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Ganes 02.10.2010 Plauen, Malzhaus
von rls
Die ladinischen Wasserfeen erobern schrittweise auch Deutschland: Sie fangen klein an, ackern sich durch die Clubs der Republik und hinterlassen überall ein begeistertes Publikum, das sich vornimmt, bei der nächsten Gelegenheit in multiplizierter Mannschaftsstärke aufzukreuzen. Den Beweis für diese Theorie gab es etwa in Ulm, wo die Band bei einem Open Air im Sommer so überzeugte, daß der Booker des Roxy-Clubs sie vom Fleck weg für einen Clubgig im Herbst buchte, und wer die Theorie anhand des konkreten Plauener Beispiels bewiesen haben möchte, der komme ganz einfach zum nächsten Konzert der Damen samt männlicher Backingband im Vogtland.
Nun machen es sich Ganes nicht einmal sonderlich einfach. Bekanntlich handelt es sich ja um die drei Mädels, die auf den Schiffstouren Hubert von Goiserns die Backing Vocals gesungen sowie gelegentlich Geige und Percussion beigesteuert haben; auch am aktuellen Studioalbum des Goiserers, "S'Nix", waren sie beteiligt. Und wie jede andere neue Band stehen sie vor dem Problem, ihren Set zu füllen, wenn sie in diesem Stadium bereits Headlinergigs zu spielen haben. Das ist in Plauen der Fall - und Ganes verzichten selbstbewußt darauf, Goisern-Material (das dem Publikum bekannt gewesen sein könnte) oder auch jegliche andere Coverversionen in den Set einzubauen. Statt dessen spielen sie ihr Debütalbum "Rai De Sorëdl" komplett durch und haben damit schon mal eine reichliche Stunde Spielzeit beisammen. Dazu kommt dann noch ein noch unkonservierter, erst im Sommer 2010 komponierter überlanger Song namens "Mai Guai", der als Opener dient und, weil das Publikum nach der unbeschreiblich kuschligen Zugabe "Dorm Sauri" gar keine Ruhe geben will, als Setcloser gleich nochmal gespielt wird. Und dieses "Mai Guai" entpuppt sich als Trumpf! Geriet die Konservenfassung manches Debüt-Songs doch einen kleinen Tick zu stromlinienförmig, so ist hier ein Meisterwerk angedüsterten Progressivesounds entstanden, den man wegen der fehlenden Grundhärte vielleicht nicht Progressive Rock nennen möchte, der aber zweifellos in diese Richtung tendiert und den man unbedingt mal Steven Wilson oder gar Arjen Lucassen vorspielen sollte. Hier wechselt Keyboarder Nick Flade nach der ersten Songhälfte ans Cajón, und auch die drei Damen an vorderster Front üben sich immer mal in instrumentaler Rotation - das ist auch notwendig, denn die Backingband agiert auf der laufenden Tour immer wieder in verschiedenen Besetzungen (je nachdem, wer nun gerade verfügbar ist und wieviel Platz der Veranstalter auf der Bühne hat), und das erfordert eine hochgradige Flexibilität von allen Beteiligten, insbesondere von den drei Frontladys selbst. Aber dieser Aufgabe entledigen sich Ganes, als wäre es eine leichte Pflichtübung - aufeinander eingespielt sind die drei im Schwester- bzw. Cousinen-Verhältnis stehenden und im gleichen Dolomitendorf aufgewachsenen Damen sowieso nahezu blind, und daß sie notfalls a) schnell lernen und b) improvisieren können, haben sie auf der "Goisern Goes West"-Tour ja schon bewiesen, als sie gemeinsam mit einem Stapel Gäste einen Hubert von Goisern-Gig ohne Hubert von Goisern (der akut erkrankt war) durchzogen. An diesem Abend in Plauen geben sie sich jedenfalls gesanglich wie spielerisch so gut wie keine Blöße - einzig in "Motivaziun" sind sie sich bei der Gestaltung mancher auf einen Zischlaut endenden Zeilen mitunter nicht hundertprozentig einig, und selbst wenn die