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Obscenity
von ta anno 2006

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Die Death Metal-Institution Obscenity hat mit ihrem Neuling "Where Sinners Bleed" einmal mehr glänzend bewiesen, wie man traditionellen Death Metal völlig staubfrei am Leben erhält. Quasi der perfekte Schuldige für den Blutnacken nach Feierabend. Grund genug für einen Cyberplausch mit den Oldenburgern. Dem langen CrossOver-Fragenkatalog stellte sich Gitarrist Hendrik Bruns.

Salve Hendrik, zunächst Gratulation zum neuen Album, ist ja ein ziemliches Pfund geworden, kraftvoll, direkt, aber dabei sehr abwechslungsreich. Gibt es so was wie die Obscenity-Song-Formel?
Danke für die Lorbeeren, hört sich immer gut an, so'n fettes Lob zum Beginn. Eine Formel haben wir nicht, aber engagierte und talentierte Musiker, die alles drum geben, einen guten Song zu schreiben. Es wird nur im alleräußersten Notfall mit Füllmaterialriffs gearbeitet, die sich aber nach reiflicher Überlegung schnell wieder in geeignete Riffs, Bridges und Hooklines oder Refrains verwandeln.
Wir arbeiten im Verbund, d.h. es sind mindestens 3 Leute am Songwriting-Prozess beteiligt. Auf "Where Sinners Bleed" haben wir es gewagt, auch mal Songs aus einer Feder stammend zu nehmen. Findet doch heraus, welche es sind.

Im Vergleich mit etwa Deicide oder Cannibal Corpse klingen Obscenity ungleich intensiver, zumindest als Deicide, auch wenn eure musikalische Basis definitiv im Florida-Sound der angegebenen Truppen liegt, oder? Woher kommt denn diese Obscenity-Power? Habt ihr solche Hummeln im Arsch?
Hummeln ist gut, muahahaha. Nein, haben wir nicht; aber 'ne gehörige Portion Aggressivität, die sich im Laufe der Jahre anstaut und aufgebaut hat. Mit jedem neuen Output entlädt sie sich dann wieder. Auffallend bei uns ist, dass wir relativ alt sind für eine solche Art von Musik. Da passt das gute Sprichwort: "je oller - je doller". Cannibal Corpse-Einflüsse kann ich nicht verleugnen, aber wir machen keinen Song, wo wir sagen: der soll jetzt aber klingen wie xy, das passiert eher unterbewusst.

Mir scheint auch, dass ihr mit jedem Plattenneuling ein wenig das Tempo anzieht. Auf "Where Sinners Bleed" gibt es ja in jedem Song Blastbeats. Liegt dem eine bewusste Entscheidung zugrunde?
Hahaha, das ist ein fester Bestandteil der Obscenity-Formel! Nein, das ist eher zufällig oder, besser gesagt, songdienlich. Wenn's passt, wird geblastet. Natürlich mögen wir es alle ein wenig flotter, aber bei der nächsten Scheibe das Tempo noch mal anzuziehen halte ich schon fast für unmöglich.

Viele langsamere Death Metal-Bands erklären ihre Langsamkeit damit, dass mit dem Erhöhen des Tempos der Groove verloren ginge. Obscenity sind dagegen auch beim Holzen noch sehr groovy. Woran liegt's?
Wir machen schon relativ lange Musik in dieser Besetzung. Das ist wie in einer Ehe, da ist man halt auf einander abgestimmt, alles harmoniert. Irgendwann konzentriert man sich nicht mehr so auf das Spielen an sich, sondern spürt es einfach. Und dann bist du plötzlich im Groove. Hahaha, ich labere schon wie 'n alter Blues-Heini.

Summa summarum würde ich sagen, dass "Where Sinners Bleed" eure technischste Platte ist.
Jein. Das ist einfach die Entwicklungsgeschichte nach dem Ikea-Motto: "Entdecke die Möglichkeiten." Jeder Song ist anders, jede CD hat einen anderen Charakter. Wir sind nicht losgegangen mit dem Vorsatz, etwas Technisches zu machen, das überlassen wir lieber den Anderen, die meinen, davon etwas zu verstehen. Meistens sind es die ganz jungen Bands, die gerade anfangen zu spielen und zu komponieren. Die wollen auf Deibel komm' raus technisch klingen und merken gar nicht, dass es nicht mehr groovt. Und schwupps, haben die 'n Knoten in den Fingern, hahaha.

Sind Obscenity mehr Bauch oder mehr Kopf?
Wir haben alle eher mehr Bauch, hehehe. Das Bauchgefühl entscheidet beim Denkprozess, du weißt worauf ich hinaus will? Natürlich wird erst durchdacht, aber wenn das Bauchgefühl dagegen entscheidet, bringt die Sache an sich nichts mehr. Ich würde auf 50/50 tippen ...

