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8. Summer Open Air   18.06.2010   Geithain, Nikolaikirchhof
von rls

Seit 2009 ist das Open Air-Festival der Jungen Gemeinde Geithain nicht mehr nur ein normales Festival, sondern mit einem Wettbewerb um den Nik-Noise-Award verbunden. Selbiger Award, physisch aus Rochlitzer Porphyr bestehend, existiert in zwei Ausprägungen, die beide neben einer gewissen Geldsumme einen Anschlußgig als Preis beinhalten: Der Sieger des Publikumspreises wird eventuell Außer-Konkurrenz-Headliner des nächstjährigen Festivals, der Sieger der Jurywertung darf auf der Kirchenbühne beim Tag der Sachsen einen Gig spielen. Fünf mehr oder weniger junge Bands wetteifern an diesem trockenen, für die Jahreszeit recht kühlen Abend um diese beiden Awards.
Trinitatis sind zweifellos die erfahrenste Band des ganzen Abends. Der Rezensent hat sie über 10 Jahre nicht live gesehen - die Erkenntnis nach den sechs Songs plus Intro: Manche Dinge haben sich verändert, andere nicht. Das Intro besteht aus den Klavierakkorden, die Queen schon mal unter "The Show Must Go On" gelegt hatten, hier allerdings mit einer schönen sehnsuchtsvollen Gitarrenlinie kombiniert, bevor der "Schattenjäger" überraschend hart und druckvoll aus den Boxen geprescht kommt, hauptsächlich vokalisiert vom Bassisten, leicht angerauht und flächig. Erst gegen Ende des Songs kommt eine mehr oder weniger neue Errungenschaft der Band zum Tragen: Trinitatis haben eine Sängerin in die Band geholt, und die übernimmt in den weiteren Songs das Gros der Leadvocals. Leider ist ihr Mikrofon übersteuert, so daß sich in ihren Gesang immer ein gewisses Dröhnen mischt, das eine realistische Bewertung mehr oder weniger unmöglich macht. Den noch etwas unsicher wirkenden Wechsel zwischen klar gesungenen und fast geshouteten Passagen und auch die in hohen Tönen nach hinten zum Herunterkippen neigende Stimme kann man allerdings auch so als zu bearbeitende Baustellen diagnostizieren. Zudem geht das Experiment, "Gott hört dein Gebet" (ein Klassiker des Bandrepertoires) als vierstimmigen A-Cappella-Gesang zu intonieren, leicht schief, zunächst technisch wegen Störgeräuschen aus den Monitorboxen und dann auch noch intonatorisch - gerade bei t-Auslauten wie auf "Gebet" hört man natürlich überdeutlich, wenn sich die Sänger nicht ganz einig beim Abschluß sind. Die restlichen Songs bewegen sich im gewohnten rockenden Fahrwasser der Band, mal etwas bluesig, mal poppig angehaucht, auch mal gitarrenseitig etwas härter zupackend, und der flotte Closer "Du hier?" macht nochmal richtig gute Laune auch bei dem Teil des Publikums, der alterstechnisch seine Eltern auf der Bühne sehen könnte.
