www.Crossover-agm.de VISION DIVINE: The 25th Hour
von rls

VISION DIVINE: The 25th Hour   (Scarlet Records)

Zwei Schritte zurück: "The 25th Hour", das fünfte Album von Vision Divine, ist wie seine beiden Vorgänger erneut ein Konzeptalbum geworden, knüpft in seiner Story aber nicht an den futuristischen Vorgänger "The Perfect Machine" an, sondern an den Drittling "Stream Of Consciousness" - der dortige Protagonist, der, nachdem er vom Baum der Erkenntnis genascht und damit gottähnlichen Status erlangt hatte, mit dem sein menschliches Hirn aber völlig überfordert war, sich in der Irrenanstalt an einzelne Episoden aus seinem Leben erinnerte, hat zudem Tagebuch geführt, und "The 25th Hour" vertont nun Auszüge dieses Tagebuches. Wie das konkret geschieht, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten, der mal wieder kein Textblatt mitgeliefert bekommen hat und so allenfalls Kaffeesatzleserei anhand des Personals, das den schlafenden Protagonisten auf dem Cover in seiner Zelle als "vague visions" (Kenner erinnern sich an das gleichnamige Album der Dänen Jackal) umsteht, betreiben oder die Songtitel heranziehen könnte, um Verbindungen zwischen ihnen zu konstruieren, wobei sich "A Perfect Suicide" und "Heaven Calling", beide nacheinander plaziert, ja nach gängiger theologischer Lehre ausschließen sollen, der Selbstmörder im Mittelalter unauffällig auf dem sogenannten Armesündergottesacker und damit abgesondert vom übrigen verstorbenen Personal verscharrt wurde und sich noch heute diesbezügliche Regelungen im Kirchenrecht finden. Aber wie gesagt: Ohne vorliegende Texte bleibt das alles unbestimmt. Da gehen wir doch lieber zum anderen Schritt in der rückwärtigen Richtung über, den wir besser betrachten können: Auch die Musik erinnert wieder deutlich stärker an "Stream Of Consciousness" als an "The Perfect Machine". Wir erinnern uns: "The Perfect Machine" hatte eine deutliche Zunahme von Elementen aus dem klassischen Melodic Rock zu verzeichnen gehabt - die sind auf "The 25th Hour" nun zu einem guten Teil wieder verschwunden, manifestieren sich allerdings immer noch in Michele Luppis sehr sauberer und an manche Protagonisten des 80er-US-Stadionrocks gemahnender Stimme, im Song "The Daemon You Hide" (wenngleich auch der ein klassisches Speedsolo eingepflanzt bekommen hat), in der zauberhaften Halbballade "Heaven Calling" (achtet genau auf die wundervollen Leadgitarreneinwürfe und die spacigen Hintergrundkeyboards in der Bridge vor der zweiten Strophe - hier werden trotz anderer stilistischer Ausrichtung Erinnerungen an allerbeste Jacobs Dream-Zeiten wach) und in der Fähigkeit zum Einbau merkfähiger Refrains, wenngleich auch deren Dichte wieder eine gewisse Reduzierung erfahren hat. Statt dessen gehen Vision Divine gleich mit dem Titeltrack (dem noch das kurze Intro "My Angel Died" vorangestellt wurde - sowas wie Helloweens "Pink Bubbles Go Ape" in gut) noch weiter zurück, nämlich bis zu ihren Debützeiten, als sie noch überwiegend unbekümmert-speedigen Italometal fabrizierten. Bauen sie hier allerdings noch einen ausgedehnten langsam-verschachtelten Part ein und verschieben geschickt die Speedgeschwindigkeit zwischen Strophe und Refrain, so haben sie mit "Eyes Of The Child" an Position 5 einen fast reinrassigen geradlinigen Speedsong geschrieben, den man lange nicht mehr von ihnen gehört hat und der einfach nur richtig Spaß macht, der aber auch wiederum das große arrangementseitige Können der Band unter Beweis stellt, denn den Tempowechsel beim Übergang ins Hauptsolo (was für flirrende Soli!) bei Minute 3 muß man erstmal so ansatzlos und dennoch nicht unlogisch anmutend hinbekommen. Trotzdem bleibt der progressive Anspruch über die kompletten 45 Minuten des Albums hin erhalten (das Intro und das kurze Interludium "Waiting For The Dawn" subtrahiert, bleibt für die neun regulären Songs immer noch eine Durchschnittsspielzeit übrig, die der Vermutung beim Betrachten der Displayanzeige, man könnte die Arrangements gestrafft haben, widerspricht), Breaks und Tempowechsel gibt es zuhauf, allerdings keine, die den Eindruck puren Virtuosenanspruchs hinterlassen (hier führt der Infozettel mal wieder in die Irre, wenn er die technischen Fähigkeiten der Musiker herausstellt - diesbezüglich hochbegabt sind sie zwar zweifellos, aber wenn man sich allein mal in Italien umschaut, wimmelt es dort von Kollegen, die keinesfalls schlechter sind), und wenn nötig, evoziert Olaf Thörsen auch mal ein relativ geradliniges Riff wie in "A Perfect Suicide", das allerdings meist schnell wieder variiert oder ganz abgelöst wird, wofür dieser Song als gutes Beispiel dienen kann, der auch den einzigen deutlicheren soundlichen Schwachpunkt des ansonsten von Timo Tolkki gut in Szene gesetzten Albums offenbart: Die Doublebassdrums dominieren an den wenigen Stellen, wo sie tatsächlich mal zum Einsatz kommen, zu stark und decken die Untervegetation im Sound, selbst das Riffing, etwas zu stark zu (daß auch der Rest der Drums nicht so weit im Hintergrund steht wie oftmals sonst auf Metalalben - bekanntlich sieht das live anders aus -, sollte jeder Hörer nach seinem Geschmack beurteilen). Neue Standards im Genre "progressiver Power Metal", die uns das Infoblatt verspricht, setzt "The 25th Hour" natürlich nicht, aber ein hochklassiger Genrevertreter ist in der Tat entstanden, der mit "Eyes Of A Child" und "Heaven Calling" zwei nach oben herausstechende und keinen nach unten durchfallenden Song beinhaltet und daher einen Erwerb mehr als lohnt.
Kontakt: www.scarletrecords.it, www.visiondivine.com

Tracklist:
My Angel Died
The 25th Hour
Out Of A Distant Night (Voices)
Alpha & Omega
Eyes Of A Child
The Daemon You Hide
Waiting For The Dawn
The Essence Of Time
A Perfect Suicide
Heaven Calling
Ascension



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver