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Die Opernprobe   03.12.2007   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Steht irgendwo der Name Albert Lortzing auf dem Spielplan, liest man in 90 von 100 Fällen dahinter den Werktitel "Zar und Zimmermann". Ab und zu tauchen noch "Der Wildschütz" oder "Der Waffenschmied" auf, aber der Rest des Schaffens fristet ein Schattendasein - das trifft auch auf Lortzings Letztling "Die Opernprobe" zu, uraufgeführt nach diversen Ablehnungen letztlich 1851 in Abwesenheit des auf dem Sterbebett liegenden Komponisten, welchselbiger einen Tag später verschied. Ob der einstündige Einakter noch "gewachsen" wäre, wenn Lortzing noch ein wenig mehr Zeit für ihn hätte aufwenden können, muß offenbleiben (Anton Bruckner etwa hätte sich 20 Jahre später nach dem ersten oder allerspätestens zweiten Scheitern eines Anlaufs zur Uraufführung sofort an die Umarbeitung des betreffenden Werkes gemacht). Aber die Antwort auf diese Frage darf hypothetisch bleiben, denn das Werk hinterläßt einen zweifellos "runden" Eindruck, wenn man nicht erwartet, daß man in der zur Verfügung stehenden Zeit die Welt erklärt bekommt.
41 Jahre nach der letzten Produktion holt die Leipziger Musikhochschule "Die Opernprobe" für fünf Vorstellungen wieder auf den Spielplan zurück, und auch in der fünften, die der Rezensent besucht, ist der Große Probesaal im Zweitgebäude am Dittrichring noch fast komplett gefüllt. Zu Recht, denn die Truppe um Helmut Kukuk (musikalische Leitung und das rechte Klavier bedienend) und Jasmin Solfaghari (Inszenierung, Ausstattung, Dichtung neuer Dialogpassagen) vollbringt in der Gesamtbetrachtung eine sehr gute Leistung mit nur geringen Pendelabweichungen nach unten. Worum geht es? Lortzing hat sich von revolutionär angehauchten Inhalten wieder abgewandt (die Revolution ist ja gerade eben erst gescheitert, und was dabei herauskommen kann, wenn man auf der falschen Seite steht, sieht der Komponist deutlich an seinem Kollegen Richard Wagner und noch deutlicher an seinem Freund Robert Blum, der im Gegensatz zu dem "nur" den Kapellmeisterposten verlierenden Wagner ums Leben kommt), aber so ganz kann er sich den einen oder anderen gesellschaftlichen Seitenhieb doch nicht verkneifen. Die Praxis der arrangierten Ehen war zu seiner Zeit zumindest in höhergestellten Schichten noch mehr als üblich (und ist ja auch heute noch nicht verschwunden - da muß man seinen Blick keinesfalls zu fremden Völkerschaften schweifen lassen) und wird hier von Lortzing dahingehend aufgespießt, daß sich der junge Baron Adolph von Reinthal einer solchen arrangierten Ehe mit einer Frau, die er noch nie gesehen hat, kurzerhand durch Flucht entzieht, unterwegs aber unbekannterweise besagte Frau namens Louise, ihres Zeichens Tochter eines Grafen, trifft und sich augenblicklich in sie verliebt, was auch auf Gegenseitigkeit beruht. Das Problem besteht nun darin, die fluchtbedingt bereits für gescheitert erklärte Eheanbahnung doch noch in die Wege zu leiten, und dafür muß der junge Baron alle sanglichen Register ziehen, um Louises Vater zu überzeugen, daß hier der Richtige vor ihm steht. Da im gräflichen Hause sowieso gerade eine Opernaufführung ansteht, bei der das komplette Personal von der Köchin bis zum Hausmeister mitspielt (kannten die Initiatoren des "Bitterfelder Wegs" das Lortzing-Stück?) und nur eine Rolle krankheitshalber neu besetzt werden muß, gelingt das nach einigen Verwicklungen auch, und für Louises Kammermädchen Hannchen, in der einzustudierenden Oper immerhin zur Kapellmeisterin befördert, fällt so ganz nebenbei noch Adolphs Diener Johann ab, der seinen Herrn vorher in bester Passepartout-Manier in die eine oder andere schwierige Lage gebracht hat, die aber auf verschlungenen Wegen immer wieder aufgelöst werden kann.
