www.Crossover-agm.de CAFE JAZZ: Achtzehndreißig
von rls

CAFE JAZZ: Achtzehndreißig   (Soundso/NMD)

Das ist mal wieder so eine Scheibe, wo der Rezensent aus freien Stücken niemals auf die Idee gekommen wäre, mal hineinzuhören. Jazzspezialist ist er bekanntlich nicht, Kaffee trinkt er auch nicht, in Cafés treibt er sich auch nur höchst selten herum, Kaffeehausmusik hört er kaum mal, und weder das völlig unauffällige Cover noch das Bandfoto auf dem Backcover, wo fünf kurzhaarige und teilweise mit Karohemden bekleidete Gestalten etwas gezwungen in die Kamera blicken, hätte ihm irgendeinen Hineinhöranreiz geboten. Aber er hat die CD halt zum Rezensieren (oder zum Verteilen innerhalb der Redaktionsmannschaft) zugeschickt bekommen, gönnt ihr ergo zur Ermittlung des geeignetsten Rezensenten einen Hördurchlauf - und beschließt danach, das Review doch selber zu schreiben, denn Cafe Jazz klingen völlig anders als erwartet, und sie sind vor allem eins: gut. Sie spielen zunächst mal keinen Jazz, sondern Pop mit gelegentlicher leichter Rockschlagseite und klingen bisweilen wie die etwas weniger stromlinienförmigen kleinen Brüder von Silbermond, mit denen sie übrigens auch die Herkunft teilen, nämlich die Lausitzmetropole Bautzen. Wenn man ihnen denn einen Jazzeinfluß andichten will, könnte man natürlich ins Feld führen, daß sie mit Steve Kuhnen einen festen Saxophonisten in der Band haben, was für ihr eigentliches Genre ja durchaus ungewöhnlich ist und was nicht mal die Intellektuellenfraktion der Hamburger Schule häufiger praktiziert hat. Kuhnen spielt dabei hauptsächlich die Instrumentalsoli und unterstützt markante Passagen wie einige der Refrains, ist ansonsten aber wenig in die Songstrukturen eingebunden, was die interessante Frage aufwirft, wie die Band das live löst. Die kann der Rezensent in Kürze beantworten: Cafe Jazz spielen am 29.9.2012 beim vom CrossOver präsentierten Standing On A Rock-Festival in Mölbis. Sänger Jan-Philipp Schneider bedient nebenbei auch noch das Keyboard, das, mal als simples Piano, mal Bombasttürme aufbauend, deutlich intensivere Strukturarbeit leistet, wobei er selbst mit seiner Stimme aber im Mittelpunkt bleibt. Die offenbart freilich einen Nachteil: Sie ist gut, aber wenig eigenständig und summiert vielleicht auch etwas zu unauffällig. Textlich schafft es der Sänger allerdings, sowohl die Proletenfraktion als auch die Hyperintellektuellen unbedient zu lassen und einfach nur hübsche Geschichten zu erzählen, wenngleich noch nicht jedes sprachliche Bild so sitzt, wie es soll. Aber wir reden hier über ein Debütalbum, und da sollte für die Zukunft noch etwas Entwicklungspotential offenbleiben, sofern man nicht zu den Begnadeten gehört, die schon mit ihrem Debütalbum einen unübertreffbaren Klassiker erschaffen haben. Daß Jan-Philipp nun gerade in "Alles beim Alten" in einen leicht angestrengt wirkenden Sprechgesang verfällt und dieser Song dann auch noch als Single ausgekoppelt wird, mag ein Kniefall vor den Gesetzen der heutigen deutschen Popbranche sein, aber da verbiegen sich andere viel mehr, um "marktgängig" zu musizieren. Im Großteil des Songmaterials legen Cafe Jazz nämlich eine beeindruckende Leichtigkeit an den Tag, die den Großen des Geschäfts in der täglichen Routine längst abhandengekommen ist. Immerhin schaffen sie es, das anfangs dancefloorverdächtige "Beweg dich" noch in eine erfreulich wenig stromlinienförmige, aber dennoch tanzbar bleibende Richtung zu entwickeln, wozu mal wieder das Sax sein Scherflein beiträgt, wo allerdings auch noch ein Streichquartett zum Einsatz kommt, wobei der Saxer auch für die Arrangements der klassischen Instrumente (eingesetzt in fünf der elf Songs) verantwortlich zeichnet. Zudem besitzen die Kerls offensichtlich einen guten Musikgeschmack - jedenfalls lehnen sie "Viel mehr" gleich im Intro strukturell so sehr an Toto an, daß jeder Anhänger von Lukather & Co. mit der Zunge schnalzen wird. Am stärksten zu überzeugen wissen allerdings die beiden großen Epen der Scheibe: das siebenminütige "Weit draußen" gleich an Position 3 und das fünfeinhalbminütige "Sonne", das am Ende der Scheibe nach leicht holprigem Intro noch die Titelgeberin aufgehen läßt und den einen oder anderen schwächeren der elf Tracks locker wieder vergessen macht. In "Laterne" zitieren Cafe Jazz dann noch einen bekannten Kinderliedklassiker, schaffen daraus dann aber etwas Eigenes, was sich auch als Anspieltip für die Anhängerschaft der Hamburger Schule eignet, selbst wenn es in einem Bombastrockfinale mündet. In einer gerechten Welt würden diese Bautzner hier jedenfalls ähnlich viel Airplay bekommen wie ihre großen Schwestern und Brüder vom silbernen Mond, aber vielleicht schaffen sie das ja irgendwann mal noch und bleiben dabei trotzdem schön unverkrampft. Das kryptisch betitelte "Achtzehndreißig" zu übersehen wäre für den Genrefreund jedenfalls ein grober Fehler.
Kontakt: www.cafe-jazz.de

Tracklist:
Ich danke dir
Viel mehr
Weit draußen
Herbstzeit
Alles beim Alten
Beweg dich
Überall
Soweit
Wenn du jetzt gehst
Laterne
Sonne



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver