www.Crossover-agm.de X-FAKTOR: X-Faktor
von rls

X-FAKTOR: X-Faktor   (Feniks Records/Misterija)

Wer bei dem Bandnamen an Iron Maidens 1995er Album denkt (das übrigens lange nicht so schwach ausgefallen ist, wie oftmals behauptet wird - ein Meilenstein ist es allerdings auch nicht), verliert, denn dieses "gewisse Etwas" machte sich bereits Jahre zuvor bemerkbar. X-Faktor aus Kostroma nördlich von Moskau waren die Vorläuferband von Mortifer, und während jene eher im traditionellen Thrashlager (mit gelegentlichen Ausflügen gen Power Metal) siedelten, hatten sich X-Faktor noch ganz dem traditionellen Power Metal in Achtziger-Manier verschrieben. Letztgenanntes ist auch kein Wunder, denn acht der zehn auf dem selbstbetitelten Album stehenden Songs wurden tatsächlich schon 1988/89 geschrieben und 1989 in Demo-Form (also vermutlich als Kassettenalbum wie beispielsweise auch die ersten beiden Arija-Platten, die auch erst Jahre später auf CD wiederveröffentlicht wurden) herausgebracht. X-Faktor verfolgten diesen Weg allerdings danach nicht weiter, sondern wandelten sich wie erwähnt zu Mortifer, deren erstes Album "Euthanasia" von 1993 datiert, im Gegensatz zum X-Faktor-Material allerdings nicht in Russisch, sondern in Englisch eingesungen und den bereits erwähnten leichten Stilwechsel hin zu etwas mehr Härte vollziehend. Ob es sich beim zweiten Song "W Storonu Swjeta" (der den Bookletangaben zufolge nicht auf dem 1989er Demo stand) um ein späteres Mortifer-Überbleibsel handelt, ist mir nicht bekannt, erscheint aber durchaus möglich, da der Song einen Tick härter zu Werke geht als die umstehenden Kollegen; der zehnte Song schließlich stammt original von Arija: Eine starke, wenngleich nicht sonderlich originelle Version des Klassikers "Wstan, Strach Preodoljei" rundet "X-Faktor" hervorragend ab und paßt auch stilistisch sehr gut zu den anderen Kompositionen. Nun hat man sich die Sache aber nicht ganz so einfach gemacht, die alten Kassettenaufnahmen wieder hervorgekramt und auf CD gepreßt - die Songs sind in mehreren Sessions in den Jahren 1998 bis 2000 neu eingespielt worden (und kamen letztlich 2001 als CD heraus, die mir aber erst 2006 in Rußland in die Hände fiel - die Rezension kommt also etwas spät, sollte aber dennoch Sinn machen, da außer ein paar Spezialisten eh niemand dieses starke Werk kennen dürfte, was einen änderungswürdigen Zustand darstellt), und zwar vom späteren Mortifer-Mastermind Sergej Nowikow (der offenbar die gleiche zentrale Rolle schon zu Zeiten von X-Faktor ausgefüllt hatte - zumindest ist er als Alleinkomponist der neun Eigenkompositionen genannt) in Einzelkämpfer-Form. Gitarren, Baß, Gesang - alles ist sein Werk, die Schlagzeugprogrammierung (die sich erfreulicherweise recht natürlich anhört) hat er auch noch mit erledigt, und Keyboards fehlen nur deshalb in der Aufzählung, weil es in den gesamten knapp 40 Minuten mit Ausnahme des Klangeffektes im Intro des Arija-Covers keine zu hören gibt, wie das in der traditionellen Power Metal-Fraktion ja guter Ton ist. Warum er alles allein machen wollte, weiß ich nicht - er hätte sicherlich auch seine Mortifer-Bandkollegen Anatoli Chebotar (dr) und Alexander Kamenschtschikow (b) heranziehen können (mit denen er in der gleichen Periode das 2000 herausgekommene Mortifer-Album "If Tomorrow Comes" eingespielt hat), hat sich aber aus irgendwelchen Gründen dagegen entschieden, was allerdings ganz und gar kein Problem darstellt, denn er hat ja, wie man hört, auch so hervorragende Arbeit abgeliefert. Sangestechnisch, das muß man ja bei Power Metal immer noch exakter definieren, bekommen wir hier keine Falsetthöhen zu hören, sondern relativ rauhe Vocals, die aber auch das Wort "Melodie" buchstabieren können (und das keineswegs nur in den zwei Balladen "Weter" und "Monolog" - das Vorhandensein ruhigerer Kompositionen stellt im Kontext von X-Faktor auch keine Ausnahmeerscheinung dar, denn diese Praxis wurde von Mortifer zumindest auf "Euthanasia" und "If Tomorrow Comes" weiter gepflegt, und die beiden Balladen hier wissen besonders durch ihre emotionale Leadgitarrenarbeit zu begeistern) und ein bissel an einen weniger grobschlächtigen Chris Boltendahl erinnern. Einen Song besonders herauszuheben fällt schwer, denn fast alle bewegen sich auf einem durchgehend gutklassigen Niveau, und so sprengt einzig das Arija-Cover ein wenig den Rahmen, aber eben auch nur deshalb, weil man den Song eben schon kennt und die anderen neun noch nicht - der Verbreitungsgrad des Demo-Albums in mitteleuropäischen Gefilden dürfte Werte in der Nähe des Gefrierpunktes annehmen. Eben aus diesem Grunde wäre es reizvoll gewesen, die Originalaufnahmen hier vielleicht noch als zusätzliche Tracks beizufügen, um einerseits einen direkten Vergleich zu ermöglichen und andererseits einen authentischen Blick in den sowjetischen Metal-Underground Ende der Achtziger zu werfen. Nowikow hat sich anders entschieden - aber auch in der vorliegenden Form bleibt "X-Faktor" ein starkes Album, das man als traditionsbewußter Metalhead bedenkenlos seiner Sammlung zuschanzen kann. Das Problem dürfte nur sein, wie man es in Mitteleuropa bekommt - vielleicht hat www.metalglory.de es noch im Sortiment, ansonsten müßte man wohl seine Fühler direkt gen www.mystery.msk.ru ausstrecken. Da Feniks Records vom Pleitegeier gefressen wurden, hat CD-Maximum 2004 die Scheibe noch einmal neu veröffentlicht, allerdings ist mir über eventuelle Unterschiede nichts bekannt.

Tracklist:
Karjerist
W Storonu Swjeta
Skaschi Swojo Slowo
Strannik W Notschi
Weter
Rai Ili Ad
Bjelaja Smertj
Monolog
Ty Sa Wsje W Otwetje
Wstan, Strach Preodoljei
 




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