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Scheddelspalter-Festival   07.-08.04.2006   Leipzig, Kulturbundhaus
von ta

07.04.06, Nuke Eastern Plot, Tothamon, Nitrolyt, Faced Reality, Mimosis
Veranstaltet von den üblichen Verdächtigen des Scheddel-Teams zu Leipzig fand neben der allmonatlichen Scheddel-Party im April 2006 das kleine, aber feine Scheddel-Festival statt. Elf Bands aus Leipzig und Umgebung an zwei Tagen zum mehr als fairen Kurs von jeweils fünf Euronen pro Tag und im Ausgleich ein volles Haus: So sind am Ende beide Seiten glücklich und auch die Presse kann sich nicht beklagen.
Los ging der Reigen mit Mimosis. Das Quintett fühlt sich im melodischen Death Metal zuhause, der meistens im Midtempobereich angesiedelt ist, aber gerne auch mit wieselflinken Blastbeats überrascht und im Großen und Ganzen recht abwechslungsreich daherkommt. Die gesamte Saitenfraktion bangt, bis die Rüben abfallen, Sänger Witte brüllt sich souverän durch den Gig und blickt dabei finster wie die Nacht. Cool auch seine Death Metal-untypische Frisur (weder Fleischmütze noch Matte, sondern genau dazwischen) und die weitestgehend posenfreie Stageshow, die dann auch immer mehr Leute dazu verführt, sich dem gepflegten Mattenschwung anzuschließen. Höhepunkt des Gigs ist "Epitaph" mit voranpreschenden Blasts und guten Gitarrensoli, die ohnehin zu den prachtvollen Momenten des Mimosis-Sounds gehören. Fazit: Gute Band mit viel Potenzial, super Einstieg ins Festival.
Faced Reality gehören da schon in eine ganz andere Sparte. Vor drei, vier Jährchen, als ich die Band das letzte Mal sah, hatte Vokalist Stefan Schliewe noch eine prächtige Matte und die Band klang wie der kleinere, noch etwas unerfahrene Bruder von Crematory. Anno 2006 sind die Haare hinfort und die Band hat ihren Sound nicht ganz unerheblich modifiziert: Crematory hört man zwar hier und da - in den Grooves, manchen Riffs, den Synthies und den auf deutsch gebrummelten Texten - immer noch raus, die Songs sind aber um Elemente vornehmlich aus dem Black Metal ausstaffiert worden. Das Ergebnis tönt aber nicht klirrig, sondern noch immer heavy und düster, die Schlagzahl im Tempo hat zugenommen und Schliewe kreischt wie ein Berserker, hat aber erfreulicherweise auch die tiefen Growls nicht ad acta gelegt. Das abwechslungsreiche Songwriting und die Tightness der Band tun ihr Übriges, um den Gig konstant unterhaltsam zu gestalten. Die finsteren Keyboards kommen im Livegewand sogar besser als auf Platte rüber. Etwas mehr Bewegung hätte nichtsdestotrotz gut getan und von den apokalyptischen Texten kann man auch halten, was man will. Aber so oder so: Feiner Gig und besser als noch vor einiger Zeit.
Nitrolyt müssen aus personaltechnischen Gründen auf ein Review meinerseits verzichten, deswegen geht's direkt mit Tothamon weiter. Nach dem unfallbedingten Ausfall von Crowd waren Tothamon in die Co-Headliner-Position gerutscht und trugen diese Bürde mit Anstand. Der melodiöse, komplexe Death Metal des Fünfers kommt schön hart daher und ist musikalisch vielleicht das Glanzlicht des Abends. Jeder Beteiligte ist schon eine Klasse für sich, das Gitarrendoppel um Ronny und Festivalveranstalter Tino überzeugt vor allem mit seinen grandiosen Leads, während man von Schlagzeuger Niko versierte Arbeit ja bereits von den Dark Suns gewohnt ist. Während er dort aber zugleich den Posten des Sängers besetzt, nimmt selbige Position hier ein gewisser Gax ein, der in vor allem zwei Hinsichten auffällt. Zum Einen sind seine Growls allererste Sahne: Kellertief und kräftig, immer mit einem Höchstmaß an Intensität dargeboten. Zum Anderen ist der Mann der einzige mir bekannte Death Metal-Fronter, der im grünen Sportdress über die Bühne hüpft. Sieht fast so strange aus wie vorher der Klamottenschwall bei Nitrolyt. Tothamon ist folgerichtig das größte Publikum des Abends zu bescheinigen, wenngleich sich die Bangeranzahl ob des rhythmisch nicht immer ganz einfachen Materials in beschaulichen Zahlen hält. Aber so oder so: Strike und tolle Band.
