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Hubert von Goisern   08.02.2012   Leipzig, Haus Auensee
von rls

In gewissen Abständen erfindet sich Hubert Achleitner ja immer wieder neu, und nach den Großprojekten rings um die Linz-Expo und die Schiffstouren stand ihm diesmal wieder der Sinn nach übersichtlichen Strukturen, ohne aber die zwischenzeitlich offensichtlich liebgewonnene rockende Power einzubüßen. Ergebnis war das als Quartett eingespielte und sehr stark aufs Basische reduzierte "EntwederUndOder"-Album, wonach man gespannt sein durfte, was denn von der nach dem Albumopener "Brenna Tuats Tour" getauften Konzertgastspielreise zu erwarten sein durfte Eine erkleckliche Zahl von Menschen stellte sich an einem kalten, aber niederschlagsfreien Mittwochabend in Leipzig die gleiche Frage.
Punkt 20 Uhr geht das Licht aus, Jubel brandet auf, und Hubert von Goisern kommt auf die Bühne - ohne bombastisches Intro, einfach so, unprätentiös. Und in diesem Stil geht's auch weiter, wenngleich mit Abwandlungen: Das Material der neuen Scheibe dominiert die erste Sethälfte, aber hier und da wird die reduzierte Struktur doch durch bestimmte stärker betonte Elemente bereichert. Der Chef weiß natürlich um die Stärken seiner Mitstreiter und wäre unklug, würde er diese nicht in die Waagschale werfen. Und das ihn begleitende Trio kennt man bereits von den letzten Touren: Alex Pohn am Schlagzeug, Helmut Schartlmüller am Baß und Severin Trogbacher an der Gitarre, alle drei Jungspunde mit jeder Menge Power im Hintern, wenn's drauf ankommt, aber zugleich mit der Fähigkeit, sich im richtigen Moment zurückzunehmen und entweder ihren bestens bei Stimme befindlichen Chef in den Mittelpunkt zu stellen oder die Dynamik generell ganz weit unten anzusiedeln, um das Publikum einer Entschleunigung zu unterziehen. Auch Hubert selbst hat sein Instrumentarium um eine markante Komponente reduziert: Die Blechblasinstrumente mußten zu Hause bleiben, aber das Akkordeon ist natürlich immer noch da, eine Klarinette kommt dazu, recht häufig unterstützt er Severin mit einer zweiten Gitarre, und auf ein Gestell Marke Eigenbau plaziert Backliner Hannes, der einiges an Transportarbeit zu verrichten hat, mal ein Keyboard, mal ein Lapsteel. Dazu kommt ein anderer Gag: Im Solo von "Indianer" hält Hannes ein Tablett mit verschiedenen Kuhglocken vor Hubert hin, und dieser spielt darauf das Hauptsolo, indem er blitzartig die richtige Glocke greift, schüttelt und wieder hinstellt - ein technisches Kabinettstückchen erster Klasse! "Indianer" weicht mit seinen Countryanleihen auch stilistisch am stärksten von der generellen Linie der ersten Sethälfte ab, die da "Bluesrock" heißt. Der fällt mal hart und zupackend, mal sehr zurückhaltend aus und entlockt dem Publikum, das zu zwei Dritteln übrigens Sitzplätze zwischen Bühne und Mischpult eingenommen hat, während das restliche Drittel an den Rändern und hinter dem Mischpult steht, zwar mehr als nur freundlichen Applaus, aber keine überbordernde Begeisterung. Zudem redet Hubert zwischen den Songs etwas zuviel - nicht jeder der Schwänke aus seiner Jugendzeit trifft so richtig ins Schwarze, wenngleich sie dem Hörer schon mehr als nur ein Schmunzeln entlocken, sofern dieser sie denn versteht (mit der Dialektstruktur der Sprache kokettiert er mehrfach, etwa wenn er erzählt, daß er am Nachmittag vor dem Konzert von einem Einheimischen durch Leipzig geführt worden sei, aber von dessen Erklärungen praktisch nichts verstanden habe). Irgendwie markiert dann die entschleunigte Janis-Joplin-Coverversion "Mercedes Benz" (wieder mit brachialem Mittelteil, den Rammstein auch nicht apokalyptischer hinbekommen hätten, ohne lächerlich zu wirken) einen Wendepunkt im Set: Hubert redet nicht mehr so viel, sondern läßt die Musik sprechen. Und die tut das laut und intensiv: Die verrockten Traditionals, von denen einige gleich medleyartig zusammengefaßt werden, lösen die Blockade des Tanzbeins bei zumindest Teilen des stehenden Drittels, richtige Begeisterung brandet auf, und der Rezensent schafft die Wiederholung des 2002 bei den Randfichten in Zwickau geführten experimentellen Beweises, daß man gleichzeitig schunkeln und headbangen kann. "Brenna tuats guat" als Setcloser fügt sich erstklassig in diesen Reigen ein und wird noch durch ein Drumsolo von Alex Pohn bereichert, bevor sechs Zugaben den 135minütigen Gig abrunden. Und als erste der sechs kommt tatsächlich "Koa Hiatamadl" - nicht in irgendeiner Fassung, sondern einer Speedversion, die an die 2008er Kollaboration mit Zdob Si Zdub erinnert und dem bewegungsfreudigen Zuschauer eine hohe Energieleistung abverlangt, ihn dafür mit einer Krankenhausgroßpackung Endorphinausschüttung belohnend. Nicht alle Tourorte dürfen sich dieses Genusses erfreuen, wenn man die Liveberichterstattung verfolgt - Leipzig darf es, und das ist klasse. Aber was soll danach noch kommen? Nun, doch noch einiges: "Weit, weit weg" etwa erdet das Publikum wieder und erzeugt das Wegschwebepotential aus anderen Gründen, "Hearst is nit" entfaltet ähnliche Qualitäten, und mit einem mehrstimmigen A-Cappella-Jodler entläßt das Quartett das zufriedene Publikum (unzufrieden konnte man allenfalls sein, wenn man auf die Wiedergabe von Material bestimmter außen vor gelassener Epochen gehofft hatte - so steht erstaunlicherweise kein einziger Song des "S'Nix"-Albums im Set, obwohl alle vier Bühnenaktiven zu dessen Originaleinspielern gehörten) aus der warmen Halle in die kalte Nacht. Fein gemacht!



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