Gehen wir mal alle Beteiligten durch: Da wäre das Gitarrentandem Hendrik Bruns, also du, und Jens Finger: Abwechslung as Abwechslung can, oder was? Traditioneller Nordamerika-Death, Thrash-Riffs vom Feinsten, schnelle Fieselriffs, exquisite, melodische Soli - gibt's eigentlich was, das ihr nicht spielen könnt oder wollt?
Wir wollen alles, können aber nix richtig, hahaha. Mittlerweile spiele ich seit über zwanzig Jahren Gitarre und Jens seit ca. fünfzehn, ich weiß es nicht genau. Wir haben wie jeder Bubi anfangs mal kurz Unterricht genossen, das hat sich bei mir nach vier bis fünf Monaten aber wieder erledigt, weil es einfach nicht das war, was ich wollte. Mein damaliger Gitarrenlehrer bekam von mir mal 'n paar Tapes von Exodus und Konsorten, der hat mich angeglotzt und gesagt: so etwas machen wir hier nicht, wir sind ein ordentlicher Laden! Das war's für mich dann. Mit 'ner Riesenflappe bin ich nach Hause gefahren und das Thema Unterricht war gegessen. Von da an war ich Autodidakt und hab' mir geschworen, dass ich es dem Wichser eines Tages noch zeigen werde, hahaha.

Besonders "Return To Flesh" klingt teilweise etwas eigen, hier hätte ich gitarrentechnisch eher auf eine komplexe Combo wie Cryptopsy als auf Obscenity getippt, ich denke etwa, Achtung Analyse, Analyse, an die Passage ab 0:40 min. Habt ihr das Gefühl, euch mit solchen Songs ein Stück aus dem Fenster zu lehnen?
Meinst du, wir tun das? Amtsanmaßung? Och watt! Alles wird mal ausprobiert. Wir wollten nicht wie Cryptopsy klingen, aber das Riff hat's wirklich in sich. Rasend schnelles Picking auf Blast-Drums, das ist schon nicht ohne. Macht aber höllisch Spaß!

"Return To Flesh" zeigt auch eure gnadenlos kickende Rhythmusabteilung Pahl/Dieken in Höchstform. Wo habt ihr euren Drummer Marc Andree Dieken denn aufgetrieben?
Mücke, so wird er bei uns genannt, war in der Musikerszene schon als fixer Drummer bekannt. Er kam aus der Thrash-Ecke und hat bei einigen Bands in Ostfriesland schon gespielt. Wir hatten ihn auch oft bei Konzerten als Besucher gesehen und da Jens ihn etwas kannte, kam man dann leicht ins Gespräch. Wir fragten ihn damals, ob er sich vorstellen könne, bei uns zu zocken und er hat sich die Sache lange und reiflich überlegt, schon fast zu lange, so dass wir dachten, dass er gar nicht wolle. Zu dem Zeitpunkt hatte er auch viel mit dem Studium zu tun. Er kam dann zur Probe und kannte die Songs auch, hatte sie sich quasi noch richtig verinnerlicht. Anfangs hatte er allerdings noch arge Probleme mit den Doublebassparts, es klang echt kluntig. Aber er ist Perfektionist und echt besessen gewesen, die Dinger ordentlich spielen zu können, nistete sich dann tagelang im Proberaum ein - und es klappte! Sogar schneller als wir geahnt hatten.

Im Gegensatz zu "Cold Blooded Murder" ist sein Drumsound auf "Where Sinners Bleed" auch nicht mehr so überproduziert, wie ich finde.
Unser Studiomann Jörg (Soundlodge) ist selber Metal-Drummer, was liegt also näher? Teilweise standen die Drums auf "Cold Blooded Murder" sehr weit im Vordergrund und wir dachten immer, dass wir 'ne super Drumming-CD aufnehmen. Dazu kam noch, dass die Gitarren immer zu bassig waren und sich nie richtig durchsetzten. Das haben wir diesmal geändert, indem wir die Gitarren etwas mittiger gefahren haben, zudem auch weniger Gitarrenspuren nutzten, da die Geschichte sonst zu breiig wird. Gerade bei den schnellen und technisch anspruchvolleren Riffs geht so was meistens daneben.