Bei Nuke Eastern Plot ist dann im Prinzip alles wie sonst. Max rammelt über die Bühne und davor als die ultimative Rampensau überhaupt, lässt sein lockiges Haupthaar unermüdlich kreisen, brüllkreischgrunzsingt alles in Grund und Boden, hat allerdings heute einmal im Vorhinein so viel getankt, dass ein Sturzflug auf den Brettern unumgänglich bleibt. Seit dem Einstieg von Bassist Patrick und Gitarrist Carlos ist auch darüber hinaus ein Mehr an Bewegung zu verzeichnen und sogar Gitarrist und Urmitglied Pepe taut zunehmend auf. Die verkifften ins Publikum gerichteten Blicke aus diesen nebligen Kullern, die seine Augen ersetzt haben, sind jedenfalls eine Klasse für sich. Gottlob hält Drummerin Caro das ganze Spektakel tight zusammen. Da stört es auch nicht allzu sehr, dass die Songs nach einer Weile (noch immer) etwas gleichförmig daherkommen. Die neuen gespielten, noch unveröffentlichte Sachen lassen aber in dieser Hinsicht aufhorchen und auf Großes hoffen - und einige der alten, etwa den Smasher "Heaven Sent", das treibende "Breathless" und die Semiballade "Symbiotic", will man ja auch gar nicht anders, als sie sind. Ergo: Beste Unterhaltung, gewohnte Qualität, würdiger Headliner, gute Nacht.

08.04.06, Khmer, Six Pound God, Paris In Flames, Myra, Northshore, Hate The Players
Von einem ganz anderen musikalischen Kaliber ist der zweite Festivaltag. Indizien liefern einige statistische Erwägungen: Der Altersdurchschnitt beim Publikum liegt bei schätzungsweise 17/18 Jahren, der Anteil langhaariger Kerls bei schätzungsweise fünf Prozent, der Anteil der Basecap-/Kurzhaarkerlfraktion bei schätzungsweise fünfzig, der Frauenanteil bei sicherlich fünfzig Prozent. Weiterhin: Fünftausend im Vorhinein verbrauchte Kajalstifte und ein Haus, das bis auf den letzten Platz gefüllt ist und spätestens bei der dritten Band einer Sauna gleicht. Richtig: Metalcore as Metalcore can be.
Hate The Players sind aber noch etwas traditioneller, spielen aber nicht etwa True Metal, sondern Punk bzw. Uralthardcore, der irgendwo bei den Dead Kennedys beginnt und zehn Jahre später aufhört, nur härtetechnisch etwas aufgepeppt wurde - so klingt das Gebräu zumindest vor der Bühne. Der gesangliche Mix aus gehetztem Kreischen a la Jello Biafra und neuzeitlichen Shouts sowie die sympathische, kommunikative Art des Sängers sind das Beste des Gigs. Die Powerchordriffs der Saitenfraktion gehören dagegen in die Abteilung langweilig-bis-tausendmal-gehört, das Tempo der Songs ist eigentlich immer das gleiche und der Gig wird auf diese Art bereits recht schnell zu einer drögen Angelegenheit. Da auch auf der Bühne nicht allzu viel passiert, ist der Rezensent geneigt, am Ende des Gigs die einführende Ansage des Sängers - sinngemäß: Wir haben in wenigen Monaten schnell sechs Songs zusammengeschustert, nur um hier für euch spielen zu können - wenig wohlwollend zu interpretieren: Hate The Players sind nicht unbedingt ein Schnellschuss, aber zumindest einer ohne viel Arbeit an der Zielfixierung. Da tut auch der Gastauftritt des Six Pound God-Sängers nicht mehr viel.
Da haben Northshore anschließend leichtes Spiel. Rein vom Unterhaltungswert ist der kauzige Trupp der Höhepunkt des Abends: Ein Sänger, der kein einziges Haar am Körper trägt und durch die Gegend shoutet wie Mike Muir auf LSD, ein Drummer, der um sein Leben hämmert zu Highspeed Punk/Hardcore, der in seinen besten Momenten an die Suicidal Tendencies erinnert - nur noch schneller und lustiger -, eine bestens aufgelegte Band und ein Publikum, das steil geht, das ist der Stoff, aus dem Erinnerungen gemacht sind. Die ersten Crowdsurfer fliegen durch den Saal und vor der Bühne veranstalten ein paar Jogginghosen bereits ihre Tänzchen. Im Saal staut sich bereits der Pulk, obwohl niemand der Leute, die ich anspreche, die Band kennt. Das nennt man dann wohl einen Sieg beim ersten Versuch. Famos!
