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Stern-Combo Meißen, Fleischmann   05.12.2008   Leipzig, Anker
von rls

Fleischmann? Sollte das legendäre Berliner Trio, das in den Spätachtzigern und Frühneunzigern die avantgardeungewohnte Hörerschaft nachhaltig verstörte, bevor ihr brachial-grollender Rocksound in den Mittneunzigern salonfähig wurde, etwa wieder auferstanden sein? Mitnichten, wie sich zeigte, als der Rezensent den Anker betrat und aufgrund einer ursachenseitig hier nicht zu erörternden Verspätung nur noch den letzten Song von Bernd Fleischer aka Fleischmann mitbekam, der als Einzelkämpfer mit Gesangsmikro und Gitarre auf der Bühne stand (bzw. vielmehr auf einem Hocker saß) und diesen etwas episch-nachdenklichen Song namens "Alte Männer" Reinhard Fißler widmete, welchselbiger bekanntlich bei der Stern-Combo Meißen einige Großtaten der Siebziger eingesungen hatte, heute aber aufgrund einer Muskelerkrankung nicht mehr laufen und auch nicht mehr singen kann. Um ein repräsentatives Bild dieses Gigs zu zeichnen, reicht der eine gehörte, vom Publikum anständig, wenngleich nicht frenetisch beklatschte Song allerdings natürlich nicht aus, aber es gibt mittlerweile auch eine Fleischmann-CD namens "Lass mich meckern", und es dürfte kein Zufall sein, daß dieser Titel schon einmal von der Band Die Maßlosen verwendet worden war - auch dort war der Gitarrist dabei, DDR-Rockhistoriker kennen ihn außerdem von Berluc und Meridian, Jüngere möglicherweise von einer Leipziger Kultband, deren Namenshintergrund wiederum nur von Älteren entschlüsselbar ist: Krause-Duo. Fragen offen? Antesten!
Die Stern-Combo Meißen hat im 44. Jahr ihres Bestehens einen größeren personellen Umbruch hinter sich, denn von der letzten Besetzung sind nur drei Musiker übriggeblieben: Percussionist/Sänger Norbert Jäger, Keyboarder Eghard Schumann und natürlich Bandkopf Martin Schreier. Auf der Bühne stand allerdings die gewohnte Septettbesetzung, wobei von den vier Neuzugängen gleich drei in die Schublade "alte Bekannte" fallen: Drummer Frank Schirmer und Bassist Axel Becker hatten schon in den 80ern mal bei der weiland Stern Meißen geheißenen Truppe gespielt, aber ohne ihren Stellenwert mindern zu wollen, ist doch der Wiedereinstieg von Keyboarder Thomas Kurzhals wohl als bedeutendste Personalie einzustufen - schließlich geht auf das songwriterische Konto dieses Mannes ein Gutteil der Siebziger-Klassiker der Band. Bleibt ergo nur ein "richtiger" Neuzugang - aber der hatte zweifellos den schwersten Job von allen, denn der neue Sänger mußte in die Fußstapfen von Könnern wie Werther Lohse, Ralf Schmidt (aka IC Falkenberg) oder eben Reinhard Fißler steigen. Und Michael Brödel demonstrierte eindrucksvoll, daß ihm diese Schuhe durchaus passen - immerhin ist er auch kein Nobody mehr, denn man kennt ihn unter dem Kürzel Larry B. von Toxic Smile oder dem bereits erwähnten Krause-Duo. Natürlich: Bis sich der Hörer nicht nur technisch, sondern auch emotional mit Larrys Stimme angefreundet hat, mag bei dem einen weniger, bei dem anderen mehr Zeit vergehen. Fakt sind aber zwei Dinge: Erstens ist Larry bekanntlich der geborene Entertainer, und selbst im gesitteten Maße, wie das bei der Stern-Combo Meißen angebracht ist, stemmte er gute Teile der Bühnenshow praktisch im Alleingang. Zweitens besitzt er eine sehr wandlungsfähige und bedarfsweise auch sehr kräftige Stimme, und letztgenannte führte dazu, daß gerade Martin Schreier in den Duett- bzw. mehrstimmigen Passagen wenig zu melden hatte, wohingegen sich Larry dann, wenn Martin oder auch Norbert Leads sangen, taktvoll in den Sangeshintergrund zurückzog. Allzuviel