Bleibt in der Musikerriege noch Oliver Jauch, kein Freund des Klargesangs. Habt ihr irgendwann einmal mit dem Gedanken gespielt, das tiefe Growling irgendwie um ein paar Facetten zu erweitern? Ich denke nicht, dass es zwingend notwendig wäre, aber im direkten Überblick über die letzten paar Alben habe ich den Eindruck, dass sich musikalisch alles etwas geändert hat - nur der Gesang ist konstant tief gegrunzt geblieben.
Ich meine ja, dass er 'ne ganze Ecke thrashiger singt und somit auch mittiger. Aber das ist immer Ansichtssache. Außerdem sind die Refrains und Strophen wesentlich klarer strukturiert, was die Arbeit im Studio wesentlich erleichtert hat. Früher hat er mehr Spuren zum Aufnehmen gebraucht, um die Ansätze besser zu kriegen, sonst hätte es Dynamikschwankungen gegeben.

So richtig warm geworden bin ich mit euren, besonders jüngeren, Texten nie. Eine Menge Klischees, viel Apokalypse, Besessenheit, Gemetzel usf. Ab und zu gibt es auch definitiv ernste Töne, ich denke etwa an die Medienkritik in "Sensation Mongering" von "The 3rd Chapter" oder den Nachruf "Cold Blooded Murder" auf dem gleichnamigen Album, insgesamt aber mehr Sachen, die man nicht allzu ernst nehmen sollte. Liege ich da richtig? Oder übersehe ich eine wichtige lyrische Komponente bei Obscenity?
Olli hat sich immer sehr viel Gedanken gemacht um seine Lyrics! Er hat oft nächtelang darüber gesessen und gegrübelt, um seinen Ansprüchen gerecht zu werden. Aber nach diversen Obscenity-Alben gab es halt keine Themen mehr, in denen man etwas unterbringen kann, was innovativ genug war. So hat er sich auch in die Fantasy- und Gore-Ecke gewagt, was er anfangs noch überhaupt nicht wollte.

Sind Gore- oder Fantasy-Klischees eine Art Notlösung, weil es halt genug Anschlusspunkte für den Hörer gibt, Marke: Ach ja, hier bin ich eben im Death Metal und damit zuhause?
Über was willst du sonst singen? Wie du 'ne Alte flachlegst oder über Blumenpflücken, hahaha? Ein gewisses Klischee muss man halt erfüllen und mal ehrlich: Viele Sänger sehen ihre Stimme doch auch als ein Instrument.

Spekulative Frage: Ist der gemeine Death Metal-Hörer an ernsthaften Themen interessiert?
Da kann ich nicht für Olli sprechen, ich hingegen brauche keine ernsthaften Themen. Dafür gibt es die Tagesschau, die ist sogar viel ausführlicher und den Sprecher kannst du auch besser verstehen. Wie gesagt, die Vocals sind im Death Metal eher als Instrument anzusiedeln.

Was hältst du von den anschaulichen Texten einer Combo wie Cannibal Corpse?
Ich hab mir die Texte nie wirklich durchgelesen, aber weiß dennoch in groben Zügen, worum es geht. Es ist reine Provokation! Vielleicht auch dummes Jungengesülze, was ich den Jungs von Cannibal Corpse nicht unterstelle! Aber man sollte so etwas auch nicht so bierernst sehen, sonst leidet man irgendwann an Realitätsverlust, hahaha.

Welche Grenzen würdest du selbst bei der Beschreibung nie überscheiten, welchen Gegenstand niemals thematisieren?
Ich persönlich würde nie Frauen, Kinder oder Schwächere thematisieren. Auch Religion hat meiner Ansicht nach nichts zu verlieren. Das können andere Stammesvölker doch besser ... - das ist jetzt keine Abwertung!

Ich nutze mal die Gelegenheit, einen gestandenen Death Metaller älteren Semesters interviewen zu können und weite das Thema noch ganz kurz etwas ins Allgemeinere aus. Die Kiske-Frage: Haben Texte, auch solche im Death Metal, etwas mit Moral zu tun? Oder sollte man den Text eines Songs und die "Realität" strikt auseinanderhalten?
Komischer Vogel, der Kiske. Der hat Ansichten ... Jeder muss selber wissen, wo seine Grenzen sind und was er interpretieren möchte. Manche Leute gehen da halt sehr weit und manche nutzen diesen Spielraum eher spärlich. Für mich ist es reine Unterhaltung und ich meine, dass man das Ganze nicht zu bierernst nehmen soll. Für mich ist Death Metal - und Metal an sich - Musik und keine Message oder so'n Humbug!

(Sänger Oliver Jauch stößt hinzu.)
Ist ein Death Metal-Text letztlich "nur" Entertainment wie ein Text von, sagen wir, The Darkness, nur eben sind die Themen extremer?
Jauch: Musik als solche ist Entertainment, somit auch die Texte als Teil eines Liedes. Wer die Texte von Obscenity liest, wird feststellen, dass wir uns textlich fernab von alt hergebrachten Klischees der Marke Zombie, Gore und Blut bewegen. Ich habe einen gewissen Selbstanspruch, dem ich gerecht werden möchte. Auf "Where Sinners Bleed" geht es bis auf zwei Ausnahmen um ECHTE WAHRE HÄRTE, um Geschichten, die das echte Leben schreibt und die oftmals viel härter sind als "Zombie isst Mensch" usw. Hinter den Songtiteln der Stücke vermutet man oftmals Goretexte, jedoch ist das nur die Verpackung.

