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Edguy, Kissin' Dynamite, Kleveland   07.10.2011   Langen, Stadthalle
von gl

Das Plakat zur Show
Der Joker ruft und die Narren strömen? Als ich in den Katakomben der Halle auf der Tür eines Umkleideraums einen Zettel mit der Aufschrift "Kissin' Dynamite" lese, bin ich doch leicht verwirrt, und da stapft mir auch schon Sänger Hannes Braun entgegen und klärt mich auf, dass sie noch äußerst kurzfristig engagiert wurden. Hintergrund: James Kottak ist heute nicht hier, die Scorpions haben am Folgetag eine Show in Rumänien und das Risiko eines zu knapp eingeflogenen Drummers wollte man nicht eingehen ... Nach den wortreichen Ankündigungen und der Eigenwerbung von ihm hatte ich mich grundsätzlich darauf gefreut, so dass die Absage etwas komisch wirkt, und er hatte doch extra 'n Edguy-Shirt angezogen auf dem Backcover von seiner neuen CD "Attack" … Aber ein sehr feiner und vor allem fairer Zug von Edguy, ihren Fans heute einen Bonus zu liefern und nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. Für solche (gar nich mal) Kleinigkeiten mag ich das Edguy-Camp einfach!
Ein paar Sätze zur "Neuen" Stadthalle Langen - wie sie jetzt heißt: Sämtliche Neuerungen sind Verschlechterungen: Unten muss der Kartenverkäufer vom Hallenbad nebenher die Gästeliste vom Konzert mitmachen, dann sind nach dem wie üblich extrem lahmarschigen Einlass (schon mehrfach speziell hier erlebt, ich hab mal von den Poodles noch einen Song mitbekommen, OBWOHL ich pünktlich da war!) die Toiletten abgeschlossen (!?); Lösung: Man soll sich eine Auslasskarte geben lassen, raus, Treppe runter und wieder zurück, welch ein Unfug. Früher hat das Frankfurter Urgestein Singh hier mal Würstchen gegrillt und zum günstigen Kurs vertickt - nix dergleichen anno 2011. Die zudem für die Bands bequeme Cafeteria ist geschlossen, was bedeutet, dass die Vorbands, wie heute Kleveland, draußen um die Halle herum laufen müssen, wer hat sich den Quatsch nur ausgedacht?

Heute alleinige Frontfrau: Stephanie Smith (Kleveland/Kottak)  Francis Ruiz (ex-Samantha 7, Motörhead-Ersatz-Drummer) - hier mit KLEVELAND

Und einen deutschen Bassisten haben sie sich in die Band geholt  Stephanie erledigt den unerwarteten Job gut
Der "Rest" von Kottak ist aber natürlich trotzdem da und spielt auf - wenigstens wird auf das Aufhängen des großen Kottak-Banners verzichtet, das wäre dann wirklich albern gewesen. So spielen Stephanie Smith, die das ja auch schon 'n paar Jahre macht, Drummer Francis Ruiz (ex-Samantha 7, Great White, Tourdrummer von Motörhead etc.) und ein deutscher Bassist einen kleinen Set und zocken ein paar Kleveland- (Stephanies eigene Band) und Kottak-Songs. Dabei vermitteln sie keineswegs, dass dies heute eine Notlösung ist, sondern Stephanie, in ein altes Iron Maiden-Leibchen und einen Leder-Minirock gewandet, peitscht die Meute auf und heizt ihr gut ein. Sie bewegt sich trotz ihrer Plateauschuhe flink über die Bühne und springt sogar rum, mutig. Obwohl vermutlich so gut wie keiner das Material kannte, schafft es das Trio, mehr als Wohlwollen zu erhalten, es gibt Applaus, der nicht nur höflich spendiert wird. (Man stelle sich jetzt noch Derwisch James Kottak dazu vor, der auf der Bühne rumrennt, die Leute animiert und singt - aber ok.) Auch so sind's die drei zufrieden, wie sie hernach berichten, und laden mich ein, doch noch auf 'ne Show zu kommen, wo James selbst dann auch anwesend sein soll - klappte aber leider nicht. (Aufgrund der unschönen Trennung von seiner Gattin Athena sieht die Band Kottak im übrigen 2011 total anders aus als noch 2010, als sie hier vor kleinen Grüppchen aufspielte.)

Hannes Braun (Kissin' Dynamite) ...  ... und sein Bruder Ande Braun

Old-school-Attitüde ist KEINE Frage des Alters: Bassist Steffen Haile  ... und Poserkönig Jim Müller!

