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Salon Pitzelberger   18.12.2004   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Dieses Ding hieß im Original mal "Monsieur Choufleuri restera chez lui le ..." ("Herr Blumenkohl gibt sich die Ehre am ..." - danke, Monika!), und es dauerte nicht lange, da machte sich die am 14. September 1861 uraufgeführte "Opéra bouffe in einem Akt" (aka Operette) auch in den Spielplänen in Berlin und Wien breit - in Berlin unter dem Titel "Salon Jäschke" und in Wien als "Salon Pitzelberger". Otto Schneidereits "Operettenbuch" gibt neben der Einschätzung, daß sowohl die Berliner als auch die Wiener Bearbeitung in recht vergröbertem Gestus gehalten worden seien, als Textautor den französischen Grafen von Morny (Halbbruder des seinerzeitigen Kaisers Napoleon III.) an, während der Programmzettel unter vier Namen auch Offenbachs bewährtes Texterteam Crémieux/Halévy nennt und damit im Einklang mit Volker Klotz' aktuellem "Operette"-Buch steht - ein Widerspruch, den ich vorläufig nicht auflösen kann. Aber egal - was zählt, ist das, was die studentische Mannschaft an vier Abenden im subterranen Großen Probesaal (der Begriff "groß" ist selbstredend relativ zu betrachten) des Hochschul-Zweitgebäudes am Leipziger Dittrichring auf die Bühne brachte. Und das war eine respektlose und über weite Strecken sehr unterhaltsame Variante.
Kurz ein paar Worte zur Handlung: Der Emporkömmling Pitzelberger gibt eine Party zur Neueröffnung des selbstredend nach ihm benannten Salons, in dem in Zukunft die Creme der Gesellschaft verkehren und Pitzelbergers bisher nur monetär legitimierten Aufstieg in ihre Klasse auch faktisch untermauern soll. Zu diesem Zweck hat sich der Salonherr neben einer Reihe hochkarätiger Gäste aus Gesellschaft, Politik und Militär (gewisse Zuordnungsdoppelungen bleiben nicht aus) auch drei Stars der italienischen Oper eingeladen, die die Eröffnungsfeier untermalen sollen. Im Prinzip ist also alles vorbereitet (wenngleich der oberste Kammerdiener und Berufsskeptiker Brösel das anders sieht), und nur Tochter Ernestine macht Pitzelberger Sorgen, hat sie sich doch kurz nach ihrer Rückkehr aus dem Internat in den nicht eben begüterten Musiklehrer Casimir verliebt, womit der Vater nun ganz und gar nicht einverstanden ist. Die Verwicklungen beginnen, als alle drei Sänger unmittelbar vor der Veranstaltung absagen und eine gewaltige Blamage für Pitzelberger droht, so daß er gezwungenermaßen auf Ernestines Vorschlag eingeht, daß sie und der von ihr anonym eingeschmuggelte Casimir sowie er selbst in die Rollen der Sänger schlüpfen. Der Bluff gelingt und führt auch noch zu inhaltlichen Konspirationen, welche die Gäste begeistern, die nicht ahnen, daß sich das Drama zwischen Vater, Tochter und als illegitim angesehenem Geliebten gleichzeitig mit dem gespielten italienischen Operngeschehen auch in der Realität abspult, welches aber natürlich mit einem Happy End ausgeht, indem sich Pitzelberger letztlich doch "breitschlagen" läßt und der Verbindung zwischen Ernestine und Casimir zustimmt.