Die erfahrenste Band in bezug auf das Geithainer Festival sind allerdings Steeproad, die im achten Festivaljahrgang nun schon zum fünften Mal auf der Bühne stehen. Dauerfestivalgänger werden die Metamorphose der Bad Lausicker also sicher mitbekommen haben: Was früher eher in alternativen, teils grungigen, teils angepunkten Gefilden angesiedelt war, ist mittlerweile einem intensiven Postrock gewichen, der trotz nur seltenen Verlassens der Midtemporegionen jede Menge Energie transportiert, allerdings partiell auch austauschbar zu klingen beginnt. Das im Dreivierteltakt gehaltene "Maze" und der mit einem hitverdächtigen Refrain ausgestattete Closer "Entry To Identity" stechen unter den sieben Songs heraus, der Rest erzeugt zwar interessante Klangwände, die auch professionell umgesetzt werden, aber hier und da den Keim zur Monotonie in sich tragen. Die beiden Gitarristen liefern intensives Geschrei als Backings (meist unisono - auch da könnte man Variabilität einbasteln), der meist klare, oft hohe Leadgesang stammt von einem Sympathikus, der zudem mit kurzen, aber guten Ansagen punktet und das Publikum vor Song 6 einfach fragt, ob es nicht mal näher zur Bühne kommen wolle - und plötzlich ist es dort voll. Man muß halt mitunter einfach nur einen Anstoß geben ... Professionell agieren Steeproad zweifellos (für den zu distanziert abgemischten Leadgesang können sie ja nichts), und ihre weitere Entwicklung darf mit Spannung verfolgt werden.
Emeth spielen an diesem Abend ihren ersten Gig überhaupt, aber sie haben sich bei den Großen offensichtlich einiges abgeschaut, vor allem im optischen Bereich - da steht halt der Sänger den ganzen Gig in klassischer Pose mit einem Fuß auf der Monitorbox ... Musikalisch spielen die Burgstädter eine völlig skurrile Mixtur aus Mathcore und längeren Ufta-Ufta-Punk-Passagen - das ist zweifellos originell, aber die anderen Bands wissen vermutlich schon, warum sie das nicht auch so machen. Jedenfalls hinterläßt das Gemisch eher ungläubiges Kopfschütteln, wenn gerade mal wieder eine Tempowechselvorbereitung ins Nichts geführt hat oder umgekehrt ein Wechsel aus dem Nichts geschossen kommt und von drei anderen auf dem Fuße gefolgt wird. Der Sänger bringt es zudem fertig, die erste Strophe des ersten Liedes zeilenweise in vier verschiedenen Gesangsstilen von Klar bis Grunz zu intonieren, womit für den Rest des Sets alles gesagt ist. Von Doom in Stillstandsnähe bis zu wildem Geprügel wird auch temposeitig alles aneinandergereiht, was nicht bei drei auf den Bäumen ist - der noch arg jung aussehende Drummer hat allerdings den Vorteil, daß er das alles timingsicher spielen kann und daß der Soundmensch auch zuläßt, daß man im Publikum das hört. Die Gitarren nämlich kommen viel zu undifferenziert aus den Boxen geflogen. Im Closer verlassen die Musiker einzeln die Bühne, zum Schluß gibt es noch eine funky Session zwischen Baß und Schlagzeug. Emeth haben allerdings offenbar ihren gesamten Fanclub mitgebracht, dessen Mitglieder vielleicht auch durch mehrmaliges Hören der Songs darin den anderen Zuhörern verborgene Strukturen entdeckt haben. Jedenfalls bildet sich bald ein Moshpit, die Band wird gefeiert und mit lauten, aber zeitplanbedingt nicht erfüllbaren Zugabeforderungen bedacht.
Bei Beyond Precipice verschlechtert sich der Sound weiter: 10 Sekunden lang ist er schön klar, dann wird er dumpf und bleibt das mit kurzen Unterbrechungen auch. Schade um den netten Poprock des klar evangelistisch ausgerichteten Quintetts, von dem diverse Feinheiten im Orkus verschwinden, nicht zuletzt auch seitens der Sängerin - nur leider nicht so viel, daß man auch den fürchterlich mißglückten Schluß von "Es tut mir leid" hätte überhören können. Fragen werfen auch die herb geshouteten Backings des Keyboarders in zwei Songs auf, die sich nicht so recht ins Material einpassen wollen, wohingegen die auffällige Baßarbeit durchaus zu überzeugen weiß. Insgesamt bleibt hier vieles sehr harmlos, was in bestimmten Kontexten sicher gut funktioniert, aber ein unbekanntes Publikum unter schwierigen Soundbedingungen kaum zu packen vermag. Was Beyond Precipice tatsächlich draufhaben, zeigt der Closer des Sets, zurückhaltend beginnend, aber dann in flotten Rock'n'Roll umschlagend und prompt diverse Bewegungsaktivitäten vor der Bühne erzeugend.
