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Disillusion, Svart, Tothamon   30.11.2002   Frohburg, Schützenhaus
von rls

Es gibt noch Dinge, auf die man sich verlassen kann. Die Verspätung beim Konzertbeginn im Schützenhaus gehört dazu, und da ich aus Termingründen 40 Minuten nach planmäßiger Anstoßzeit eintraf, kam ich exakt pünktlich zum Setbeginn von Tothamon. Von denen hatte ich irgendeinen Samplerbeitrag noch ganz diffus im Ohr und war gleich doppelt überrascht: Einesteils ging die Leipziger Combo phasenweise doch rapide schneller zu Werke, als ich das noch im hinteren Teil des Ohres behalten zu haben glaubte, und dadurch kam als zweite Überraschung eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Headliner Disillusion zutage. Der progressive Aspekt des irgendwo im erweiterten Death Metal-Spektrum lagernden Tothamon-Sounds beschränkte sich allerdings im wesentlichen auf die (vom Soundmenschen sehr begünstigte) Drumarbeit, wohingegen diesbezügliche Ansätze in der Gitarrenarbeit entweder nicht vorhanden oder nicht heraushörbar waren. So richtig viel Gitarre im Ohr hatte man während der schnelleren Passagen nämlich nicht, aber die Mitte des Sets gehörte tendenziell langsamer angelegten Kompositionen, die sich auch mal zu längeren halbakustischen Ausflügen hinreißen ließen, deren Wurzeln man irgendwo in den Siebzigern oder noch früher verorten konnte. Beileibe nicht in diesen Zeitabschnitt hätte allerdings der Sänger gepaßt, wenigstens stimmlich nicht, optisch dagegen schon mit seinem "Bruce Dickinson meets The Beatles"-Haarschnitt. Sein mittelhohes Knurren (nur ganz selten von noch nicht ganz sicher wirkendem Klargesang unterbrochen) bekam mit der Zeit einen etwas monotonen Touch und wurde dem durchaus vielschichtigen Charakter vieler Kompositionen, u.a. der "Bandhymne" "Tothamon", nur teilweise gerecht. Insgesamt eine ausbaufähige Vorstellung.
Fast genau zweieinhalb Jahre war es her, seit ich Svart das letzte Mal gesehen hatte, und die Lokalmatadoren stellten unter Beweis, daß sie in der Zwischenzeit hart an sich gearbeitet haben. Die zum Sextett geschrumpfte Band (der Bassist ist mittlerweile auch für die Leadvocals zuständig) hat mit Black Metal mittlerweile nahezu gar nichts mehr zu tun (auch der Gesang nicht, der eher an heiseres Thrash-Gebell erinnerte), sondern sich ein gutes Stück in Richtung Göteborg bewegt und diverse Abstecher zum Thrash, zum Traditionsmetal und gar zur NWoBHM unternommen. Die beiden letztgenannten Einfüsse fanden im wesentlichen allerdings nur in der Gitarrenarbeit ihren Niederschlag, von der man leider immer noch nur Teile erlauschen konnte, obwohl die Drums diesmal bedeutend leiser waren (bis auf die sehr grellen und lauten Becken) und man auch von den Keyboards nicht so sehr viel vernehmen konnte. Die neuen Kompositionen erwiesen sich als tendenziell geringfügig langsamer angelegt und endeten mitunter etwas abrupt, den Eindruck einer gewissen Unfertigkeit hinterlassend (welchletzteres bei eingehender vorheriger Werkkenntnis vermutlich nicht so empfunden worden wäre). Wer übrigens anhand der vorhin genannten Kopfzahl nachrechnet: Svart verfügen immer noch über drei Gitarristen, was den Vorteil aufweist, daß man selbst bei Doppelleads (die nicht selten zum Einsatz kamen) immer noch eine Rhythmusgitarre drunterliegen hat, und abmischungstechnisch, soweit man es soundbedingt rekognoszieren konnte, keine größeren Probleme aufwarf. Svart nutzten die fast kammermusikalischen Möglichkeiten, die sie durch diese Besetzung haben, insgesamt allerdings noch nicht voll aus, auch wenn sie auf einem guten Weg zu diesem Ziel zu sein scheinen. Das Publikum reagierte insgesamt sehr positiv, und Svart packten eine Zugabe aus, die mir irgendwie bekannt vorkam (War es eine Komposition, die ich vor zweieinhalb Jahren schon mal gehört hatte? War es ein Cover?) und die nahtlos in ein allgemein bekanntes Keyboardthema überging, mit dem der Nichteingeweihte an dieser Stelle wohl kaum gerechnet hätte: "The Final Countdown" von Europe. Die Band stieg regulär in den Song ein, aber anstelle der Strophen folgte die offizielle Verabschiedung und ein nahtloser Übergang in den Schlußteil des Songs. Schade - eine komplette Svart-Version dieses Songs hätte sicher nicht nur mich interessiert. Vielleicht beim nächsten Mal.