Herren von hinten (zu denen gehört neben dem Keyboarder noch Akustikgitarrist Kilian Reischl) plötzlich mal eine Phrase auslassen, kostet das nur ein kurzes kollektives Lächeln, und alle sind wieder "in time". Die Arrangements funktionieren prinzipiell auch in den an diesem Abend gebotenen Fassungen (den Vergleich zum Studiomaterial kann während des Konzertes außer dem Rezensenten und einer vermutlich an den Fingern einer Hand abzählbaren weiteren Anwesendenzahl wohl eh keiner ziehen), nur an wenigen Stellen hätte man sich den perkussiven Aspekt vielleicht einen Tick dominanter gewünscht, wobei die Dominanz interessanterweise genau dann paßt, wenn nicht Maria Moling Cajón spielt, sondern Nick Flade - ein Soundproblem also, dankenswerterweise auch das einzige des gesamten Sets, denn daß die drei Frontladys akustisch weiter im Vordergrund stehen als die beiden Herren, ist natürlich prinzipiell so gewollt. Und über den Gesang der Damen noch lobende Worte zu verlieren hieße Felsbrocken am Fuße der Nordwestwand des Heiligkreuzkofels aufschichten - ein Stein muß trotzdem hingeschafft werden: Für den Harmoniegesang in der Titelzeile von "Bel Müs" möchte man Elisabeth Schuen am liebsten herzen. Auch die originelle und erwartungsgemäß perfekt umgesetzte stimmliche Nachbildung der nächtlichen Tiergeräusche in "Lüna" verdient eine besondere Hervorhebung (sollte sich in der Backingband mal ein Herr mit deathmetalkompatibler Stimme befinden, könnte der ja noch einen Bären beisteuern :-)). Und überhaupt: Wären Ganes eine gecastete Band, der Caster hätte sich ein gutes Händchen für die Kombination gutschreiben lassen dürfen - einmal römisches Pantheon (Maria Moling), einmal moderne Herrscherin (Marlene Schuen) und einmal über allem schwebende Nymphe (Elisabeth Schuen). Davon läßt sich auch das Publikum beeindrucken, wenngleich es in seiner Gesamtheit eher an das von Japanern bekannte Szenario erinnert: während des Songs hingebungsvoll lauschen (die Mitklatschanimationsversuche von der Bühne verhallen jedenfalls weitgehend ungehört) und zwischen den Songs mit großer, im Verlaufe des Gigs zunehmender Intensität applaudieren. "Ihr seid so brav hier", meint Marlene denn auch schelmisch (aber ohne ändernden Erfolg), und die mit etwas staubtrockenem, natürlichem Humor gewürzte Moderation trägt ihren Teil zum Unterhaltungswert bei (Beispiel: Marlene hat gerade erklärt, daß die dem Bandnamen Ganes zugrundeliegenden Sagengestalten normalerweise eher negativ besetzte Figuren seien, es aber auch gute Ganes gäbe, "so wie uns" - Kommentar von Elisabeth: "Ach so?"). Da stört es auch nicht, daß niemand die in Ladinisch verfaßten Texte versteht - erstens bekommt man in den Ansagen mancherlei zum Inhalt erklärt, und zweitens ist das Malzhaus-Stammpublikum im Rahmen des Folkherbstes sich in unverständlichen Sprachen artikulierende Künstler gewöhnt. Nach den anderthalb Stunden finden jedenfalls gemessen an der eher übersichtlichen Publikumskopfzahl beträchtliche Mengen CDs neue Besitzer, und man begibt sich irgendwie seltsam berührt wieder hinaus aus dem Gewölbekeller, wobei "seltsam" hier als Kompliment zu verstehen ist. Poetischer veranlagte Menschen als der fürchterlich rationale Rezensent hätten vielleicht "verzaubert" geschrieben ... Eine fürchterlich rationale Aufforderung zum Schluß: Wenn sich in der Nähe die Gelegenheit ergibt, ein Konzert der ladinischen Wasserfeen zu erleben - hingehen! www.ganes-music.com hält eine Terminliste bereit.
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