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von ta

CRYPTOPSY: Once Was Not   (Century Media)

Welches ist der Vorzug, den Cryptopsy gegenüber der nicht geringen Konkurrenz zwischen Death Metal und Mathcore zu bieten haben? Nun, keine andere Band vereint so konsequent Wahnwitz und Brutalität. Malevolent Creation etwa sind brutal, aber langweilig. The Dillinger Escape Plan sind interessant, aber lassen die Zähne in der Kauleiste stecken. Cryptopsy pfeffern sie raus und sind dabei noch spannend von Anfang bis Ende, fünfzig Minuten auf "Once Was Not". Geändert hat sich am Bandrezept nichts, die Brutalität wird weiterhin durch ein prächtiges Doppelfußpflaster, kombiniert mit undurchdringlichen Riffwänden und heftigem Growling erzeugt, der Wahnwitz manifestiert sich offensichtlich in den wirrsten Breaks des Genres, zwanzig Rhythmuswechseln pro Song und einem Grundtempo, bei dessen Analyse das Hirn kaum dem Ohr hinterherkommt. Sprich: Affenschnelle, technische, uneingängig geholzte Gewaltkost offerieren die Kanadier auch auf, klammert man den 2003er Montreal-Mitschnitt "None So Live" einmal aus der Discographie aus, dem fünften Album in gewohnter und geliebter Manier. Entsprechend gestalten sich die ersten Hördurchläufe wie der Gang durch ein Labyrinth, in dem dir hinter jeder Ecke jemand neues in die Fresse schlägt. Die nachfolgenden Annäherungsversuche zeigen aber durchaus, dass Cryptopsy nicht zu stagnieren gewillt sind.
Schon das mustergültige "In The Kingdom Where Everything Dies, The Sky Is Mortal" deutet eine neue Tendenz an: Das Legatoriffing, welches schon aus Teilen des Vorgängers "And Then You'll Beg" eine so deftige Lärmorgie machte, wurde noch weiter ausgebaut. Gitarrentechnisch klingen Cryptopsy also mehr nach Mathematik und weniger nach traditionellem Death Metal als je zuvor. Eine anständige Riffanalyse muss also scheitern, denn was hier zu hören ist, kann wirklich kein Mensch raushören. Flitzing as flitzing can flitz, ohne Frage. Schlagzeugtier Flo Mounier steht dem selbstredend um kein Quantum nach und liefert ICE-Geprügel vom Feinsten. Der Drumsound ist nicht mehr so dominant wie auf "None So Live", etwas trockener produziert, aber so klar, dass jeder Beckenschlag (und davon gibt es verdammt viele) das Ohr des Hörers erreicht. Erstmals halten auch ein paar unnatürliche MG-Blasts, die man eigentlich eher von Kataklysms steriler "Serenity In Fire"-Scheibe kennt, Einzug in das höchst abwechslungsreiche Spiel von Mounier (höre z.B. "Carrionshine") - hier ist im Studio definitiv etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen.
"Adeste Infidelis" und "Endless Cemetary" gehören sicherlich zu den abgefahrensten Songs, welche diese Band jemals komponiert hat. Was hier an Taktarten und Rhythmen verbraten wird, findet nur ein professioneller Arithmetiker heraus und wer ganze Riffs nur aus Obertönen zurechtschustert, muss auch irgendwann mal auf dem falschen Behandlungsstuhl gesessen haben. "The Curse Of The Great" bietet allerfeinste Doom-Parts und wartet sogar mit vereinzelten deutsch vorgetragenen Passagen auf (Höhepunkt: "Asblott", d.h. "Eisblut" in der ersten Strophe), strapaziert aber schon etwas zu sehr mit einer neuen Methode, Übergänge zwischen Riffs zu schaffen, dies nämlich in Form von zweisekündigen Unisonopausen. Jene Pauseneffekte durchziehen "Once Was Not" wie ein roter Faden und sorgen, abgesehen davon, dass es den Anschein hat, als würde damit kaschiert werden wollen, dass die Band einfach ein neues Riff an das nächste hängt, für unnötige Kraftverluste und unnötige Sperrigkeit. Man weiß ja: Allzu viele Wiederholungen von Riffs sind Cryptopsy von jeher fremd, aber bis zum letzten Album ist es stets gelungen, die Schlüssigkeit des einzelnen Songs trotz des undurchschaubaren Ideengewitters mit fließenden Übergängen aufrecht zu erhalten. Hier gibt es bei "Once Was Not" erstmals echte Defizite zu konstatieren. Anders gesagt: Die songinterne Logik war auch schon mal höher. Das zeigt nicht zuletzt der als einziger Track noch eindeutig in der (schlüssigeren) Tradition von "None So Vile" stehende Moloch "Keeping The Cadaver Dogs Busy". Das ganze ist kein Grund, ernsthaft etwas am Gesamtresultat zu beanstanden, aber zumindest ein Hinweis darauf, dass auch etwas mehr drin gewesen wäre.
Herrlich sind einmal mehr die ironischen Flamenco- und Funk-Zitate, die in der Regel keine drei Augenschläge dauern und ebenso wie die melodischen Soli verraten, dass Gitarrero Alex Auburn durchaus ein Melodieempfinden besitzt. Das geht Lord Worm natürlich völlig ab. Der Mann, der schon auf "None So Vile" sang, ist nun ins Crypto-Camp zurückgekehrt und seine Laute unterscheiden sich gar nicht so sehr von denen seines Kurzzeitvorgängers Martin Lacroix: Tief, aber nicht zu sehr, mit einem Hang zu heiserem Husten und etwas mehr hohen Schreien. Seine Texte deuten mir nach flüchtiger Kenntnis auf ein keineswegs plakatives Konzeptalbum zum Kriegsthema hin, zur näheren Durchsicht fehlt dem vorliegenden Promoexemplar aber die Textbeilage. Musikalisch ist "Once Was Not" aber ganz klar im blutroten Bereich angesiedelt. Eingeweihte Cryptiker müssen ohnehin zuschlagen, Skeptiker dürfen gerne vorher selbst ein Ohr riskieren. Aber dass am Ende keiner sagt, er wäre nicht gewarnt worden.
Kontakt: www.centurymedia.de

Tracklist:
1. Luminium
2. In The Kingdom Where Everything Dies, The Sky Is Mortal
3. Carrionshine
4. Adeste Infidelis
5. The Curse Of The Great
6. The Frantic Pace Of Dying
7. Keeping The Cadaver Dogs Busy
8. Angelskindergarden
9. The Pestilence That Walketh In Darkness
10. The End
11. Endless Cemetary



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