wischmobähnlichen Frisur, sondern auch aufgrund seiner Bewegungsabläufe - das Stehen auf einem Bein und das Schwingen des anderen gehörte offensichtlich zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, auch die Hinter-dem-Kopf-Spielend-Einlagen sorgten für großes Hallo beim Publikum. Der neue Trommler Krysztof, gerade mal 16 Jahre jung, lag an einigen Stellen leicht neben der Spur, allerdings so, daß es nicht entscheidend ins Gewicht fiel, wenn man die Songs nicht kannte (und dieses Verdikt dürfte auf eine sehr hohe Prozentzahl des die Band lautstark bejubelnden Auditoriums zugetroffen haben), Bassist Stepan machte einen ordentlichen Job, und Sänger David pendelte in seinen Ansagen zwischen Deutsch und Englisch hin und her, offenbarte eine solide, allerdings nur an manchen Stellen wirklich aufhorchen lassende Gesangsstimme (bisweilen baute er obertonähnliche Schreie ein, was richtig gut rüberkam). Unter den Songs ragte das leicht angedüsterte "Black Painted Wagons" heraus, und das hochgradig mitsingkompatible "Sing For Jesus" beendete einen interessanten Auftritt der vier Prager, die mit Sicherheit einige neue Fans gewonnen haben werden.
Setlist Jesus Puras (nicht in der real gespielten Reihenfolge):
Soap
Delilah
Black Painted Wagons
Run Baby Run
Near
Here
Elegy
Sing For Jesus
Vibration
College
Change
Donna

Auf Gideon durfte man besonders gespannt sein, hatten sich doch gerüchteweise diverse Veränderungen im Sound der Erzgebirgsbewohner ereignet, welche auch noch in einer personellen Veränderung gipfelten: Mit Matthias stieg wieder ein zweiter Gitarrist ein, was dem Gesamtsound noch mehr Power verleihen sollte. Das Resultat fiel an diesem Abend allerdings noch etwas zwiespältig aus, zeigte Gideon noch auf dem Weg und noch nicht am Ziel angekommen, wobei auch noch alles andere als klar ist, wie dieses musikalische Ziel denn eigentlich aussehen wird. Argwöhnt man, die seit einigen Jahren andauernde Härtung würde in analoger Weise fortgeführt, würden Gideon anno 2017, also zum 30jährigen Bandjubiläum, vermutlich Grindcore spielen. An diesem Abend allerdings stand noch der gewohnte traditionelle (Hard)Rock au dem Programm, wenngleich in einer besonders gitarrenseitig deutlich gehärteten Version, dem auch die Setlist des Programms "Gegen den Wind" entgegenkam, die zudem noch um die Ballade "Maskenball" gekürzt worden war. Allerdings litten Gideon etwas unter Soundproblemen; von den Keyboards war relativ wenig zu hören, die Unterscheidbarkeit der beiden Gitarren ließ etwas zu wünschen übrig, und die Verständlichkeit besonders von Heikos Gesang schwankte auf dem Areal vor der Bühne erheblich (ich habe mehrere Stellen ausprobiert; komischerweise war die Textverständlichkeit 20 Meter hinter dem Mischpult am besten). Von der Setlist her hatten neben "Mammon" noch weitere aufpolierte Tracks aus der Vergangenheit den Weg ins Programm gefunden (höre das in der neuen Version allerdings noch etwas unentschlossen wirkende "Zeichen der Zeit"), wohingegen auch neue Tracks entstanden sind, u.a. "Kämpfer", ein reiner Metalsong mit ultrafetten Gitarren, in dem lediglich Markus' gerappte Strophenvocals nicht richtig passen wollten - vielleicht käme der Gesangspart besser, wenn er in ähnlichem Shouting gehalten wäre wie der Chorus. Für den größten Spaßfaktor sorgte neben dem gleich in zwei Versionen dargebotenen Klassiker "Mercy Is Falling" die zweite Coverversion, ein Kombicover sozusagen: "10 kleine Jägermeister" der Toten Hosen wurde mit Arno Backhaus' kirchenstrukturell bitterbösem Text "10 kleine Christen" gekoppelt. Den Setschluß bildete in bewährter Weise die Hymne "Heiligabend", welche die Truppe jahreszeitenunabhängig spielt und die mit der einen oder anderen Länge im Set endgültig versöhnte. Aufgrund der vorgerückten Stunde verzichtete man auf eine Zugabe (obwohl das "Feierobnd"-Lied durchaus nicht unpassend gewesen wäre :-)) und ließ die interessante Frage der weiteren Entwicklung der Band vorläufig unbeantwortet. Das Publikum konnte die Band an diesem Abend jedenfalls erst nach der Hälfte des Sets richtig knacken (dafür dann aber richtig).
Setlist Gideon:
Geh weg
Mammon
Komm
Wo bist du
Rennst
Jesus On The Main Line
Mercy
Angst
10 kleine Christen
Krieger
Zeichen der Zeit
Flieg
Mercy II
Heiligabend

