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Summer Open Air   08.07.2011   Geithain, Nikolaikirchhof
von rls

Das Geithainer Summer Open Air, traditionell unmittelbar vor Ferienbeginn angesetzt und von den hiesigen Jungen Gemeinden organisiert, geht zum neunten Mal über die Bühne; einige Dinge ändern sich, vieles ist gleich geblieben. Diesmal spielen nur vier Bands um die beiden Nik Noise Awards, von denen einer als Publikumspreis und der andere als Jurypreis vergeben wird, und zudem fällt der Headlinergig des Vorjahressiegers weg, was alles zu einem relativ entzerrten Zeitmanagement beiträgt und den Bands ein bißchen mehr Spielraum für eingeforderte Zugaben einräumt, allerdings in Kombination mit dem doch relativ frühen Beginn um 19.30 Uhr (offiziell war 19 Uhr verbrieft worden) dazu führt, daß die Reihen bei den ersten zwei Bands doch noch relativ übersichtlich gefüllt sind und ein guter Teil des Publikums erst zur dritten oder gar zur vierten Band eintrifft. Diesen Kreis zu quadrieren dürfte allerdings auch mit größtmöglicher Anstrengung nicht gelingen, und auch den problematischeren Teil des partiell äußerst politisierten Geithainer Publikums ganz fern oder im Zaum zu halten ist alljährlich eine große Herausforderung. Ohne Kommentar hier die wohl hintergründigste T-Shirt-Inschrift des ganzen Festivals: "Tausche Frau gegen Benzin!"
After The Silence gehen als Opener auf die Bühne (paßt ja bei ihrem Bandnamen auch), und als sie diese sieben Songs später wieder verlassen, ist der gottesfürchtige Musikkosmos um eine Überraschung reicher. Das Quintett spielt klassischen Progrock der songorientierten Sorte und befindet sich songwriterisch bereits auf einem erstaunlich hohen Niveau. Das Ideenfüllhorn ist jedenfalls reich gefüllt, und in vielen Passagen passiert folgendes: Man denkt sich, jetzt müsse eigentlich ein Break kommen - und es kommt tatsächlich eins. Das soll nicht als Vorhersehbarkeit abgetan werden, sondern vielmehr als gekonntes Spielen mit der Erwartungshaltung des Publikums, sofern dieses eine gewisse Affinität zum Genre besitzt. Und ein paar Überraschungen haben After The Silence auch noch im Gepäck, etwa den bis zu dreistimmigen Gesang (wiewohl der in der Abstimmung noch Reserven zeigt, z.B. in weiten Teilen von "Ganz nah", wo erst das letzte Duett zeigt, wie es richtig geht), gelegentliche Baßsoli oder den gekonnten Flöteneinsatz, wenn die Keyboarderin mal das Instrument wechselt. Schon der Glockeneinsatz des Drummers im Intro macht den Einfallsreichtum der Pirnaer deutlich, die Songs bewegen sich zwischen relativ knapp und zupackend ("Kyrie") bis hin zu ausladend, vielschichtig und episch ("Vater"). Apropos Drummer: Weil der etatmäßige Stöckeschwinger verhindert ist, müssen After The Silence mit einem Ersatzmann antreten - und der macht seine Sache nach gerade mal einer (!) Probe derart gut, daß sein Status nicht nur niemandem aufgefallen wäre, wenn der Gitarrist das nicht angesagt hätte, sondern sein ideenreiches und trotzdem stets songdienliches Spiel, egal ob da ein Wirbel am anderen erklingt, geradezu ein Highlight des Gigs bildet. Freilich hätte die Soundfraktion ihn trotzdem nicht so laut abmischen müssen, daß einiges vom Rest der Band untergeht, was besonders den weiblichen Leadgesang unbewertbar macht, wiewohl zumindest starke Ansätze auch hier auszumachen sind. Das unterhaltsame Cover "You Are Holy" beschließt einen nicht idealen, aber äußerst vielversprechenden Gig.
Hope! sind nicht die erste Band mit dem Hoffnungswort als Bandbezeichnung, aber wohl die ersten, die das per Ausrufezeichen als Aufforderung in die Menge schleudern. 2009 hat sie der Rezensent an gleicher Stelle verpaßt, 2011 sieht er nun ein Sextett, das siebenmal recht abwechslungsreiche Rockmusik plus eine Zugabe in die etwas angewachsene Zuschauermenge pustet. Das reicht von balladesken Elementen über grooviges Midtempo bis zu einigen ekstatischen Hardrocksoli der alten Schule, die der Leadgitarrist auch exzellent spielt, obwohl er mit einem angeknacksten rechten Handgelenk antreten muß. Freilich sitzt noch nicht jedes Break ganz sattelfest, mancher Übergang holpert ein wenig, und vor allem der Rhythmusgitarrist ist im Gesamtsound doch deutlich unterrepräsentiert, wohingegen man zumindest die Hauptthemen des Keyboarders deutlich vernehmen kann. Der Sänger ist noch relativ neu an Bord, was seine noch etwas hölzerne Performance erklären dürfte (auch die Ansagen übernimmt der Leadgitarrist, der zudem Backings singt); allerdings ist da noch ein Problem: Er kann zweifellos gut singen - aber für den kantigen Stil der Band singt er einfach "zu schön". Daß der Gesang genau dann am überzeugendsten wirkt, als der Keyboarder für einen Song nach vorn kommt und mit dem Leadsänger im Duett rappt, spricht in diesem Kontext Bände, wobei die groovige Anlage vieler Songs, die schon eine gewisse Schlagseite gen Rage Against The Machine zeigt, dieser Kombination den Weg weist. Etwas expressiveres Shouting könnte ein weiterer gangbarer Weg sein, um hier eine passende Vielfalt zu entwickeln. Als Closer des regulären Sets erklingt das "Pippi Langstrumpf"-Thema in einer verrockten und umgedichteten Variante, was nicht nur dem Fanclub aus Weißbach ein zufriedenes Grinsen entlockt.