zu tun hatte die Sangesfraktion allerdings lange Zeit nicht, denn den ersten Setteil bildete eine Komplettaufführung des Siebziger-Albumklassikers "Weißes Gold", und der ist bekanntlich über weite Strecken instrumental gehalten, nur einige wenige Gesangspassagen und Vokalisen einflechtend und dazu noch einige Erzählpassagen beinhaltend, die Martin Schreier übernahm, allerdings mit der Ausdrucksvariante "sächsischer Märchenonkel" leider wie eine Parodie wirkte - das sollte in Zukunft vielleicht doch irgendwie anders gelöst werden, und sei es, indem man diese Passagen vom Band kommen läßt, wie man es mit der einleitenden Narration bereits tat. Nach ein paar Minuten Pause eröffnete der zweite Setteil mit einer Überraschung, nämlich einer neuen Komposition von Thomas Kurzhals, die auch auf das fürs 45-Jahre-Jubiläumsjahr geplante neue Studioalbum kommen soll (also nix mit einer Band, die ausschließlich von ihrer Vergangenheit lebt, wie man es bei vielen Comebacks ja erstmal mutmaßt - und bei vielen ist das ja auch besser so, wenn man sich die eher dürftigen Erzeugnisse neueren Datums anhört, wohingegen es auch andere gibt, die nach ihrer Reunion erst richtig gut wurden, etwa Grave Digger). Stilistisch nach wie vor tief im Siebziger-Prog verankert, war dieses Werk namens "TNTK" in einen eher ruhigen ersten und einen energischeren zweiten Teil gegliedert, thematisch nicht ganz so vollgestopft wie "Weißes Gold", sondern etwas einfacher strukturiert, mit Ausnahme einiger Vokalisen wiederum instrumental gehalten und prinzipiell auf alle Fälle des Merkens würdig, wenngleich nach nur einmaligem Hören natürlich noch kein endgültiges Urteil gefällt werden kann. Der Rest des Sets samt zweier Zugaben unternahm dann einen Streifzug quer durchs Schaffen der Band, ein technisch eindrucksvolles Drumsolo Frank Schirmers inclusive (während eines Drumsolos in aller Ruhe die Becken wieder festzuschrauben, ohne daß dadurch das Spiel unterbrochen oder strukturell benachteiligt wird, muß man auch erstmal hinbekommen), das in eine originelle Darbietung von Mundpercussion mündete. Neugierig, wie das genau funktioniert? Hingehen und selber ansehen! Strahlende Höhepunkte des Sets bildeten die Adaption von Vivaldis "Der Frühling" für zwei Keyboards sowie der Closer des regulären Sets, "Der Kampf um den Südpol", den man ebenfalls Reinhard Fißler widmete. Und apropos Keyboards: Thomas Kurzhals merkte man deutlich an, wie sehr er die Bühnenarbeit vermißt haben mußte - eine derartige Spielfreude bei gleichzeitiger motorischer Exaktheit, eine derartige ehrliche Livearbeit (nix mit "zwei Knöpfchen drücken und gespeicherte Presets ablaufen lassen"!) und eine ansteckende gute Laune erlebt man gerade bei altgedient-gestandenen Bands, die seit 3500 Jahren auf der Bühne stehen, nicht so sehr häufig. Auch der Rest der Band präsentierte sich in bester Spiellaune, das passende feierfreudige Publikum war trotz nicht kompletter Füllung des großen Saals im Anker auch da und bedankte sich mit minutenlangen rhythmischen Ovationen für die zwei Stunden hochklassigen (Progressive) Rocks, der übrigens ohne Gitarre auskam, die Gitarrenparts in den Achtziger-Songs ebenfalls auf den Keyboards lasten lassend, was Thomas Kurzhals und den etwas zurückhaltenderen "Rhythmuskeyboarder" Eghard Schumann aber nur ein Lächeln kostete. Und Lächeln war an diesem Abend angesagt - selbst der Rezensent, der von seiner prinzipiellen Stimmung her an diesem Abend eher auf einen Death Metal-Gig (oder eine Doom Metal-Darbietung) gehört hätte, verließ den Anker grinsend. Danke, Jungs!



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