In Prozenten: Wie wichtig ist die Musik bei Obscenity und wie wichtig der Text?
Jauch: Aus dem reinen Selbstanspruch heraus haben die Texte von OBSCENITY Hand und Fuß und es steckt bis zu 10 Stunden Schreibarbeit in einem Text. Von da her sind sie mir natürlich sehr wichtig. Die Musik als Gesamtbild inklusive des Gesangs steht an erster Stelle. Ein guter Song lebt nicht von dem Inhalt eines Textes, vielmehr ist es die Art und Weise der Musik im Zusammenspiel mit dem Gesang, dem Aufbau eines Songs und dem Formulieren von Wörtern auf dem richtigem Riff, welches einen Song zum "Hit" werden lässt. Es ist wichtig, dass der Refrain knallt, dabei wäre es völlig gleichgültig, worauf der Inhalt gerade abzielt. Der Gesang als solcher ist gleichzusetzen mit den Instrumenten, aber der textliche Inhalt wäre austauschbar. Es ist schwer, dies in Prozenten auszudrücken, jeder beurteilt dies am besten für sich selbst. Mir als Sänger und Texter liegen die Texte mehr am Herzen als zum Beispiel unserem Drummer.

Themenwechsel. Nach mehr als einer Dekade im Death Metal: Was hat sich in der Szene - zum Guten oder zum Schlechten - geändert?
Wieder Bruns: Zum Guten auf jeden Fall die Erreichbarkeit der Musik. Du hast wesentlich mehr Auswahl als in den 90ern und es gibt wesentlich mehr qualitativ gute Festivals. Außerdem ist die Qualität der Aufnahmen um Längen besser als damals. Solche Sachen wie Harddisc-Recording und Konsorten machen es heutzutage möglich, schnell und produktiv zu arbeiten. Allerdings gibt es auch die Kehrseite der Medaille bei zu vielen Bands. Die meisten verschwinden viel zu schnell in der Versenkung, weil es halt ein Überangebot gibt. Da bleiben immer nur die guten und innovativen Bands hängen.

Ich habe euer "The 3rd Chapter"-Album von 1996 vor drei Jahren in der Wühlkiste bei Müller für einen Euro bekommen ...
Da kann ich dich nur beneiden! Ich hab sie damals nur zum Einkaufspreis bekommen, hahaha. Und hey, heutzutage wird sich das ganze Zeug doch eh runterkopiert von Emule und Co.

1996 war wohl nicht die richtige Zeit für Old School-Death? Lief das Album damals schlecht?
Ich kann dir keine genauen Verkaufszahlen nennen, aber es werden einige Tausend gewesen sein. Aber wenn du "vor 3 Jahren" sagst, dann ist es wohl ein "nice price"-Angebot aus irgendwelchen Rückläufen oder Überhängen gewesen.

Und der Death Metal 2006? Combos wie Behemoth, Myrkskog oder Nile bereichern das Genre um interessante, gänzlich neue Facetten, Obscenity gehören zu den Hütern und Ausjustierern der Old School?
Wieso sind wir eigentlich Old School? Jeder behauptet das und in jedem Review ist das zu lesen. Ich finde das eher weniger. Was müssen wir denn noch alles machen, um nicht Old School zu sein? Wir haben doch reichlich Elemente in der Musik, die nicht Old School sind. Für mich ist das schon fast ein Schimpfwort, "old school"! Naja, nichtsdestotrotz, es muss für uns Deutsche halt `ne Schublade aufgemacht werden. Rein kategorisch für die Ablage, hahaha. Beamtentum!!!

Welche aktuellen Death Metal-Bands kannst du weiterempfehlen?
Krisiun hab ich gerade im Schacht! Die ballern ordentlich. Ansonsten vielleicht noch Decapitated und Severe Torture. Auf jeden Fall kann ich "Where Sinners Bleed" von Obscenity jedem wärmstens ans Herz legen, muahahahaha!

Ich auch. Damit Danke für das Interview. Das Schlusswort bleibt bei dir.
Yo, danke dir auch für dein Interesse. Werbung in eigener Sache hab ich ja gerade schon gemacht. Checkt die Scheibe an, wir sehen uns … stay obscene!!!

Kontakt: www.obscenity.de, www.armageddonmusic.de









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