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Genius   08.03.2008   Altenburg, Brauerei
von rls

Nanu, hat es Daniele Liverani jetzt doch geschafft, sein Genius betiteltes Rockopernprojekt auf die Bühne zu stellen? Mitnichten: Die Combo, die an diesem Abend den Keller der Altenburger Brauerei beschallt, kommt aus dem deutschen Freistaat, in dem die Anzahl der Brauereien die der Einwohner zu übersteigen scheint: Bayern. Es handelt sich um eine Coverband, deren Fokus auf dem Schaffen von Genesis und Phil Collins liegt, die aber auch ein anderweitiges Rockklassikerprogramm abzurufen in der Lage ist. An diesem Abend gibt's beides: Der Hauptset gehört Collins und Genesis, und mit dem sogenannten "More-Part" supportet sich die Band quasi selbst, die Besetzung bleibt identisch. Eine recht ansehnliche Besucherzahl findet den Weg in den anderthalb Stockwerke unter der Erdoberfläche gelegenen Brauereikeller, überwiegend der Kategorie "Junggeblieben" zugehörig (mit allen zu erwartenden Begleitscheinungen positiver wie negativer Ausprägung) und offensichtlich tanzwütig, denn schon beim zweiten Song "The One & Only" leeren sich die Bänke und füllt sich statt dessen die Fläche vor der Bühne, obwohl dieser Song wie der Opener "Easy" noch in eher lahmendem Gestus von der Bühne herunterschallt. "Run To You" und das unverwüstliche "Sweet Home Alabama" drehen dann aber zumindest etwas auf und rechtfertigen die Vokabel "Rock" in der Beschreibung des Gigs wie der Eigenwerbung der Band. "Pride", das irrtümlich gleich zweimal in der ausgedruckten Setlist steht, wird zweimal gestrichen, einmal ersatzlos und einmal mit Rekompens durch U2s "In The Name Of Love", und auch mit "Summer Of '69", "Rebel Yell" oder "Another Brick In The Wall Part 2" macht man generell nichts falsch. Für Stirnrunzeln hingegen sorgt "Unchain My Heart", das gesangsseitig irgendwie grenzwertig ist: Vokalist Lars hat eine sehr schöne Stimme - viel zu schön für diesen Song, der eigentlich nach einer Feuerwasserstimme verlangt. Generell versuchen Genius, relativ nahe an den Vorgaben zu bleiben (selbst wenn das Original eine Öffnung für ein ausführliches eingejammtes Solo ermöglicht, nutzen sie diese Chance eher selten), so daß der witzige Einfall, im Queen gewidmeten Closer des ersten Setteils zunächst "Another One Bites The Dust" anzuspielen, dann aber mit "Radio GaGa" fortzusetzen, schon als Gipfel der Variationsbreite zu werten ist. Dennoch (oder auch deshalb - beide Sichtweisen sind möglich) geht die Setstunde als durchaus unterhaltsam durch, wie offensichtlich auch das Publikum findet, dem es reichlich egal zu sein scheint, daß der Rockfaktor zwar nicht von der Songauswahl, aber vom Sound her doch arg niedrig ausfällt ("zielgruppenkompatible Arbeit" könnte man das nennen) und das auch die argen Sounddefizite nicht zu bemerken scheint. Vom Keyboard ist nämlich über weite Strecken des Sets wenig zu hören, auch die Gitarre ist deutlich zu zurückhaltend abgemischt, und selbst Lars' Frontmikro wird derart weit hinten im Gesamtmix angesiedelt, daß man sogar seine Ansagen teilweise nicht versteht (etwaige Kommunikationsdefizite macht der Fronter damit wett, indem er kurzerhand ins Publikum springt und mit einem weiblichen Wesen ein Tänzchen wagt - während eines laufenden Songs und weitersingend wohlgemerkt) und er sich nur durch seine hohe, frequenzseitig von den Instrumenten kaum überlagerte Stimme akustisch durchsetzen kann. Klar ist der Keller schwer zu beschallen (der Rezensent hat in ihm zwar noch keine anderen vergleichbaren Veranstaltungen erlebt, kann aber Vergleiche zu ähnlich gebauten Locations ziehen), und die im angenehmen Bereich bleibende Lautstärke verdient ebenfalls Pluspunkte, aber die Unausgewogenheit ist noch nicht der Weisheit letzter Schluß. Der Rezensent wechselt vor dem Hauptset also seinen Platz von der ersten rechten Seitentonne in die Haupttonne und harrt der Dinge, die da noch kommen werden.