Wie geschrieben: Die Welt erklärt wird dem Zuschauer natürlich nicht, aber das zu Vermittelnde kommt mit einem durchgehend augenzwinkernden Ernst (nein, das ist kein Oxymoron) herüber, der auch in der Musik seine Widerspiegelung findet. Die Instrumentalparts in der Hochschulinszenierung übernehmen fast ausschließlich die beiden Klaviere (dazu kommen einige Passagen, in denen Hannchen verzweifelt aus dem mehr oder weniger musikalisch gebildeten Personal ein Kammerorchester zu formen versucht, das bisweilen mit Schrägheitsgraden musiziert, die den Frühwerken Der Ärzte in nichts nachstehen), wobei Helmut Kukuk und Rainer Koch in der Ouvertüre bisweilen noch ein wenig die Tightness vermissen lassen, sich aber dann deutlich steigern. Ein analoges Urteil wäre über Hannah Saskia Schlott als Hannchen zu fällen, die anfangs einige Schwierigkeiten offenbart, sich akustisch durchzusetzen, ab der romantischen Parkszene aber deutlich zulegt und sich zu einer sehr guten Leistung aufschwingt, die Position der musikalischen Zentralgestalt der Oper also zweifellos rechtfertigend. Neben ihr fällt Matthias Siddharta Otto in der Rolle Adolphs auf, der beim Vorsingen für die Grafenoper eine astreine Cavatine höchsten Pathosgehaltes auf die Bühne zu legen hat und sich dieser Aufgabe sehr achtbar entledigt. Der Rest der Sänger bewegt sich ebenfalls auf gutem Niveau, keiner fällt entscheidend nach unten ab (wobei einige Rollen wegen ihres geringen Sangesumfangs allerdings schwer bewertbar sind), und die geringe Größe des Großen Probesaals (sic!) wirkt sich auf einem anderen Gebiet äußerst positiv aus: Die Akteure müssen in dieser Oper relativ viel schauspielern, und da das Publikum quasi direkt vor ihnen sitzt, bekommt man eine viel größere Detaildichte mit als in einem normalen Opernhaus. Das, was die Mitwirkenden machen, bereitet jedenfalls eine große Menge Spaß und ist gleichermaßen professionell umgesetzt (der Schauspielunterricht an der Hochschule trägt also offensichtlich Früchte). Letztgenanntes Attribut läßt sich auch auf die Inszenierung umsetzen, die mit lockerer, fast jugendlich zu nennender Hand geschehen ist (in dieses Schema reihen sich auch die neuen Dialogtexte ein, die trotz ihrer Lockerheit nie ins Banale abrutschen und trotz aller Aktualität nicht den Eindruck vermitteln, man könne sie morgen gleich wieder vergessen) und trotz hochschultypisch sparsamem Mitteleinsatz dem Affen eine große Portion Zucker verabreicht, was das Publikum mit Lachstürmen beantworten darf. Zugleich findet man ein paar Querverweise im hochschulinternen Schaffen, beispielsweise die sympathisch-verstaubte Karoweste des Grafen, die man vor einiger Zeit in "Il Barbiere di Siviglia" schon mal bei Bartolo verbraten hatte - diese Duplizität dürfte kein Zufall sein, die Identität der Bäume im Park des Grafen mit denen auf der Insel von "Alcina" dagegen schon. Mit der männermordenden Alcina hat das als nettes, romantisch angehauchtes sympathisches Jeansgirl gezeichnete Hannchen jedenfalls herzlich wenig zu tun (und das ist auch gut so!). So bleibt als einziger inszenierungsseitiger Problemfall die Grafentochter Louise, bei der zu fragen ist, ob man sie unbedingt als Kreuzung aus Heimchen und Schreckschraube positionieren mußte - diese Ausrichtung verleiht ihr einen eher ungünstigen Touch in Richtung von Elisetta aus Cimarosas "Die heimliche Ehe" (die ja erst zur richtig sympathischen Figur wurde, als sie sich eben zum einfachen netten Jeansgirl wandelte) und dem sich sofort in sie verliebenden Adolph damit eine gewisse masochistische Neigung, die nicht so richtig ins Gesamtbild paßt. Aber das soll der einzige Problemfall einer sonst gelungenen und äußerst unterhaltsamen Inszenierung bleiben, für die zu Recht reichlicher Applaus an die Riege der Akteure geht.
Und sofern mal jemand in Adolphs Lage gerät - hier ist für alle Fälle (auch der nächste Valentinstag kommt bestimmt!) der Text der Cavatine:
Ob ich dich liebe, frägst du mich?
du musst die Sterne fragen,
wenn bange Sehnsucht mich beschlich,
konnt' ich's nur ihnen klagen.
Ob ich dich liebe, frägst du mich?
Du musst die Blumen fragen,
die singend ich gepflückt für dich
in warmen Lenzestagen.
Ob ich dich liebe, frägst du mich?
Du musst die Lieder fragen,
die liebend ich aus Lieb' für dich
in meiner Brust getragen.
//:Und Stern' und Blumen und mein Lied,
sie alle, alle kannst du fragen,
dass treue Liebe mich durchglüht,
das müssen sie dir sagen,://
das müssen sie dir sagen,
das müssen sie dir sagen.



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