Disillusion verabschiedeten sich mit diesem Gig in eine mehrmonatige Livepause, die sie nutzen wollen, um neues Material auszuarbeiten und aufzunehmen. Vorher zogen die Herren Schmidt, Barthel und Maluschka aber noch einmal fast alle Register. Fast alle deshalb, weil sich die Besetzung mit zwei Gitarren und Drums doch etwas limitierend auswirkte (man sucht immer noch händeringend nach einem Bassisten - ich wage mir nicht vorzustellen, was Disillusion fabrizieren würden, wenn sie die Personalstärke von Svart hätten) und darunter der Death Metal-Aspekt am meisten zu leiden hatte. Gut, massiv kann man die Studioversionen auch nicht gerade nennen, aber gerade das Fehlen eines wenigstens ansatzweise pumpenden Basses oder die Zurückstellung treibenden Riffings zugunsten anderer parallel zu spielender Gitarrenparts erhöhte den Abstraktionsgrad der Liveversionen doch beträchtlich und gemahnte bisweilen an eine gehärtete Version der Kunstrockkonstruktionen von Fates Warning in der Post-John Arch-Periode. Diverse Figuren im Publikum unternahmen mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, den nicht seltenen Taktverschiebungen beim Bangen zu folgen - Bühnenaktivposten Rajk hatte es mit seiner intensiveren Stückkenntnis da einfacher. Das ultralange Death-Cover "Flesh And The Power It Holds" gehört gemäß Tobias' Livereviews aus den vergangenen Monaten bereits standardmäßig zum Set, und daß Disillusion kein Stück der "Three Neuron Kings"-Mini und auch keins des aktuellen Zweitrackers "The Porter" auslassen würden, konnte sich der interessierte Fan vorab schon an seinen zwölf Fingern abzählen. Mit "Swallow" zollte die Band auch ihrer Vergangenheit Tribut (das Stück entstammt einem älteren Demo und wurde in einer Zeit geschrieben, als außer Sänger/Gitarrist Andy die Besetzung noch eine komplett andere war) und stellte unter Beweis, daß sie anno dazumal gar nicht so wesentlich anders geklungen hat als heute. Wie man diesen Stil beschreiben soll, weiß ich zwar immer noch nicht so richtig (Janet stellte übrigens nach einem Liveerlebnis in Jena wenige Wochen zuvor fest, daß die häufig angeführten Opeth-Parallelen in ihren Ohren kaum nachvollziehbar seien), denn irgendwo ist es schon noch Death Metal, aber irgendwo auch wieder Lichtjahre von diesem (auch von den gängigen Techno Death-Vertretern) entfernt. Bei insgesamt guten Soundverhältnissen lieferten Disillusion jedenfalls einen obwohl nicht zwingend organisch, so doch trotzdem ehrlich wirkenden Gig mit viel Spielfreude und Engagement ab, der einen gespannt in die Zukunft blicken läßt.



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