Setlist More-Part:
Easy
The One & Only
Run To You
Sweet Home Alabama
In The Name Of Love
Summer Of '69
Rebel Yell
With Or Without You
Another Brick In The Wall Part 2
Unchain My Heart
Long Train Running
Radio GaGa
Um es vorwegzunehmen: Auch während des Hauptsets tritt nur ansatzweise eine Änderung ein: Die Keyboards sind etwas besser zu vernehmen, alles andere bleibt im Wesentlichen beim gewohnten Bild, und zumindest während der Soli hört man die Gitarre dann doch ein wenig stärker durch (außer in "Jesus He Knows Me", wo sie komplett in der Unhörbarkeit verschwindet, was das paradoxe Bild erzeugt, den Gitarristen spielen zu sehen, aber nichts davon akustisch zu vernehmen). Auch hier bleibt die Lautstärke im äußerst verträglichen Bereich, und das ist auch besser so, denn als der Soundmensch in "Land Of Confusion" doch mal ein wenig mehr aufdreht und zugleich die Instrumentalisten etwas mehr aus sich herausgehen, ergo die Gesamtlautstärke steigt, droht im gleichen Atemzug auch der Verwaschenheitspegel anzusteigen. Schon das eröffnende Drumsolo (auch nicht gerade ein gewöhnliches Element an dieser Setposition - aber Collins ist ja von Haus aus Schlagzeuger ...) hat die diesbezügliche Gefahr verdeutlicht, und so kann man an diesem Abend nur zwischen einem druckvollen, aber schwammig-dröhnenden und einem weniger druckvollen, aber etwas saubereren, wenngleich immer noch unausgewogenen Sound wählen; der Soundmensch, der ungelogen wie eine Mixtur aus Fidel Castro, Produzentenlegende Rick Rubin und Slayer-Gitarrist Kerry King aussieht, entscheidet sich für letztgenannte Variante. Da die bühnenaktive Besetzung die gleiche ist wie die vom ersten Teil des Sets, bleibt das Paradoxon des Gesangs zu konstatieren. Wer auch immer den als Phil Collins zum Verwechseln ähnlich betitelt hat, dürfte auch Ivan Rebroff mit den Wildecker Herzbuben stimmlich gleichsetzen. Sicherlich, Parallelen sind da, vor allem in der generellen Stimmlage - aber die konkrete Stimmfärbung unterscheidet sich stark, der ganz leicht rauhe Touch, den Collins immer hat, ist in Lars' porentief reiner Stimme überhaupt nicht zu vernehmen außer mal ganz kurz als künstliche Erzeugung im Schrei in "I Can't Dance", auch die Nasalität ist völlig anders ausgeprägt. Der Rezensent hat extra die "Live Over Europe 2007"-CD von Genesis vor und nach dem Gig nochmal gehört, um den Direktvergleich zu ermöglichen - und da ist das Ergebnis eindeutig: Gewisse Parallelen ja, Ähnlichkeit oder gar weitgehende Identität eindeutig nein (wobei interessanterweise Collins den erwähnten Schrei dort nicht bringt). Da gibt's andere, die Collins deutlich näher kommen (etwa Larry B. von Toxic Smile früher - mittlerweile hat er sich etwas wegbewegt). Aber: Das soll nicht heißen, Lars habe schlecht gesungen - ganz im Gegenteil: Wer am Ende eines insgesamt etwa dreistündigen Programms immer noch eine so hohe Stimmklarheit an den Tag legt, muß ein Könner sein. Vier andere Könner stehen bzw. sitzen offensichtlich an den Instrumenten - soweit man das halt soundbedingt beurteilen kann (Rutherfords Doppelhälser bleibt übrigens in den Instrumentenkoffern verborgen). Spannende Frage war, wie denn der Set zusammengesetzt sein würde. Die für den Rezensenten etwas ernüchternde Antwort: Zwei Drittel Solostoff von Phil Collins und nur ein Drittel von Genesis. Zwar ruft der Collins-Solostoff Erinnerungen an die eine oder andere Klassenfete Ende der 80er hervor, wo man bei der Musikauswahl etwa an "Another Day In Paradise" kaum vorbeikam - aber sein Rockfaktor liegt ungefähr auf Grasnarbenhöhe, auch live, und da sich die Band den Vorgaben anpaßt, fehlt bei den meisten dieser Songs der energische Punch, der allenfalls durch hittige Eingängigkeit (in einigen Fällen, etwa "I Wish It Would Rain Down") wettgemacht werden kann. Apropos: "Hits" hieß schlicht und einfach die 1998er Best-Of-Zusammenstellung von Phil Collins, und hätten Genius noch "True Colours", "Separate Lives" und "Both Sides Of The Story" hervorgekramt, die komplette "Hits"-Scheibe wäre erklungen. Zum akustischen wie