Der Soundcheck von Against The Flow läßt Melodic Death Metal erwarten, wenn man den Gitarrensound als Maßstab nimmt, der geschmackssicher in ein World To Ashes-Shirt gehüllte Gitarrist und das mystisch-epische Intro taugen auch als Verdachtsmomente in diese Richtung - aber dann erschallt überraschenderweise Emo von der Bühne. Wenigstens ist es guter mit annehmbarem Professionalitätslevel, aber ohne die genretypische Weinerlichkeit. Das Energielevel paßt, obwohl der Sound auch hier kaum mehr als mäßig ist und man die Rhythmusgitarre gegen Setende überhaupt nicht mehr hören kann. Ein einnehmendes Wesen und starke Songs ziehen den Klangkarren wieder aus dem Dreck, und der Closer "Enough" setzt mit seinem postrockigen Anstrich das Tüpfelchen aufs i. Nur die eingebaute Minipredigt in der Ballade "Father's Song" zerstört den ergreifenden Charakter dieses Songs ein wenig, anstatt ihn wie geplant noch zu befördern - gut gemeint halt ... Trotzdem ein sehr starker Gig, der auch mancherlei Moshpits auslöst (nochmal zum Mitschreiben: bei einer Emo-Band!) und die Musiker aus dem Raum Pirna als regionale Hoffnungsträger etabliert - der Wunsch, sie nochmal unter optimalen Soundverhältnissen zu sehen, dürfte nicht nur beim Rezensenten zurückgeblieben sein.
Die Jury zieht sich zur Beratung zurück, die Bandwertungszettel werden ausgezählt, und derweil spielen Cardiotonic, die 2009 den Publikumspreis gewonnen hatten. Der Rezensent war 2009 zur fraglichen Zeit in den Bergen Kaukasiens unterwegs und daher nicht vor Ort - angehörs des Gigs an diesem Abend erscheint aber schleierhaft, wie Cardiotonic damals gewonnen haben können. Gewiß, auch sie haben wieder unter dem Sound zu leiden, der viel an Differenzierung gerade in den Gitarren wegnimmt, aber sie walzen ihre zweifellos vorhandenen guten Ideen viel zu weit aus und werden damit arg langatmig, vor allem in der ersten Sethälfte. Den gelangweilten Eindruck unterstreicht die Sängerin, die den kompletten ersten Song des Sets mit der rechten Hand in der Tasche bestreitet. Immerhin kann sie singen und harmoniert auch gut mit ihrem gitarrespielenden männlichen Gesangspartner. Irgendwann dämmert der Band offenbar selber, daß es so nicht weitergehen kann (auch die Publikumsreaktionen sind anfangs recht zäh ausgefallen), und siehe da, in der zweiten Sethälfte klingt der Poprock mit Indieschlagseite doch etwas differenzierter und fokussierter, der Gitarrist und der Drummer tauschen auch mal ihre Instrumente, und die Stimmung vor der Bühne wird deutlich besser, so daß sich auch hier sogar ein Moshpit bildet (nochmal zum Mitschreiben: bei einer Indie-/Poprockband!) und der Gig doch noch versöhnlich endet.
Das Urteil fällt letztlich folgendermaßen aus: Steeproad gewinnen den Jurypreis, und Emeth schlagen, da sie wie erwähnt offenbar ihren ganzen Fanclub angekarrt haben, in der Publikumswertung Against The Flow mit zwei Stimmen Vorsprung. Den Abschluß des Abends bildet Chillmusik in der dem Pfarrhof benachbarten Nikolaikirche, die sich der Rezensent allerdings spart.



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