Die Stimmung steigt weiter bei Myra. Die sind bekannter und spielen vor allem das, was hier fast jeder hören will: Metalcore, Metalcore und nix anderes als Metalcore. Schweißtreibend, abwechslungsreich, gut arrangiert und ohne den nervigen Quotenklargesang von Kollegen wie Caliban. Das erinnert ein wenig an Maroon, nur dass Myra geschwindigkeitstechnisch gesittet vorgehen, d.h. fast ausschließlich mit der Midtempokeule schwingen. Die Show ist brilliant, die Band (welche sich aus Ex-Mitgliedern von u.a. Think About Mutation und Violated Seizure speist) zeigt sich ebenso energetisch wie selbstbewusst, besonders Brüllwürfel Sebastian Spillner und Bassist Robert Seyfert zappeln unermüdlich durch die Gegend. Doublebasseinlagen von Schlagzeuger Sebastian Schneider rollen schön brachial über das Auditorium hinweg, so dass im Circle Pit literweise Schweiß die Poren verlässt und auch der eine oder andere Stagediver den Bühnenrand erklimmen kann. Alles perfekt also? Im Prinzip ja, nur dass es eben drölfzigtausend Bands gibt, bei denen sich vermutlich dasselbe sagen lässt. Aber unabhängig davon: Toller Gig.
Was kann da noch Besseres folgen? Keine Ahnung, denn an die darauffolgenden Paris In Flames kann ich mich trotz eines beinahe völlig alkoholabstinenten Abends kaum erinnern. Paris In Flames gehören ebenfalls in die Metalcore-Kiste, haben aber im Gegensatz zu Myra nicht den Metal um den Hardcore, sondern den Hardcore um den Metal aufgepeppt. Das Ergebnis ist einfacher, nicht allzu mitreißender Uptempo-Stoff, der nach einer Weile nur noch semiunterhaltsam ist. Klar, Sänger Ralf sieht imposant aus, ist sicherlich die älteste Person, die an diesem Abend auf der Bühne steht und brüllt und brüllt und brüllt, die Riffs sind auch ganz OK, etwas bieder vielleicht, die Rhythmusabteilung spielt tight, die Songs sind halt Metalcore; aber Ausrufezeichen kann die Band keine setzen. Liegt vielleicht an der ungünstigen Position nach Myra. Das Publikum gebart sich zwar weiterhin enthusiastisch, aber gesitteter als noch bei Myra. Und der Club ist inzwischen wirklich gerammelt voll, zwischen drinnen und draußen besteht locker ein Temperaturunterschied von zwanzig Grad, von der Decke tropft das Kondenswasser und ich frage mich, wie die Jackenfraktion, die sich auch prompt von Ralf eine humorige Ansage einfängt, noch auf den Beinen stehen kann. Und das auch noch zwischen den ganzen jungen Mädels. Very hard, indeed.
Six Pound God sind für mich die letzte Band, weil ich den eigentlichen Headliner Khmer aus organisatorischen Gründen nicht mehr wahrnehmen kann. Musikalisch kommt man Paris In Flames gefährlich nahe, allerdings ist die Brutalität wieder etwas höher und die Songs sind komplexer, wenngleich von Stoff wie Machinemade God und Konsorten noch immer meilenweit entfernt und ziemlich austauschbar. Das Auftreten der gesamten Band ist aggressiv und energisch, allerdings bleibt darüber hinaus nichts hängen, was jedoch auch an der Übermüdung und/oder Geschmacksverirrung des Rezensenten liegen mag. Nicht daran zu zweifeln ist aber, dass das Publikum inzwischen partiell die Müdigkeit des Rezensenten teilt und sich besonders in den hinteren Reihen auf artige Beifallgebung beschränkt. Keine Ahnung, ob Khmer hier wieder mehr reißen konnten. Publikumssieger blieben bis zu meinem Abschied Myra, Überraschungssieger Northshore.
Das Festival insgesamt kann als echter Erfolg, echte Undergroundarbeit und faires Zeichen in (den ja eigentlich allgegenwärtigen) Zeiten, in welchen immer mehr genommen und weniger gegeben wird, gewertet werden. Dafür Glückwunsch an Veranstalter und Publikum sowie Tadel und, noch mehr, Empfehlung an alle, die nicht da waren. In dem Sinne: Scheddel wach halten und im Ernstfall heftig kreisen lassen. Ende der Berichterstattung.
Kontakt: www.scheddel.de



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