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Die heimliche Ehe   15.06.2007   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Daß ein Werk bei seiner Uraufführung eine so starke Resonanz erfährt, daß es sofort noch einmal wiederholt wird, kommt nicht allzuhäufig vor - wenn es sich dabei aber um eine knapp dreistündige Oper handelt, so dürfte dieser Vorgang ein absolutes Unikum darstellen. So geschehen anno 1792 in Wien bei der Premiere der Oper "Die heimliche Ehe" von Domenico Cimarosa. Der Komponist, der erst kurz zuvor Antonio Salieri als Hofkomponist von Kaiser Leopold II. beerbt hatte, spielte so geschickt auf der Klaviatur der Emotionen, daß ihm ein immenser Erfolg gelang, nicht nur bei der erwähnten Uraufführung, sondern auch in den Folgejahren, denn bis 1810 fand das Stück insgesamt 83mal auf den Programmplan des Wiener Burgtheaters. Aber die Erfolgswelle sollte wie in vielen anderen Fällen nicht von anhaltender Dauer sein, "Il matrimonio segreto" (so der Originaltitel der Oper) verschwand von den Bühnen und wurde im Gegensatz zu zahlreichen anderen Werken der Wiener Klassik bisher noch nicht im großen Stil wiederentdeckt - ein Schicksal, das es mit dem kompletten restlichen Werk Cimarosas teilt. Nichtsdestotrotz fanden sich im 20. Jahrhundert geschichtsbewußte Musiktheatermacher, die "Die heimliche Ehe" wieder ausgruben und in der ersten Hälfte der 1970er Jahre immerhin 63 Vorstellungen in der Musikalischen Komödie in Leipzig damit bestreiten konnten. Im Großen Saal der Musikhochschule, die nunmehr für eine abermalige Ausgrabung, wenngleich mit "nur" fünf Vorstellungen, sorgte, dürfte sich wohl manch ein Zuschauer befunden haben, der schon vor 35 Jahren dabeigewesen war; der Rezensent gehört indes nicht dazu, da er zum Zeitpunkt der letzten Vorstellung anno 1975 noch gar nicht geboren war - er kann also völlig unbeeinflußt urteilen, wenngleich keine Querverweise aufzeigen oder gar Vergleiche ziehen.
Für den Erfolg der Oper mitverantwortlich ist sicher der Umstand, daß die Handlung trotz eines lustigen Verwirrspiels problemlos nachvollziehbar bleibt, ein nicht in hochphilosophische oder sonstige für den gemeinen Menschen undurchdringliche Sphären abhebendes Thema behandelt und nicht zuletzt ein Happy End besitzt, das auch real als solches zu erkennen ist. Böse Zungen könnten die Bemerkung einwerfen, daß das Libretto auch in Peter Steiners Theaterstadl gepaßt hätte, übersehen dabei aber dann doch ein paar Fallstricke und doppelte Böden, die Librettist Giovanni Bertati eingebastelt hat und die die Hochschulinszenierung in einem Falle gar noch so stark unterstreicht, daß man einerseits bezweifeln darf, ob Bertati da mitgegangen wäre, die Inszenierungsabteilung andererseits aber gerade dadurch einen jetztzeitigen Aspekt einbringt, der dafür sorgt, die Oper eben doch nicht als reines Vergangenheitsstück anzusehen. Die Ausgangslage sieht den reichen italienischen Kaufmann Geronimo, der seine beiden Töchter gerne adlig verheiraten möchte, ohne aber zu wissen, daß Carolina, die jüngere, bereits heimlich seinen Buchhalter Paolino geheiratet hat, auf den wiederum Geronimos verwitwete Schwester Fidalma, die finanziell am Geschäft ihres Bruders beteiligt ist, ein Auge geworfen hat. Der Graf Robinson soll per mit finanzieller Hilfe arrangierter Ehe Elisetta, die völlig überdrehte ältere Tochter Geronimos, heiraten, weigert sich nach dem ersten Kennenlernen aber, wirft statt dessen ein Auge auf Carolina und überredet Geronimo, gegen einen gewissen finanziellen Nachlaß den Ehevertrag auf Carolina zu ändern. Das stürzt sowohl Elisetta als auch Carolina und Paolino ins Jammertal, und nach einer Handvoll weiterer Verwirrungen und Wendungen finden Elisetta und Robinson schließlich doch zueinander, Carolina und Paolino müssen sich offenbaren, und Geronimo und Fidalma fügen sich letztlich ins Schicksal. So weit, so trivial - doch wie erwähnt lauern dann doch ein paar Fallstricke, deren auffälligster die Wandlung von Elisetta und Robinson darstellt. Letztgenannter erscheint anfangs eher als schräger Vogel mit trotteligem Charme und allein seinem Adelstitel als Trumpf, mausert sich aber zu einer Figur, die man neudeutsch als Frauenversteher bezeichnen würde und die für die Entstehungszeit der Oper eigentlich völlig ungewöhnlich ist, was sich