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Volker Klotz: Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst
von mh anno 2004

Volker Klotz: Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst

Un-erhörte Operetten
Operetten, Bühnenstücke von vorwiegend heiterem Charakter (Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist) spielen vorwiegend in der k.&k.-Zeit der Monarchie, dem Großbürgertum und der Puszta (=ungarische Steppe). Sie werden von witzig-frechen, launigen, gesprochenen Dialogen, Gesang und Tanz zumeist von populären musikalischen Formen, einschließlich moderner Tänze und Märsche (Walzer, Polka, Csárdás), bestimmt Unerhört wird sie im vorliegenden Operettenführer im doppelten Sinn genannt eben: Aufsehen erregend aber auch bedürftig.
Operetten, einst der spritzige Sekt im Glas der Musikkultur, gelten in der heutigen Zeit als muffig und spießig. Zu Unrecht, sagt Volker Klotz, denn diese "unerhörte" musikdramatische Kunst birgt ein revolutionäres Potenzial, das die Welt spielerisch aus den Angeln heben will. Ihre Rehabilitation ist das Anliegen des Buches "Operette" von Volker Klotz, das nun erweitert, aktualisiert und besser ausgestattet neu herausgegeben wird.
Im ersten Teil, dem Porträt der Gattung "Operette", zeigt Klotz mit Witz und schlagenden Beispielen die durchgängigen Eigenschaften dieser Kunstform, ihre Abgründe und ihre subversive Sprengkraft. Dabei wird deutlich, warum berühmte Regisseure wie Max Reinhardt die Operette so ernst nehmen konnten wie Shakespeare-Tragödien.
In einer Einleitung erklärt der Autor Art und Zweck des Buches und seine Gebrauchsanweisung. Es folgt der I. Teil mit der Überschrift "Durchgängige Eigenschaften der Gattung". Es werden Meister- aber auch volkstümliche Stücke und Musterbeispiele vorgestellt, auf zeitliche Entrückung und umsungene Geschichte eingegangen, räumliche Entrückungen und klingender Exotismus beschrieben und auf Operetten mit einer verrückten Gegenwart verwiesen. Wie wird musikalisches Gelächter erzeugt? Wie wird Art, Wirkung der Komik im Stück entwickelt? Dies zeigt der Autor anhand von Beispielen auf. Dort erfahren Profi und Laie, wie ein akuter Lachzwang, der gegen chronische Alltagszwänge wirkt, erzeugt wird. Auch auf die Travestie, Spiel der Götter, Recken und Feen wird in anschaulicher Weise eingegangen. Zwei Sonderthemen, die Tanzdramaturgie und die spanische Zarzuela, runden den ersten Teil des Buches ab.
Im zweiten, gegenüber der Erstausgabe um 10 Komponisten und 23 Werke erweiterten, handbuchartigen Teil, stellt Klotz 123 spielenswerte europäische Operetten als Ergänzung und Korrektur zu den eingefahrenen Theaterplänen vor. Dieser brillant geschriebene "Gegenspielplan", von Paul Abraham bis Carl Zeller, der auch die spanische Schwestergattung Zarzuela intensiv behandelt, bietet eine informationsreiche und angriffslustige Alternative zu allen herkömmlichen Operettenführern.
Erst wird jeweils ausführlich der Komponist, dann seine Werke vorgestellt. Es folgt jeweils ein Kommentar, der hilft das Stück besser im Kontext zu sehen und zu verstehen.
Im Anhang werden weitere Vorschläge für Spielpläne gemacht. Es wurden Operetten zusammengestellt, die im vorhergehenden Buch nicht berücksichtigt wurden, weil der Autor lieber gründlich auf wenige Werke eingegangen ist. In vielen Fällen seien, so Volker Klotz, allerdings die Textbücher zu überarbeiten.
In seiner Nachbemerkung schreibt der Autor, dass das Buch in seiner fachlichen Nachbarschaft mit Ulrich Schreibers "Opernführer für Fortgeschrittene" und dem Lexikon "Die Musik in Geschichte und Gegenwart" gegenüber seinem Vorgänger gewinnt. Neu zu überdenken sei die "goldene" und "silberne Periode" der "Wiener Operette" und ihrem maßgeblichen Motor und Hauptlibrettisten Richard Genée. Er wünscht sich, dass dessen Stücke "Der Seekadett" und "Nanon" nach einem knappen Jahrhundert wieder aufs Theater zurückgeholt würden.
Volker Klotz ist Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Stuttgart, lehrte zudem an verschiedenen europäischen und außereuropäischen Universitäten. Er arbeitete als Theaterkritiker, Dramaturg und Regisseur und erhielt den Merck-Preis für Literaturkritik. Volker Klotz schrieb international anerkannte Standardwerke, unter anderem: "Bert Brecht", "Geschlossene und offene Form im Drama", "Dramaturgie des Publikums", "Bürgerliches Lachtheater". Der Autor will mit dem Buch Theaterpublikum und -macher gleichermaßen ansprechen. Wissenschaftlich fundiert und zugleich amüsant geschrieben, ist sein von Kritikern, Theaterpraktikern und Musikern hoch gelobtes Buch, ein ungewöhnlicher Führer in Tiefen und Untiefen einer unterschätzten Kunstform.

Volker Klotz: Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst. Erweiterte und aktualisierte Auflage. Kassel et al: Bärenreiter Verlag 2004. 869 Seiten. 64,00 Euro. ISBN 3-7618-1596-4






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