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Wishbone Ash, Shawn Kellerman Band   18.02.2011   Affalter, Zur Linde
von rls

Neben dem Rex in Lorsch gibt es auch noch etliche andere Locations in Deutschland, wo Wishbone Ash auf ihren allwinterlichen Tourneen regelmäßig Station machen, und dazu gehört auch der Gasthof Zur Linde in Affalter, einem relativ kleinen Erzgebirgsdorf, das seit dem letzten Jahrtausend quasi zu Andy Powells zweiter Heimat geworden ist, wie er verschmitzt bekanntgibt. Komischerweise hat es der Rezensent in all den Jahren noch nie zu einem der Wishbone Ash-Gigs dort geschafft, obwohl die Band bekanntlich zu seinen Favoriten zählt und die räumliche Entfernung durchaus bewältigbar erscheint - aber 2011 ist es nun endlich soweit. Wer freilich 2008 schon dabei gewesen war, könnte sich in einem Zeitsprung wähnen, denn weiland spielte der kanadische Gitarrist David Gogo mit seinem Bluesrocktrio im Vorprogramm, und anno 2011 steht schon wieder ein von einem kanadischen Gitarristen angeführtes Bluesrocktrio ab 21 Uhr (fieserweise nennt die Gasthofshomepage "ca. 21.30 Uhr" als Startzeit, aber der Saal ist 21 Uhr trotzdem schon ziemlich voll) auf der Bühne. Diesmal heißt der Protagonist allerdings Shawn Kellerman und hat sich eine holländische Rhythmusgruppe an Bord geholt, von der der Drummer so sehr wie der unauffällige und etwas unbeholfene Familienvater von nebenan wirkt, daß man schier erstaunt ist, was für ein Klassemusiker sich hinter dieser unauffälligen Optik verbirgt. Star der Dreiviertelstunde ist aber Shawn selbst, der seine Songs quasi nur als Vorwand benutzt, um minutenlange ekstatische Instrumentalsoli, eines abgedrehter als das andere, zu spielen. In Verbindung mit Mimik und Gestik des Glatzkopfes, der irgendwie fast wie Danko Jones aussieht, und seinem bisweilen an Micky Maus erinnernden Gesang entfaltet diese Kombination über die Distanz eines Supportgigs hinweg hochgradigen Unterhaltungswert, der freilich in anderen Situationen (etwa bei Headlinergigs oder auf Konserve) seine Durchhaltequalitäten erstmal noch beweisen müßte. Exzellente Techniker sind jedenfalls alle drei (daß ein Gitarrist, während er mit einer Hand über den Gitarrenhals flitzt, mit der anderen Hand vorn an den Wirbeln dreht und das als musikalisches Stilmittel nutzt, dürfte so ziemlich einzigartig sein - zumindest hat's der Rezensent noch nie gesehen und gute Teile des restlichen Publikums auch noch nicht), und sie bewegen sich zielsicher im Areal zwischen Slowblues, Boogie und zupackendem Bluesrock, nur wird man nie das Gefühl los, hier quasi einer Art komödiantisch aufgeladenem Bluesrock zu begegnen, so überzeichnet spielt Kellerman seine Rollen. Immerhin mal was Neues (das Genre Comedy Blues gibt's ja noch nicht), und Kellerman erntet für Songs wie "Pretty Woman" (kein Cover von Roy Orbison!) reichlich Applaus.
Wishbone Ash haben mal wieder ein neues Album in Vorbereitung, dessen erste Single "Reason To Believe" schon erschienen ist und in der Abwandlung "Make Believe" auch das Tourmotto abgibt, und sie nutzen diesen Umstand zu einer relativ krassen Umkrempelung des Sets, die fast ähnliche Ausmaße annimmt wie die von Manowar auf der Tour im Januar 2010. Neuere Songs mit Entstehungsdatum im aktuellen Jahrtausend, darunter etliche vom gerade wiederveröffentlichten 2007er Streich "The Power Of Eternity", sowie einige eher selten zu hörende ältere Songs nehmen weite Teile des über zweistündigen Sets ein, während einige Classics weichen müssen. Natürlich nicht alle: "Blowin' Free" eröffnet den Reigen, und das weitere klassische unverzichtbare Trio vom "Argus"-Album ist selbstverständlich auch im Set geblieben, wobei der Doppelschlag "Warrior"/"Throw Down The Sword" ziemlich früh gespielt wird und erstaunlicherweise zweitgenannter Song nicht den emotionalen Höhepunkt des Konzerts markiert. Der gebührt zwei anderen Kompositionen, nämlich zum einem dem wieder mal stark ausgedehnten "Phoenix", das den regulären Set abschließt und in dem Muddy Manninen auf seiner Gitarre zaubert, als gäbe es kein Morgen mehr, egal ob gerade Bombastrock oder die emotional ergreifendsten Passagen auf dem Plan des Songs stehen, von denen letztgenannte genau ab dem Moment richtig zu zünden beginnen, als auch der letzte Mensch im Publikum bemerkt hat, daß es unpassend ist, die fast meditative Stimmung mit Zwischenrufen (und seien sie noch so begeisterten Ursprungs) zu zerstören. Der andere emotionale Höhepunkt wird, für den Außenstehenden wohl eher unerwartet, vom wunderbaren Instrumental "Northern Lights" gebildet, als Studioversion auf "The Power Of Eternity" enthalten und der Legende nach in der Küche von Muddy Manninen geschrieben. Wie wichtig der Finne mit dem scheinbar völlig eingeschlafenen Gesicht für