Against The Flow waren verspätet angereist und konnten vor dem Gig daher keinen Soundcheck mehr machen - aber mit ihrer Professionalität stellt das kein Problem dar, und der etwas ausgedehnte Check während der Umbaupause genügt vollauf, um mal eben das beste Soundgewand des ganzen Abends zusammenzubasteln; selbst der Keyboarder ist recht gut durchhörbar und geht gegen die beiden Gitarren nicht unter. 2010 waren Against The Flow die große Überraschung des Festivals gewesen und nur um zwei Stimmen am Publikumspreis vorbeigeschrammt - das gelingt ihnen 2011 nicht, zumal auch der Überraschungseffekt weg ist. Die mittlerweile in alle Welt verstreuten fünf Dohnaer haben sich, so zeigt der neue Set, etwas vom Emo wegbewegt, sind dabei aber leider in einer nicht durchgängig spannenden Grauzone zwischen sämtlichen Stühlen moderner Rockmusik gelandet. Richtig stark sind sie immer dann, wenn sie am Postrock kratzen, und mit zwei solchen Monolithen rahmen sie ihren Set ein, während dazwischen der eine oder andere Song etwas zu unentschlossen wirkt und man beispielsweise die Ballade sowohl als Fremdkörper als auch als Bereicherung empfinden kann. Wenn man allerdings einen Song "Run" nennt und das Publikum ausdrücklich zu Bewegungsaktivitäten auffordert, dann allerdings ein Break ans andere reiht, beweist man entweder seltsamen Humor oder verfehlt das Thema. Eine intensive Bühnenshow, äußerst charismatischer Gesang und die offensichtliche Spielroutine der Band holen manche Kastanie allerdings wieder aus dem Feuer, wenngleich das Publikum hier und da überfordert scheint und als einziger Band Against The Flow keine Zugabe abgefordert wird.
Burn The Christmastree kommen als Weihnachtsmänner verkleidet zu einem Drumsolo auf die Bühne und haben gleich im Opener Pech, daß der Baß ausfällt - die Reparaturphase überbrücken der Gitarrist und der Drummer kurzerhand, indem sie das Hauptthema des Songs einfach minutenlang weiterspielen und die beiden Trompeter hier und da noch instrumentale, teils improvisierte Farbtupfer dazugeben. Respekt an das Familienunternehmen Leupold plus Assoziierte, schon in jugendlichem Bandalter eine so reife Leistung zu vollbringen (99 von 100 anderen Bands hätten hilflos auf der Bühne gestanden und gewartet, bis das Problem behoben ist). Die Besetzung läßt das Genre des Quintetts schon erahnen - richtig, Skapunk erklingt, wobei sich außer dem Drummer alle Mitglieder den Gesang teilen, was allerdings die Erkenntnis ermöglicht, daß alle Beteiligten keine großen Sänger sind, wenngleich sie das, was das Genre abfordert, durchaus hinbekommen. Allerdings ist die Abmischung bei ihnen wiederum nicht ideal, so daß speziell die Vocals des Gitarristen doch ziemlich untergehen. Wenigstens hört man die beiden Trompeten klar, laut und zackig, und die sind auch der Haupttrumpf im Gebräu der Crimmitschauer, die ihren kompletten, Schilder mit brennenden Weihnachtsbäumen schwenkenden Fanclub am Start haben, der im letzten Song dann sogar noch eine Polonaise inszeniert. Manches Break holpert auch hier etwas, und einige Textzeilen verraten viel vom Bemühen des Texters, eine gewisse Anzahl von Silben auf eine gewisse Anzahl von Tönen zu bekommen, ohne sich um Betonungsdetails zu scheren (eines der Jurymitglieder frozzelt, das Beispiel "Zufall" aus dem urlangen Opener, der zum Schluß als Zugabe gleich nochmal gespielt wird, werde ihm jetzt wochenlang im Hirn herumspuken); der Weisheit letzter Schluß sind viele der Kompositionen des jungen Quintetts, dessen Name übrigens eine Protesthaltung gegen allerlei weihnachtliche Begleiterscheinungen der säkularisierten Welt verdeutlicht, also noch nicht, aber zum Erzeugen guter Laune an einem lauschigen Abend samt der einen oder anderen intelligenten Botschaft reicht das Gebräu schon voll und ganz aus.
Die Auszählung der Stimmzettel für die Publikumswertung geht danach äußerst zügig vonstatten, auch die Jury (bestehend aus Geithains Kantor Janko Bellmann, Ludbert Schmuck vom Geithainer Stadtrat, der die verhinderte Bürgermeisterin Romy Bauer vertritt, und dem allseits geschätzten Wolfgang Tost vom Landesjugendpfarramt) hat gut vorgearbeitet und kann ihr Urteil zeitnah fällen: After The Silence bekommen den Jurypreis, und erwartungsgemäß können Burn The Christmastree den Publikumspreis nach Crimmitschau entführen. Hernach wartet noch ein neuer Programmpunkt auf die Besucher: In der benachbarten Nikolaikirche wird einer der "Don Camillo und Peppone"-Filmklassiker gezeigt; der Rezensent übt diesbezüglich allerdings Verzicht aus.



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