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Dream Theater, Periphery   30.01.2012   Berlin, Columbiahalle
von CSB

Alle zwei Jahre ist das Traumtheater in der Stadt! Diese verzückende Regelmäßigkeit ward aber jäh unterbrochen durch den in der traditionell recht skandalarmen Progszene beinahe spektakulären Ausstieg von Drum-Gott Mike Portnoy und der damit einhergehenden Verzögerung in der sonst so steten Bandhistorie. Kaum vorstellbar war zunächst das Weiterexistieren der Proginstitution ohne den Mentor, den Ideengeber und heimlichen Frontmann, dem neben Gitarrist Petrucci eigentlichen Gesicht der Band. Doch man fand würdigen Ersatz im begnadeten Mike Mangini (zu verfolgen in der Superdrummer-Castingshow "The Spirit Carries On") und produzierte mit "A Dramatic Turn Of Events" ein beinahe klassisches DT-Album, das sich durchaus nicht hinter den letzten Outputs verstecken muss. Dennoch, auf die Live-Taufe der "neuen" Dream Theater war ich mehr als gespannt, musste mich aber noch ein wenig gedulden, denn zunächst waren die Roadrunner-Kollegen von Periphery an der Reihe. Und die spielen einen engagierten und ziemlich komplexen Mix aus Metal-Core und Modern-Prog, auch wenn sie die nicht ganz ausverkaufte Columbia-Halle, gelinde gesagt, nicht gerade zum Kochen brachten. Die Jungs aus Bethesda wollten mit ihrem modernen Einschlag nicht so recht zum eher traditionellen Prog-Publikum passen und so ist es eben auch ein bisschen bedauerlich, dass man nicht wie in der Vergangenheit auf verwandte Acts wie Riverside, Symphony X, Spock's Beard oder zuletzt Opeth gesetzt hatte. Schon witterte man einen vom Label ausgesuchten Support, doch siehe da, es gibt doch eine Verbindung - Gitarrist Jake Bowen ist der Neffe von John Petrucci, was bei der Wahl der Band wohl auch eine Rolle gespielt haben dürfte. An Periphery jedenfalls liegt's nicht, daß das Publikum eher gleichgültig reagiert. Die sechs Songs siedeln sich irgendwo zwischen Fear Factory, Tool und Killswitch Engage an und strotzen nur so vor Energie, kleinen Vertracktheiten und Kabinettstückchen. Mit dem überlangen "Racecar" hatte man sogar ein kleines Epos am Start und nach getaner Arbeit werden die Amis dann schließlich auch anständig verabschiedet.

Jordan Rudess

James LaBrie

Der Neue: Mike Mangini

Die Saitenfraktion
Nach ziemlich kurzer Umbaupause enthüllt sich in der Mitte der Bühne das gigantische, von amtlichen Traversen zusammengehaltene Mangini-Set. Drei würfelförmige Screens zeigen wie schon des öfteren in der Vergangenheit einen herrlich selbstironischen Dream Theater-Comic zum Song von Soundtrack-Guru Hans Zimmer "Dream Is Collapsing". Der Einstieg ist mit dem atmosphärischen und treibenden "Bridges In The Sky" hervorragend gewählt, meiner Einschätzung nach der beste Song der neuen Scheiblette. Und alles ist angenehm vertraut - der Sound natürlich wie immer perfekt, Petrucci steht rechterhand mit einem Bein auf seiner Metalkiste und spielt süffisant grinsend unmenschliche Soli. Tastenwizard Jordan Rudess wechselt aller drei Takte den Synthie in seiner riesigen Technikabteilung, der spielerisch völlig perfekte aber unglaublich schüchterne John Myung fällt kaum auf und James LaBrie singt weitgehend souverän und wirkt im Vergleich zu früheren Touren deutlich weniger unnahbar und steht deutlich mehr im Fokus als noch in der Vergangenheit. Wohl einer der ganz wenigen, die Portnoy keine Träne nachweinen. Denn natürlich fehlt eine solche Ausnahmefigur gerade live mit seiner Präsenz, seiner Ausstrahlung, der spielerischen Wucht und seinem hallenfüllenden Charisma. Technisch kann man dem äußerst engagiert wirkenden Mike Mangini aber nichts vorwerfen, was er im Verlauf des Sets mit einem starken Solo unterstreicht.
Das neue Album ist mit dem sehr mitsingkompatiblen "Outcry" (unterlegt mit Videos vom arabischen Frühling), der ersten Single "On The Back Of Angels", dem vielleicht einzigen echten Schwachpunkt im Set "Build Me Up, Break Me Down" und der "Learning To Live"-Remineszenz "Breaking All Illusions" ausreichend repräsentiert. Daneben ist aber auch Platz für ganz alte Prachtstücke. Auf "6:00" hätte man kaum zu hoffen gewagt, das unglaublich energisch gespielte "A Fortune In Lies" elektrisiert auch bald 25 Jahre nach seiner Veröffentlichung bis in die Haarspitzen und "Surrounded" bleibt unbestreitbar ein elementarer Klassiker der Proggeschichte. Mit Letzterem tut man Herrn LaBrie allerdings wirklich keinen Gefallen mehr. Die schwindelerregend hohen Töne im Zwischenteil sind auch an seinen normalen Tagen kaum noch wirklich erreichbar. Heute entschuldigt er sich mit großem Pathos, er sei zwar an einer hässlichen Erkältung erkrankt, aufgrund seiner langen und tiefen Verbindung mit den deutschen Fans gebe er aber dennoch ALLES, was er noch habe. Ein echter Sympath wird der Kanadier nicht mehr, dafür gefällt er sich zu sehr in der Rolle des vulnerablen Sängers, aber trotz Erkältung über zwei Stunden kraftvoll und überwiegend gut bis erstklassig zu singen, das schaffen eben auch nur Könner. Beeindruckender ist der Fronter ohnehin im Akustikteil mit Rudess und Petrucci, insbesondere beim ergreifenden "Wait For Sleep" und dem live deutlich gewinnenden "Far From Heaven" von der neuen Scheibe. Die gesamte Band hat technisch gesehen ihre größten Momente beim unfassbar vertrackten "The Dark Eternal Night", bei dem die Screens die Großmeister in Nahaufnahme, z.B. Petruccis Griffbrett, zeigen - DIE Sternstunde für die zahlreich anwesenden Musikschullehrer mit ihren Schülern … Emotionaler Höhepunkt ist wie schon in den letzten Jahren aber die intensive Mitsingballade "The Spirit Carries On". Eine kollektive Gänsehaut erfasst die Fans, als nach Petruccis Solo die ganze Columbiahalle in weißes Licht getaucht wird zu den finalen Lines "Safe in the light that surrounds me..." Das sind große Momente im Fanleben, und wie viele Progbands sind zu sowas schon imstande?
Die Zugabe fällt mit der Metallica-Hommage "As I Am" ein bisschen enttäuschend aus. Wann endlich kommt "Metropolis Pt. 1" mal wieder in einen Set, dem ich beiwohne? Luxusprobleme - Dream Theater liefern trotz großer Umbrüche einen grandiosen Set hin, der nahe an dem ist, was man unter Perfektion versteht. Spielerische Meisterschaft gepaart mit großer Leichtigkeit, einer ausgewogene, begeisternde Setlist, dezenter und dennoch äußerst atmosphärischer Bühnenshow und ein erstklassiger, druckvoller und kristallklarer Sound. Immer wieder gern!!

Setlist:
1. Intro: Dream Is Collapsing (Hans Zimmer)
2. Bridges In The Sky
3. 6:00
4. Build Me Up, Break Me Down
5. Surrounded
6. The Dark Eternal Night
7. Drum Solo
8. A Fortune In Lies
9. Outcry
10. Wait For Sleep
11. Far From Heaven
12. On The Backs Of Angels
13. War Inside My Head
14. The Test That Stumped Them All
15. The Spirit Carries On
16. Breaking All Illusions
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17. As I Am



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