die Band mittlerweile ist, wird nicht nur aus dieser Situation deutlich - er ist ein perfekter Gitarrenpartner für Andy Powell, mit dem er die berühmten Doppelleads der Band ganz locker und paßgenau aus dem Ärmel schüttelt, er erweitert die klanglichen Möglichkeiten der Band, indem er einige Soli auf einer Art Hackbrett spielt, und er ist auch noch an den mehrstimmigen Vokalpassagen maßgeblich beteiligt, zusammen mit Bassist Bob Skeat, der erst vier Tage zuvor zum Tourtroß gestoßen ist und sich bei den Gigs vorher vertreten lassen mußte. Sein Dauergrinsen und seine förmlich festgewachsene Baseballkappe hat Skeat natürlich nicht zu Hause gelassen, und da auch Drummer Joe Crabtree erstklassige Arbeit leistet, ist die Basis für einen gelungenen Gig gegeben. Aber sie wird noch verbreitert: Wishbone Ash agieren an diesem Abend zu "viereinhalbt" - sie haben noch einen Gastmusiker dabei, nämlich Andy Powells Sohn Aynsley, der sich als Multiinstrumentalist betätigt und in einigen der Songs wahlweise Keyboards, Congas, Akustikgitarre oder Mandoline spielt. Wirkt er im ersten Song, in dem er etwas zu tun hat, noch fast gelangweilt, weil er hier nur mal kurz ein paar Keyboardteppiche auszurollen hat, so taut er mit dem ersten Congaeinsatz spürbar auf und bereichert den Quartettsound durch einige originelle Elemente. Tja, und dann wäre da natürlich noch Andy Powell, einziges stabiles Bandmitglied der letzten 40 Jahre, ein exzellenter Gitarrist und ein immer noch starker Sänger, der allerdings intelligent genug ist, Skeat und Manninen in mehrstimmigen Passagen auch mal dominantere Rollen zu überlassen und seine eigene Stimme etwas zu schonen - immerhin hat der Tourplan kaum Day-Offs, die Gigs sind lang (obwohl "Northern Lights" nicht das einzige Instrumental im Set ist und auch die Songs mit Gesang immer wieder längere Instrumentalpassagen enthalten), und jünger wird der Mann auch nicht. Showmasterqualitäten hat er auch, die er in der bisweilen etwas schwierigen Kommunikation mit dem Publikum auch braucht (etwa in der Ansage zu "In Crisis", als auf seine Frage, ob jemand der Anwesenden schon mal in einer Krise gesteckt habe, keiner reagiert, was ihn zu einem amüsierten Aufzählen möglicher Krisen von der ökonomischen über die sexuelle bis zur Bandkrise bringt). Apropos Publikum - das ist hin- und hergerissen, wie ein Kommentar aus der Reihe hinter dem Rezensenten beweist: "Das ist ja alles gute Musik, aber ein paar mehr Klassiker könnten sie ruhig spielen." Freilich dürfte mancher Anwesende den einen oder anderen alten Song einfach nicht als solchen erkannt haben, weil dieser sonst eher selten im Set stand - das dramatische "F.U.B.B." von "There's The Rub" fällt etwa unter diese Kategorie. Man applaudiert aber auch bei den unerkannten und den neuen Stücken herzlich, und viele der Neulinge sind auch richtig gut, stilistisch paßgenau konzipiert und bisweilen gar etwas druckvoller als mancher der Oldies ("Warrior" etwa hätte durchaus noch einen kleinen Energieschub vertragen können - ein Phänomen, das einem auch schon auf dem Radiomitschnitt der Komplettdarbietung von "Argus" anno 2008 aufgefallen ist), auch wenn die Stakkatodrums in einigen Passagen von "Reason To Believe" nach einmaligem Anhören noch leicht bemüht wirken. Aber das Gros des Sets überzeugt bei neutraler Betrachtung ohne Wenn und Aber, auch der Sound ist, von einigen Dröhneinlagen der Mikrofone abgesehen, im grünen Bereich, und so läßt man die Band auch nicht ohne zwei Zugaben ziehen, von denen dann doch keine jünger ist als 1973. Wer allerdings danach noch irgendwelche öffentlichen Aktivitäten zu Andy Powells 60. Geburtstag, der justament zur mitternächtlichen Stunde angebrochen ist, erwartet, der wird enttäuscht - der Bandkopf verläßt, von gleich drei schwarzgekleideten Securitymenschen umringt, den Saal mit für die Öffentlichkeit unbekanntem Ziel. In bezug auf die Setlist kann die Frage "Experiment gelungen?" aber nur mit einem klaren "Jein" beantwortet werden, dessen argumentative Basis klar ist: Viele Fans würden am liebsten nur die ganz alten Klassiker hören, andere würden die Band bei dieser Herangehensweise als simple Retrologen abqualifizieren, und die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen respektive gemäß der alten Fußballerweisheit auf dem Platz. Und wenn der Rezensent nach seiner persönlichen Meinung gefragt wird: Ihm hat's gefallen. Punkt.

Setlist:
Blowin' Free
Bona Fide
You See Red
The Power
Can't Go It Alone
Warrior
Throw Down The Sword
F.U.B.B.
In Crisis
Dreams Outta Dust
Northern Lights
The King Will Come
Front Page News
Reason To Believe
Engine Overheat
Phoenix
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Jail Bait
Ballad Of The Beacon



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