in der Szene manifestiert, als er erkennt, daß Carolina offenbar herzensseitig bereits vergeben sein muß, seine eigenen Ambitionen auf sie daraufhin zurückstellt und ihr statt dessen seine Hilfe beim Lösen des Gordischen Knotens, von dem er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, wie dieser beschaffen ist, anbietet. Noch paradoxer ist die Wandlung von Elisetta, die auch mit nicht zu übersehender Deutlichkeit dargestellt wird, als sie sich auf offener Bühne umzieht und aus einer kriegsbemalten Schreckschraube der Marke "Nina Hagen zum Quadrat" plötzlich ein modernes, die Schönheit der Einfachheit entdeckendes Jeansgirl wird, das die Theorie des Rezensenten und vieler anderer Männer, zahlreiche Frauen sähen im Originalzustand am schönsten aus (deren Korrektheit nur von der durch die Schminkköffercheninhalts- und "Mode"industrie in gegensätzlicher Richtung beeinflußten Frauenwelt selbst nicht erkannt, wenngleich ungewollt immer wieder bewiesen wird), eindrucksvoll unterstreicht. Daß Jennifer Porto für diese Passage den stärksten Szenenapplaus der ganzen Opernaufführung und zudem "Bravo"-Rufe aus dem Publikum (nein, nicht vom Rezensenten, obwohl sie von ihm hätten gekommen sein können) erntet, spricht Bände, und daß Linlin Fan als einfache Carolina im ersten Akt deutlich knuddeliger aussieht als mit der einzigen Zutat eines feuerroten Lippenstiftes im zweiten Akt, reiht sich in die Argumentationskette perfekt ein. Ihren Status als sängerische Gewinnerin dieser Aufführung (übrigens wieder zweisprachig, die Rezitative in deutsch und die Arien in italienisch mit deutschen, erfreulich gut lesbaren Übertiteln) beeinflußt das allerdings nicht, denn ihr wunderbar schlanker Sopran erweist sich sämtlichen Anforderungen als deutlich mehr als nur gewachsen. Allerdings singt das komplette Ensemble auf einem sehr achtbaren Niveau (Ji-Su Park als Robinson etwa hat sich in den zweieinhalb seit "Salon Pitzelberger" vergangenen Jahren deutlich gesteigert, und auch Jennifer Porto als Elisetta, Tobias Hunger als Paolino, Sabine Eyer als Fidalma und Jason-Nandor Tomory als Geronimo - ist es Zufall, daß er nicht nur eine Tattergreisrolle spielt, sondern auch noch an den ebenfalls mittlerweile arg tattergreisigen Ozzy Osbourne erinnert? - machen ihre Sache gut; über die Qualität der italienischen Aussprache erlaubt sich der dieser Sprache nicht mächtige Rezensent kein Urteil), lediglich vereinzelte Rezitative hätten von der Textverständlichkeit her noch deutlicher gestaltet werden können. Kleine kultige Einfälle halten das Humorlevel hoch, wobei gleich der erste auf das Konto der Übertitelfraktion geht, die in der Ouvertüre drei Screens mit der Beschriftung "Mozart", "?" und "Cimarosa!" nacheinander einblendet und damit quasi mit dem Holzhammer auf die stilistische Verwurzelung des Komponisten verweist, den man vom Pathosgehalt her noch nicht auf eine Stufe mit etwa Verdi stellen kann und der nur teilweise "typisch italienisch" zu Werke geht, also nicht alles mit Käse überbäckt, aber trotzdem diversen Leckereien nicht abgeneigt ist, um mal eine Analogie in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie zu finden. Das Orchester unter dem bewährten Helmut Kukuk ist gut aufgelegt und bringt selbst in die Cembalopassagen, die Cimarosa bisweilen als Überleitungen eingebastelt hat und deutlich länger ausspielen läßt als etwa ein Bach in seinen Oratorien (dem die melodische und harmonische Gestaltung dieser Passagen durchaus ähnelt), noch genügend Spannung hinein. Zudem beweist die Bühnenbildabteilung der Hochschule erneut, was man mit eher bescheidenen Mitteln für reizvolle Wirkungen erzielen kann, ohne große Materialschlachten nötig zu haben, und die Inszenierungsabteilung offenbart wie erwähnt ein gutes Händchen für niedliche bis kultige Details (Paolino als Kreuzung aus bravem Buchhalter und Superman setzt dem Ganzen die Krone auf), was ihr natürlich auch durch das Sujet deutlich einfacher gemacht wird als etwa bei Händels "Alcina" letztes Jahr an gleicher Stelle. So bleibt in der Erinnerung eine reizvolle und sehr gut umgesetzte Repertoirewiederentdeckung, welche die anderen 74 Cimarosa-Opern, sofern sie ähnliche Qualitäten aufweisen, als Desiderat in den heutigen Spielplänen offenbart.



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