www.Crossover-agm.de VISION DIVINE: Stream Of Consciousness
von rls

VISION DIVINE: Stream Of Consciousness   (Metal Blade Records)

Jetzt wird's vollends paradox: Die Erklärung musikalischer Differenzen als Grund für die Trennung Olaf Thörsens von Labyrinth greift spätestens mit "Stream Of Consciousness" nicht mehr. Wir erinnern uns: Der selbstbetitelte Vision Divine-Erstling bot begeisternden, wenngleich relativ archetypischen Italometal und konnte damit noch als Ventil Thörsens angesehen werden, weiterhin diesen Klängen zu frönen, da sich seine damalige Hauptband Labyrinth mit "Sons Of Thunder" in sperrigere Gefilde bewegt hatte. Dann aber erschien der Vision Divine-Zweitling "Send Me An Angel", und auch dieser schlug eine sperrigere Marschrichtung ein, war also eher mit "Sons Of Thunder" als mit dem Erstling vergleichbar. Danach stieg Thörsen bei Labyrinth aus, und diese spielten hernach einen selbstbetitelten Silberling ein, der wieder einen Schritt in Richtung traditionellen Italometals zurückging, aber auch einige der sperrigeren Sequenzen beibehielt, also die ganz alte Ausrichtung ("No Limits" und "Return To Heaven Denied") mit den neuen Einflüssen koppelte. Thörsen und Vision Divine schrieben fast parallel ihren Drittling "Stream Of Consciousness" - und auch dieser geht in eine leicht rückwärtsgewandte Richtung, also durchaus mit dem neuen Labyrinth-Werk vergleichbar. Verstehe diese Entwicklungsstruktur, wer will. Man muß allerdings festhalten, daß "Stream Of Consciousness" die Rückwärtsbewegung nicht so weit vollzieht wie Labyrinth, sondern immer noch recht vertrackt bleibt, was beispielsweise am siebenminütigen "Colours Of My Word" schön nachzuvollziehen ist, denn dieser Song verbindet die beiden Richtungen wohl am deutlichsten miteinander, hat beispielsweise einige dieser fließenden Gitarrenleads an Bord, aber auch rhythmusverschobene Passagen. Könnte durchaus sein, daß die immer noch in reichlichem Maße vorhandene Komplexität der Story des einstündigen Albums geschuldet ist - kurz zusammengefaßt geht es um einen Mann, der vom biblischen Baum der Erkenntnis naschen möchte und, nachdem er das auch tatsächlich getan hat, feststellt, daß sein menschliches Hirn mit dem Resultat derart überfordert ist, daß ihn selbst sein Schutzengel nur noch kontrolliert begleiten, aber nicht mehr vor der Einlieferung in die geschlossene Anstalt retten kann, wo er sich mit einem Flashback an die Geschehnisse erinnert. So ergibt sich eine interessante Metapher aufs jetztzeitige Leben mit seinem technologischen Overkill, das religiöse Element hier eigentlich nur als Mittel zum Zweck einsetzend (Parallelen zu einem der "Star Trek"-Filme sind dagegen zufällig, da es sich hier um reale Erkenntnis und nicht um einen selbsternannten Besatzer handelt). Thörsen und sein neuer Sidekick Oleg Smirnoff (typisch italienischer Name indeed) an den Keyboards haben also ein Konzeptalbum geschaffen und bringen mit einer Menge songwriterischer Abwechslung Farbe ins Spiel - der klassische Italospeedie "La Vita Fugge" kommt also genau dann, wenn man sich fragt, wann denn endlich mal ein solcher eingebaut wird; er macht inhaltlich auch Sinn, da sich der Protagonist noch mitten in der Euphoriephase befindet, nachdem er in "The Fallen Feather" den Schlüssel zum Baum der Erkenntnis ausgehändigt bekam. Das abwechslungsreiche "Versions Of The Same" leitet über zum Entwicklungshöhepunkt "Through The Eyes Of God", das die gewonnene Erkenntnis in einem abwechslungsreichen Solopart und einem stakkatolastigen Schluß transportiert, mit letzterem aber auch den ultimativen Abstieg in den Wahnsinn schon andeutet. Komme aber niemand und erwarte jetzt Neurosis-artige Passagen oder psychotisches Gebrüll - der Stil bleibt gewahrt, und manchem wird bis hierher vielleicht noch nicht mal aufgefallen sein, daß es gar nicht mehr Fabio Lione ist, der da singt, sondern ein bisher recht unbekannter Neuzugang namens Michele Luppi, der Lione zwar nicht kopiert, aber ihm doch im ausreichenden Maße ähnelt, daß der Freund des einen auch den anderen ohne Probleme mögen kann. Auch die Position des Drummers ist neu besetzt worden, so daß allein Bassist Andrea "Tower" Torricini neben Thörsen vom letzten Line-up verblieben ist. Macht aber nichts, denn auch die Neulinge liefern gute Arbeit ab, und für das größte Fragezeichen sorgt Thörsen eh selbst: Warum steht gerade das fröhliche "Out Of The Maze" (stärkster Song der gesamten CD übrigens) am Vorschluß des Albums, wo der Protagonist sich wieder in seiner Zelle findet? Das assoziiert eine Art von Happy End, welches es in der Story aber ganz und gar nicht gibt. Okay, für solche "Probleme" würden sich andere Bands sämtliche Gliedmaßen ausreißen, aber fragen sollte man trotzdem mal danach. Nach einer Geräuschkulisse beendet "Identities", eine melancholische und ebenfalls sehr gelungene Halbballade mit Cellountermalung, "Stream Of Consciousness" auf sehr hohem Niveau, das aber nicht über die ganze vorausgegangene Distanz gehalten werden konnte. Trotzdem: Wer das selbstbetitelte Labyrinth-Album mag, kann getrost zugreifen, wer sich eine Mixtur aus den beiden bisher erschienenen Vision Divine-Alben vorstellen kann, der ebenfalls, wer aber noch weitere Schritte in den Progmetal oder aber eine konsequente Rückkehr zu straightem Italostoff erhofft hat, sollte sicherheitshalber vorher probehören.
Kontakt: www.metalblade.de

Tracklist:
Stream Of Unconsciousness
The Secret Of Life
Colours Of My Word
In The Light
The Fallen Feather
La Vita Fugge
Versions Of The Same
Through The Eyes Of God
Shades
We Are, We Are Not
Fool's Garden
The Fall Of Reason
Out Of The Maze
Identities
 



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver