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Al Di Meola   13.11.2009   Dresden, Uniklinik
von rls

Friday Night in Dresden: Im Rahmen der Dresdner Jazztage gibt sich Al Di Meola die Ehre, und diese Nachricht elektrisiert so viele Menschen, daß der Gig vom gemütlicheren Club Tante Ju in die Uniklinik verlegt werden muß. Deren Haus 91 entpuppt sich als gewöhnliches Funktionsgebäude mit einer langgestreckten Foyerzone, die bereits in den Vorjahren regelmäßig als Spielstätte im Jazzkontext gedient hat - kurioserweise hängen an den Wänden und Treppen mehr Plakate mit Veranstaltungsankündigungen des Jazzfestes 2008 als solche des Jazzfestes 2009. Das Foyer hat eine niedrige Bühne hingestellt bekommen, das Areal davor ist bestuhlt, ringsherum und auch auf den seitlich in die Obergeschosse führenden Treppen drängen sich die weiteren Interessenten. Das Ganze versprüht eine eigenartige Emotionsmischung aus trockener Funktionalität und Gemütlichkeit, und dazu bedarf es noch nicht einmal Dingen wie einer ausgefeilten Lichtshow - pro Song werden die Scheinwerfer allenfalls zwei- oder dreimal umgeschaltet. Dafür ist der Sound zumindest auf der unteren Ebene exzellent - klar, nicht überlaut und auch nicht aus allen Ecken wieder zurückhallhallhallend.
Der Rezensent kommt zu spät, um Di Meolas Auftaktansage noch zu verstehen, aber pünktlich zum ersten gespielten Ton. Auf der Bühne steht bzw. sitzt eine Truppe namens New World Sinfonia oder World Sinfonia 2000 (da differieren die Quellen) - nach langer Zeit mit wechselnden Line-ups bekennt Di Meola, mit diesen fünf Leuten eine Art Traumbesetzung gefunden zu haben, und die ist schon geraume Zeit stabil und präsentiert sich an diesem Abend auch als eingespielte Einheit (kleines Detail: Mitten im Opener ruft Di Meola "E Minor", und prompt improvisieren alle in e-Moll weiter). Das ist nicht selbstverständlich, bedenkt man die Setlist des Abends. Die setzt sich paradoxerweise nämlich überwiegend aus neu komponiertem und noch gar nicht in Studiofassungen vorliegenden Stücken zusammen - laut Ansage geht es erst in der Folgewoche ins Studio, um die Stücke aufzunehmen, so daß man an diesem Abend also eine Art öffentliche Probe abhalte. Man stelle sich diese Herangehensweise mal in anderen Kontexten vor - wenn also etwa AC/DC oder gar De Randfichten Sets zur Hälfte mit unbekanntem Material füllen würden, der Saal wäre wohl schnell halbleer. Hier dagegen zeigt sich das Publikum auch von den Neulingen begeistert, wobei es ihm die (Neu-)Weltsinfonie aber rein stilistisch auch nicht sonderlich schwer macht - keine Experimente. Manchmal ertappt man sich beim Zuhören gar bei dem Gefühl, jetzt müsse aber mal wieder etwas Überraschendes passieren - und siehe da, in vielen Fällen kommt dann auch tatsächlich irgendeine überraschende Wendung, wenngleich Di Meola und seine Gesellen aus einem bestimmten Stilpool nicht ausbrechen. Aber der ist sowieso randvoll, hauptsächlich mit Latinojazz, aber auch mit diversen anderen Zutaten. Da schaltet Di Meola auch mal blitzartig auf Vollelektrizität an seiner Gitarre um, meist noch mit enormen Raumeffekten versehen - und schon rockt das Material für einen Moment, bevor der Chef wieder am Effektgerät arbeitet, auf normalen Akustikbetrieb herunterschaltet und man sich fragt, ob man diesen Einwurf eben nur geträumt hat. Zweite Säule der (Neu-)Weltsinfonie ist der italienischstämmige Akkordeonist Fausto Beccalossi, der auch reichlich Platz zum Solieren eingeräumt bekommt, im Gegensatz zum Zweitgitarristen Peo Alfonsi - da muß dann die Hierarchie doch gewährleistet bleiben. "Siberiac" überrascht mit blitzartigen Schlägen der Rhythmusgruppe (als ob man unvermittelt an die Oberleitung der Transsibirischen Eisenbahn faßt), "Umbras" ist dem Akkordeonisten gewidmet und atmet ein wenig sardinische Luft, entwickelt sich zwischenzeitlich allerdings zum Energieinferno (Di Meola scherzt nach dem Stück, daß er den kraftraubenden Schlußpart am Folgeabend von seinem Gitarrenkompagnon spielen lassen werde), und auch Percussionist Gumbi Ortiz (der aussieht wie eine geschrumpfte Version von Toxic Smile-/Stern-Combo Meißen-Sänger Larry B.) bekommt ein Stück gewidmet, in dessen Mitte er sich solistisch austoben darf. Der Akkordeonist wiederum singt Backing Vocals, und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn er hält sich einen halben Meter vom Gesangsmikrofon entfernt, was interessante Effekte ergibt. Ansonsten bleibt der Gig rein instrumental (die Gangshouts des Percussionisten haben nicht mehr als Gagstatus). "Fireflies", das erste Stück nach der Pause und ebenfalls ein noch unkonservierter Neuling, hätte aufgrund seines eher kompakten und halbwegs einprägsamen Charakters sogar Singleformat, während der Rest des Sets aus langen Epen besteht. Das kennt man ja noch von früher her ("Friday Night In San Francisco" hatte auch nur fünf Songs und erreichte trotzdem die LP-Länge von 40 Minuten), und auch an diesem Abend kommen Di Meola (der übrigens mittlerweile wie eine Mixtur aus Heinz Rudolf Kunze und Buddy Holly aussieht) und seine fünf Mitstreiter mit gerade einmal zwölf Songs auf einen kompletten Set von knapp zwei Stunden Nettospielzeit. Zwei der Songs bilden den Zugabenblock, nach dem ein trotz der erwähnten seltsamen Setlist hochzufriedenes Publikum die Uniklinik verläßt - auch der Rezensent ist nicht weiter traurig, daß "Racing With The Devil On A Spanish Highway", an dem für ihn nostalgische Erinnerungen hängen (es ist das erste Di Meola-Stück, das er kennenlernte, witzigerweise aber nicht in der Originalversion, sondern in der abstrus-genialen Interpretation von Riot auf ihrem 1990er Klassikeralbum "The Privilege Of Power"), nicht erklungen ist. Aus dem Saal geschwebt sein dürfte hingegen der junge Mann, der vor der Pause mit seiner Gitarre bewaffnet die Bühne entert und sich den Korpus von Di Meola signieren läßt - der ist für einen Moment perplex, meint aber dann anerkennend: "This guy has balls" und erfüllt den Wunsch natürlich. Seine Einladung an den Rest des Publikums, daß es gerne auch auf die Bühne kommen könne, bleibt allerdings unerwidert. Klasse Gig!



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