Der Große Probensaal, wie erwähnt mit einer durchaus übersichtlichen Platzkapazität ausgestattet, ist in der dritten Vorstellung am Samstag abend fast voll besetzt und erlebt wie ebenfalls bereits erwähnt eine respektlose und unterhaltsame Darbietung. Ein großes Orchester paßt natürlich nicht in die Räumlichkeit (zumindest dann nicht, wenn noch Platz für Publikum und Bühne bleiben soll/muß), und so gibt es einen "Opernworkshop - szenische Aufführung mit Klavier", was namensbezogen ein wenig in die Irre führt, denn die Kammermusikbesetzung fährt auch noch einen Violinisten, eine Flötistin, einen Cellisten (auf diesem Instrument galt Offenbach übrigens selbst als Virtuose) und den einige Fagotteinwürfe beisteuernden musikalischen Leiter Alexander Bülow auf - an den instrumentellen Leistungen gibt es nichts zu deuteln (die skurrile Größenverteilung der Musiker, die sich beim Schlußapplaus offenbart, sei nur am Rande erwähnt: Cellist Frederic Dittmar ist zweieinhalb Köpfe größer als seine Mitmusiker). Aber auch die Inszenierung überzeugt: Die Massenszene der hektischsten Saloneinräumung zu Anfang sauber hinzubekommen ist beispielsweise gar nicht so einfach, und kleine Details wie Ernestines blitzartige, gewollt fast unbeholfen wirkende "Bekanntschaft" mit dem im Salon stehenden nackten Torso während ihrer Liebesarie für Casimir fordern die Aufmerksamkeit des Zuschauers immer wieder aufs neue, wenngleich manche Stellen gar zu detailverliebt daherkommen und gerade das Gebaren des unter den Gästen befindlichen alkoholisierten Offiziers zwar hochgradig kultig daherkommt, aber mitunter von der Hauptszenerie abzulenken droht. Dafür spielen die Studenten mit einer ansteckenden Begeisterung und unverbrauchten Frische, welche auch eher banale Einfälle Offenbachs wie die Arie des Kammerdieners Brösel, die nichts Entscheidendes zum Gesamtgeschehen beiträgt, zu reizvollen Glanzlichtern werden lassen, zumal die Idee, Tobias Hunger den Diener nicht nur in breitestem Dresdner Sächsisch sprechen, sondern auch in breitestem Dresdner Sächsisch singen zu lassen, als Geniestreich gewertet werden darf. Auch Ernestine aka Katja Rosenberg, Pitzelberger aka Marek Reichert und Casimir aka Shin-Hyung Park zuzuschauen macht mehr als Spaß (die Gäste fallen größtenteils nicht weiter auf - einen derselben als langhaarigen Rocker mit Sonnenbrille und Lederjacke auftreten zu lassen ist aber nur ein weiterer von vielen kleinen kultigen Einfällen), und auch sangestechnisch überzeugen die Hauptdarsteller zumindest, was die melodische Komponente angeht. Dafür hapert es mit der Textverständlichkeit in den Sangesparts bisweilen akut, und das liegt keineswegs nur daran, daß Shin-Hyung Park noch einen unverkennbaren Akzent in seinem Deutsch mitschleppt, denn auch die anderen Mitstreiter haben das eine oder andere Problem, wobei ich nicht definitiv sagen kann, ob auch die Raumakustik daran die eine oder andere Aktie hat, da mir hierfür die Vergleichsmöglichkeiten fehlen (ich war zum ersten Mal überhaupt in diesem Saal). Schade ist es in jedem Fall, denn dadurch geht die eine oder andere Textkomik verloren, sinkt der Bösartigkeitsgrad der Satire (der sich übrigens schon der zur Entstehungszeit der Operette als preußischer Gesandter in Paris befindliche Otto von Bismarck nicht entziehen konnte - er soll sich weidlich amüsiert haben, daß die "feine Gesellschaft" so durch den Kakao gezogen wurde, offenbar aber ohne zu bemerken, daß er ihr selbst angehörte) ein gewisses Stück ab. Das tut dem insgesamt positiven Urteil aber keinen Abbruch, und das Publikum belohnt die Darbietung mit reichlich Applaus, so daß lediglich ein eigenartiges Gefühl ob der Kürze des Stücks übrigbleibt (wiewohl es natürlich sein könnte, daß der Einakter schon im Original nicht wesentlich länger war oder sich die einleitend erwähnte Vergröberung auch auf eine Verkürzung bei den ersten Übertragungen ins Deutsche bezog). Daß man bei einem 19.30 Uhr beginnenden Konzert bzw. einer ähnlichen Veranstaltung das Gebäude schon um 20.20 Uhr planmäßig wieder verläßt, ist dem Rezensenten jedenfalls noch nie passiert, gab ihm und seiner hübschen Begleiterin aber immerhin die Möglichkeit, den gerade erst angebrochenen Abend mit einem gesunden Zeitmanagement noch anderweitig fortzusetzen, ohne aufgrund einer etwaigen fortgeschrittenen Stunde gleich das Sinken in Morpheus' Arme befürchten zu müssen.



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