Cottonbomb hatten im Vergleich mit ihrer CD-Release-Party vor wenigen Wochen gleichermaßen auf- wie abgerüstet. Letztgenannte Tatsache bezog sich darauf, daß sie diesmal ohne Gastmusiker agierten, erstgenannter auf den Fakt, daß die Setlist wieder mehr Songs des Debüts "Mississippi Coma"-Debüts enthielt, welche livehaftig über weite Strecken einen etwas größeren Abrißfaktor entwickeln als die kontemplativeren des Nachfolgers "Don't Worry Little Baby". Damit vermißte man auch den atmosphärischen Beitrag der Gastkeyboards an diesem Abend nur an wenigen Stellen (so im Chorus der großen Hymne "What Will Remain"), während sich das Stammquartett gut aufs bluescorige Druckmachen konzentrieren konnte, was die Chemnitzer auch gut bewältigten, wenngleich die Präsenz von Carstens Baß den Ultimativitätsfaktor eines Gigs in Dorfchemnitz, von dem mir die Gideon-Jungs erzählt hatten, diesmal nicht ganz erreichte. "Backyard" gab's wieder in der fast countrylastigen und erst im Refrain wiedererkennbaren Variante, und auch das 16 Horsepower-Cover "Black Horse" stand wieder im Set, mit dem das Publikum wie bei Gideon erst im Verlaufe desselben warm wurde - aber dann ebenfalls richtig; eine kleine Feedbackorgie von Gitarre und Baß am Schluß erstickte etwaige Zugabewünsche (die aufgrund des Zeitplans vermutlich sowieso nicht hätten erfüllt werden können) indes im Keime.
Setlist Cottonbomb:
One String
Burn My TV
Blind Guide
Cold Hand
Black Horse
Backyard
If You Fly Away
Fire
What Will Remain
Blackmen
4 o'clock
Watch Out
This Is Bluescore

Mit zwischenFall stand der kontemplativste Act des Abends auf der finalen Position im Billing, was sich allerdings nicht als Nachteil erweisen sollte. Der noch anwesende Teil des Publikums rückte die vorhandenen Bänke vor die Bühne und machte es sich eine Dreiviertelstunde lang gemütlich, um der Songpoesie des Quintetts zu lauschen. Jawohl, Quintetts - zwischenFall hatten aufgerüstet und sich mit Maria-Christin eine Violinistin dazugeholt, die in einigen Songs für akustische Wohlfühlergebnisse sorgen konnte, nachdem sie sich richtig warmgespielt hatte und vom Soundmenschen mit der gebührenden Achtung behandelt worden war (das war bei ihrem ersten Einsatz in "Regen" noch nicht der Fall, danach aber sehr wohl). Der neue Trommler Stefan machte ebenfalls einen ausgezeichneten Job, und Multiinstrumentalist Marco hielt den Gig trotz starker Zahnschmerzen tapfer durch. Die Setlist konzentrierte sich auf Material der neuen Scheibe "Soweit", wenngleich etwa der Oldie "Anja Müller hat Geburtstag" (das in einer umgearbeiteten Version auch auf besagter Scheibe zu hören ist) die Truppe wohl bis an ihr Ende verfolgen wird. In bewährter Weise bekam das Publikum von Tobias auch wieder intelligente Zwischentexte vorgesetzt (herausragend diesmal der "Wahl" überschriebene), unter den Songs standen gleichere neben ein paar wenigen gleichen (erstere Kategorie mit "Lob der Provinz" als Exempel, das den Tenor von "Heimatskizzen" gekonnt umsetzt; letztere mit "Egal", das in der anarchistischeren Variante mit dem vom früheren Trommler Carsten Drescher ohne Mikro von hinten reingebrüllten dritten "Egal" im Refrain irgendwie noch einen letzten Tick kultiger war), und so kamen zwischenFall letztlich nicht ohne die (allerdings auch zu den gleichen Songs zählende, da etwas zu unauffällige) Zugabe "Filme in Berlin" davon. Hernach (es war mittlerweile 1 Uhr geworden) hatten Interessierte noch die Gelegenheit zu einem Orgel-Chillout in der benachbarten Kirche, die der Rezensent allerdings gegen einen früheren Eintrefftermin in seinem Bett eintauschte.
Setlist zwischenFall:
Unter Leuten
Regen
zwischenFall
Ich wünsche mir
Daß du bei mir bist
Egal
Lob der Provinz
Lang genug
Seid bereit
Anja Müller hat Geburtstag
Reich und schön
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Filme in Berlin



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