chronologischen Problemfall entwickelt sich "In The Air Tonight", das den Zugabenteil eröffnet: In der Studiofassung hatte Collins hier eine äußerst angespannte, fast sinister wirkende Atmosphäre hinbekommen, und Genius scheitern leider an der Aufgabe, diese Atmosphäre live zu reproduzieren. Eine nicht unerhebliche Teilschuld trifft den unterlegten, blechern zischelnden Drumloop, der die These des Rezensenten, blechern zischelnde Drumloops würden alles andere, aber keine düstere Atmosphäre erzeugen, ein weiteres Mal unterstreicht. Der chronologische Problemfall besteht darin, daß "In The Air Tonight", von 1981 stammend, den ältesten Song des ganzen Sets darstellt, sich also auch der Genesis-Teil auf die Alben von 1983, 1986 und 1991 beschränkt (mit Material des 1997er "Calling All Stations", das ohne Collins eingespielt wurde, war ja von vornherein nicht zu rechnen gewesen). Diese drei Alben enthalten zwar das bekannteste Material von Genesis, aber das Bekannteste ist ja keineswegs immer das Beste, und diese These trifft auch bei Genesis voll und ganz ins Schwarze, wenn man feststellt, daß sich "Tonight, Tonight, Tonight" oder "Tell Me Why" so durch ihre Spielzeit langweilen oder das fürchterliche "I Can't Dance" Material bietet, das Stephan Remmler und seine Trio-Spießgesellen schon zehn Jahre zuvor konsequenter verbraten haben. Statt dessen bleibt der Wunsch nach wenigstens "Follow You, Follow Me" oder "Turn It On Again" offen, wenigstens ... Von positiven Überraschungen wie "The Musical Box", "The Return Of The Giant Hogweed" oder "Firth Of Fifth" (die Collins zwar nicht am Mikro, aber immerhin als Schlagzeuger eingespielt hat) wagte man ja gar nicht erst zu träumen - aber dazu dürfte auch das geeignete Publikum nicht dagewesen sein, hätten die Anwesenden "Firth Of Fifth" vielleicht nur als grammatikalisch schlechten Scherz empfunden, und welcher neuzeitliche Genesis-Pop-Anhänger weiß überhaupt, welche wegweisende Bedeutung in der Rockgeschichte diese Band einstmals hatte? Der Rezensent hat auch erst lange Jahre später verstanden, was sein Klassenlehrer irgendwann um 1987 meinte, als er sagte, Genesis seien nur früher gut gewesen. Okay, ganz apodiktisch darf man das Urteil nicht fassen, denn immerhin stellt der Genesis-Part des Sets auch dessen Höhepunkt: "Land Of Confusion". Der Soundmensch dreht die Anlage einen Tick weiter auf, die Band geht ein wenig enthusiastischer aus sich heraus, und schon wird aus dem Song eine richtig große Rockhymne, die folgerichtig den stärksten Applaus des Publikums im regulären Set erhält. Ob das Verdikt mit der Nichtanwesenheit der anders gepolten Zielgruppe vielleicht doch nicht ganz zutrifft? Egal: Versteht man das Konzert als Rockgig, war's der schwachbrüstigste, den der Rezensent in letzter Zeit erlebt hat (anderthalb Wochen zuvor war er bei der Münchener Freiheit, bekanntlich auch nicht gerade extreme Härtner - aber die haben gerockt!), aber bei völlig neutraler Betrachtungsweise bleibt ein trotzdem starkes Hit-Feuerwerk übrig. Collins selber ist übrigens im Publikum auch anwesend, allerdings die vollbärtige Collins-Variante, die man in den Siebzigern mal temporär erleben konnte. Das tanzwütige Publikum, das bei "Sussudio" dann auch endlich das Prinzip eines Mitsingspielchens begriffen hat, feiert die Band übrigens nach allen Regeln der Kunst ab, so daß Folgegigs nicht ausgeschlossen sind - und dann vielleicht doch mal mit "Turn It On Again" und "The Musical Box" ...

Setlist:
Drum-Solo
Something Happened On The Way To Heaven
Against All Odds
Don't Lose My Number
You'll Be In My Heart
One More Night
Can't Stop Loving You
Tell Me Why
Groovy Kind Of Love
Land Of Confusion
No Son Of Mine
Jesus He Knows Me
I Wish It Would Rain Down
Another Day In Paradise
You Can't Hurry Love
Two Hearts
Throwing It All Away
I Can't Dance
That's All
Easy Lover
Tonight, Tonight, Tonight
Invisible Touch
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In The Air Tonight
Dance Into The Light
Sussudio
Drum-Intro
Take Me Home



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