Ja, das wurde auch geboten!
Als Tobias, Dirk und Jens 1992 ihre Band gründeten, waren sie im selben Alter (14) wie die Jungs von Kissin' Dynamite zehn Jahre später. Vielleicht auch deswegen die "Verbundenheit" - kann mich erinnern, dass Herr Sammet auch bei der Warm-Up-Show in Balingen war, als Kissin' Dynamite einmal mehr abräumten. (Sorry, ich mag Brainstorm, aber an dem Abend gab's mehr Begeisterung für die Youngster.) Deren Erfolg kommt nicht von ungefähr: Die Schwaben haben es innerhalb von nicht einmal zwei Jahren geschafft, durch stets überzeugende Liveshows mit enormem Energiepotential nicht nur auf den Festivals wie Bang Your Head oder Rock Of Ages mit großen Bühnen klarzukommen. Nein, sie haben auch den durchweg älteren Bands (bestes Beispiel: Heat-Festival 2009) die Show gestohlen, so dass sie kürzlich sogar nach 5 Alte-Hasen-Bands das Swabia-Rocks-Festival als Headliner beschlossen. Das muss man erstmal hinbekommen! Auch heute sind sie top-motiviert und steigen quasi als Überraschung (kaum einer in der Halle weiß voher, dass sie spielen, außer er hat hinten bei Hannes' Freundin am Merch-Stand vorbeigeschaut ...) fulminant wie immer in ihren Auftritt ein. Dass die sich nicht ständig über den Haufen rennen, bei dem Alarm und den ständigen Rochaden, die sie machen, grenzt schon an ein Wunder. Hannes post wieder wie ein Großer und sein Bruder Ande mimt wie immer die coole Sau oben ohne (der fährt vermutlich auch so Schlitten) - nebenher singt er noch. Auf der linken Seite der Bühne hauen sich wieder Basser Steffen und der andere Gitarrist Jim Müller die Köppe aneinander, was mit ihren langen Haaren natürlich gut kommt: Bang Your Head in Reinkultur, das können wir Älteren mit unserem schütteren Haupthaar nicht mehr :-) Trotz der Begeisterung und meiner Zufriedenheit habe ich einen klitzekleinen Kritikpunkt an Hannes, bei aller Freundschaft nehme ich mir das raus: Zweimal hast Du es übertrieben mit den hohen Schreien. Wir wissen alle, dass du die Screams drauf hast - aber bitte mehr singen. Einmal mehr ein überzeugender Auftritt von Kissin' Dynamite, und auf die 3. CD, die Anfang 2012 dann bei AFM erscheinen wird, darf man gespannt sein.

Tobias Sammet (ölt schon nach dem 1. Song aufgrund des schweren Mantels)  Jens Ludwig (endlich mal in gescheitem Licht!)

Eggi und Felix: Triumphzug unter dem Joker!  Dirk Sauer

Tobi lässt die Fans singen ...  Die Setlist
Nach fast ein klein wenig zu langer Umbaupause grinst uns dann der Joker vom Albumcover in Übergröße an und Eggi macht die dazu passenden Grimassen beim Opener "Nobody's Hero". Tobias Sammet kommt wie bei der letzten Tour in einem schweren Mantel auf die Bühne und behält den auch an, obwohl er schon nach dem ersten Song sichtlich schwitzt. Na ja, vielleicht ist der erst kürzlich genesene Sänger noch 'n bisschen erkältet, stimmlich sind jedenfalls keine Begrenzungen zu vernehmen. Auch "The Arcane Guild" ist ein Song von der neuen Platte und hier möchte ich grundsätzlich mal eine Lanze brechen für Bands (ein weiteres sehr gutes Beispiel ist Rage und deren letzte Tour), die viel neues Material auch live spielen. Heute sind es ganze sechs Songs vom Album "Age Of The Joker", welches gerade mal sechs Wochen im Handel ist, incl. des Longtracks "Behind The Gate Of Midnight World" - Hammer! Wobei ich mir nicht mehr sicher bin, ob von "Robin Hood" nun die Single- oder die Album-Version gespielt wurde (ich glaube mich erinnern zu können, dass letzteres der Fall war). Edguy-Hardcore-Freaks werden dies sicher im Forum der Band diskutieren, ich hatte jedenfalls Spaß beim Gig. Natürlich ist der aufbrandende Jubel bei "Tears Of A Mandrake" und speziell "Lavatory Love Machine" wesentlich lauter, gerade weil wir die schon so oft gehört haben und schätzen. Klar freue ich mich auch über die - aber genau so über meinen Lieblingssong von der neuen, nämlich das famose "Rock Of Cashel". Inmitten des Sets kommt das Show-Element: Am Mischpult wird eine Art hydraulischer Thron mit allerlei Schläuchen und Brimborium aufgebaut, den Tobias dann - natürlich beim Song "Superheroes" - besteigt und damit unters Hallendach fährt. Netter Gimmick, den sich die Band sicher einiges kosten ließ. Ach, und übrigens ist ... endlich ... der belanglose Song "Save Me" aus dem Programm verschwunden, das ist die richtige Entscheidung. Das Drum-Solo ist ok, "Ministry Of Saints" und "Vain Glory Opera" beschließen den regulären Set, und selbst Tobias lässt noch 'nen ironischen Kommentar zur "Neuen Stadthalle" Langen ab und auch einer seiner berüchtigten Fußballsprüche in Richtung Eintracht Frankfurt kommt natürlich - ich freue mich inzwischen regelrecht drauf und finde es immer wieder lustig, wie sich andere Schreiberlinge darüber mokieren. Zur Zugabe, welche aus "Land Of The Miracle" und "King Of Fools" besteht, ist es dann eine freudentrunkene Horde mitsingender knapp 1500 (?) Fans, die heute sicherlich alle zufrieden sind und sich reichlich mit dem angebotenen Merch zu fanfreundlichem Kurs eindecken. Fazit: Ein Opener, der aus der Not eine Tugend machte, ein exzellenter Surprise-Act und ein souveräner überzeugender Headliner.

Fotos: Georg Loegler






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