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Mute Nation, Narph, Mental Disease   11.12.2009   Chemnitz, Heilse
von rls

Eigentlich hätten Kashee Opeiah diesen letzten 2009er Gig im Keller des Heilsarmee-Gebäudes in Chemnitz headlinen sollen, aber sie mußten wegen einer Handverletzung ihres Schlagzeugers kurzfristig passen. So rückten die beiden anderen Bands je eine Position im Billing nach oben, und als Opener holte man kurzfristig noch Mental Disease dazu, die ihren Set vor einer Zuschauerzahl begannen, die kleiner war als die Anzahl der Bandmitglieder, wobei im Verlaufe des Sets aber eine Verdreifachung des Publikums gelang, die resultierende Zahl indes immer noch im einstelligen Bereich belassend. Der Rhythmusgitarrist trug wie vor zehn Monaten im ZV-Bunker immer noch oder schon wieder ein Dream Theater-Shirt, und auch sonst hatte sich stilistisch bei dem Quartett nicht viel geändert - oder doch? Der vierte der insgesamt sechs Songs wurde als ein neuerer angesagt, fiel durch seinen besonders episch angelegten Grundaufbau auf und beinhaltete zudem einige Gitarenmelodien mit leicht orientalisch wirkender Note, die man sonst aus dem Schaffen der Truppe noch nicht kennt. Ansonsten herrschte aber wirklich business as usual, soweit man das vernehmen konnte - also soweit es den instrumentalen Bereich betraf: Der bestand aus Metal im Spannungsfeld zwischen Power und Thrash, jeweils mit starker melodischer Schlagseite und leicht proggigem Touch wegen der vielen, aber nicht zu vielen Rhythmuswechsel. Das deutlich zu laut abgemischte Schlagzeug deckte aber viel vom Gesang zu, so daß man zwar die zwei Einsätze von Bassistin Elly (mit pinkfarbenem Baß - am gleichen Abend spielten J.B.O. nur knapp 100 km entfernt, in Leipzig) vernehmen konnte und auch das gelegentliche Gebrüll des Rhythmusgitarristen strukturell zuordnen konnte, vom Leadgesang des Leadgitarristen aber wenig zu vernehmen war und man so nicht entscheiden konnte, inwieweit er seine vor zehn Monaten vor allem in den cleanen Passagen noch deutlich wahrnehmbaren Schwächen hatte ablegen können oder nicht. Angesichts des Konzertcharakters als eine Art öffentliche Probe entschieden sich Mental Disease für eine leicht überdrehte Form der Ansagen; man bot sogar an, "öffentliches Songwriting" durchzuführen, so daß das Publikum nach Songende oder auch mittendrin sein Urteil zu bestimmten Passagen hätte abgeben können. Das Angebot wurde freilich sofort relativiert: Das gelte nur für die noch nicht aufgenommenen Songs, und die waren im Set klar in der Minderheit, so daß es dann doch bei einer "normalen" Konzertsituation blieb.
Narph hatten bereits am gleichen Februarabend nach Mental Disease gespielt, und nach einer urlangen Umbaupause war dem dann auch an diesem Dezemberabend so. Kurioserweise begannen sie mit einer Art ausladender Jamsession, bevor sie dann doch wieder in ihre gewohnten Gefilde des selbsternannten Narph-Metals überwechselten - allerdings war und ist auch diese Variante vom Wechsel zwischen harten, neuthrashigen Passagen ohne Hüpffaktor und ausladenden epischen, teils semiballadesken Parts geprägt. Der Eindringlichkeitsfaktor stimmte, der Sound war deutlich ausgewogener als bei Mental Disease, und zudem vertaten Narph diesmal nicht so viel Zeit mit sinnentleertem Gelaber zwischen den Songs - einige Songs reihten sie von vornherein attacca aneinander, und in den Pausen zwischen den anderen faßten sie sich eher kurz, nicht ohne trotzdem mancherlei Schote auszupacken. Da wurde mal eben "Sweet Home Alabama" angespielt, oder ein Bandmitglied outete sich als Frühmorgens-Müsli-Esser - überhaupt sind Narph so etwas wie ein vertonter Müsliriegel: vielfältig, anspruchsvoll, nahrhaft und ein klein wenig klebrig und trocken. Daß da einer der Songs auch noch in Ungarisch betextet war, paßte gut ins Gesamtbild. Die Zuschauerschar, die mittlerweile die Grenze zur Zweistelligkeit überschritten hatte, forderte als Zugabe noch "Behind Yourself" ein, bekam vorher jedoch noch einen anderen Song vorgesetzt - und beide fielen stilistisch noch einmal völlig aus dem Rahmen: ersterer eine grungige Halbballade, besagtes "Behind Yourself" an P.O.D. zu ihren Hochzeiten um die Jahrtausendwende erinnernd (sollte das gar ein Cover gewesen sein?), inclusive rappender Vocals des einen Gitarristen, der sonst eher für herzhaftes Hintergrundgebrüll verantwortlich war.
Die Umbaupause zu Mute Nation war recht kurz, und wer sich gefragt hatte, ob es denn diesmal gar keine Metalcoreband im Billing gäbe, der konnte sich nach dem ersten Song beruhigt in die Polster der Sessel und Sofas lehnen - dieser erste Song vereinte praktisch alle Stilelemente des neuzeitlichen Metalcore (und das sind bekanntermaßen nicht eben wenige) in seiner keineswegs überlangen Spielzeit. Mute Nation allerdings beschränkten sich nicht auf Variationen dieser Elemente, sondern warfen in den Folgesongs gelegentlich auch absonderliche Ideen wie Skarhythmen ein, während das in der Ansage vor Song 3 verbal anzitierte Raachermannel-Lied keinen Niederschlag im Songwriting fand. Die extrem abgedrehten Drumparts im Intro des dritten Liedes outete der Sänger in einer späteren Ansage allerdings als wohl ungewollt (er bemerkte, daß der Drummer an diesem Abend einige eigentümliche Einfälle gehabt habe), was eigentlich schade wäre, denn dieser extrem komplexe Part übte in Kombination mit dem späteren, eher straighten Rhythmus einen unverkennbaren Reiz aus. Sei's drum: Die Gesamtenergie stimmte, und vor allem der Sänger sorgte für den auf der kleinen "Bühne" maximalstmöglichen Bewegungsfaktor. Der Sound war nicht mehr so differenziert wie bei Narph, wobei diesmal speziell die Gitarrenleads etwas untergingen und man daher nicht beurteilen konnte, ob ihr fragmentarischer Charakter so geplant war oder nicht. Nimmt man zum Maßstab, daß manche Komposition zwischenzeitlich komplett zum Stillstand kam, könnte die Fragmentarik Absicht gewesen sein, aber so richtig überzeugen konnte sie nach einmaligem Höreindruck nicht. Die angesagte Coverversion im Set hat der Rezensent nicht erkannt - möglicherweise ein Generationenproblem. Den Unterhaltungsfaktor schmälerte das freilich nicht, und so endete gegen 0.15 Uhr ein durchaus guter Gig, der eine deutlich größere Zuschauerzahl verdient gehabt hätte.



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