www.Crossover-agm.de VISION DIVINE: The Perfect Machine
von rls

VISION DIVINE: The Perfect Machine   (Scarlet Records)

Der Vorgänger "Stream Of Consciousness" hat offenbar nicht genügend Einheiten verkauft, um Metal Blade zum Festhalten an Vision Divine zu bewegen, so daß die Italiener für Europa jetzt komplett bei ihren Landsleuten von Scarlet untergeschlüpft sind, die den erwähnten Vorgänger bereits in Italien auf den Markt gebracht hatten. Ob "The Perfect Machine" mehr einschlagen wird als "Stream ...", bleibt allerdings abzuwarten, denn Olaf Thörsen und seine Mitstreiter haben erneut ein recht abgefahrenes Konzeptalbum erdacht und sind auch musikalisch nicht zum traditionellen Italospeed zurückgekehrt, sondern fahren auf der angekomplexten Linie des letzten Albums weiter, wobei sie geradlinig-flirrende Speedsongs diesmal gleich ganz außen vorgelassen haben. Dafür erhöhen sie ihre "Massenkompatiblität" im Promillebereich durch eine geringfügig stärkere musikalische Hinwendung zum - Überraschung! - Melodic Rock. Und das liegt nicht nur an Michele Luppis durchaus melodicrockkompatibler Stimme (man erinnere sich an sein 2005er Soloalbum), sondern auch an der musikalischen Gestaltung manches Songs, der mit einer kleinen Zusatzbehandlung im Weichspülgang auch auf einer Platte etwa von Pride Of Lions hätte landen können. Das trifft natürlich nicht auf alle Songs zu, denn beispielsweise "The Ancestors' Blood" hat dafür doch zu viele Ecken und Kanten, auch die Stakkatodrums in den Strophenparts stellen einen nicht zu unterschätzenden Hinderungsgrund dar. Aber Keyboarder Oleg Smirnoff sowie die Backingchorabteilung sorgen auf dem übrigens von Timo Tolkki produzierten "The Perfect Machine" doch insgesamt für ein noch halbwegs zugängliches Klangbild, das den diversen progressiv-verschachtelten Drumbreaks, den storyimmanenten Effekten oder manchen kantigeren Riffs ein wenig den dolce vita-Mantel umhängt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch "The Perfect Machine" bleibt Metal (eine Theorie, die die "Was-sind-die-neuen-Slayer-Alben-doch-kommerziell"-Fraktion vermutlich nicht unterschreiben wird), nur reicht das generelle Spektrum diesmal eben noch ein bissel weiter nach außen (man wage einfach mal das Gedankenexperiment und stelle sich vor, "Land Of Fear" würde nicht von Vision Divine, sondern von Def Leppard interpretiert), und das ist ja nichts Schlechtes, sofern das Ergebnis zu überzeugen weiß, was es im Falle der vorliegenden 52 Minuten definitiv tut. Im Vergleich zum Vorgängeralbum gibt's diesmal keine Zwischenspiele, statt dessen wurden die nicht so sehr zahlreichen storyvorantreibenden Effekte in die neun Songs integriert. Die Story ist diesmal wieder eine aus dem gedanklich-futuristischen Bereich, wobei man beim näheren Drübernachdenken erkennt, daß die heutige Welt von diesem Szenario vielleicht gar nicht so weit entfernt ist. Konkret geht es um einen Wissenschaftler, der im Intro auf einem Kongreß verkündet, er habe den menschlichen Erbcode so weit entschlüsselt, daß es ihm gelungen ist, den Alterungsprozeß des Menschen zu stoppen: Die Reproduktion der Zellen, die vorher irgendwann an bestimmten Punkten einfach aufhörte, läßt sich nun beliebig fortsetzen, und der Mensch ist plötzlich unsterblich, es gibt keinen Tod mehr. Eigentlich eine paradiesische Vorstellung, zumal der Aspekt hinzutritt, daß der Mensch mit seiner Unsterblichkeit einen praktisch göttlichen Status erreicht hat - diese Erkenntnis findet ihre musikalische Umsetzung an zentraler Stelle des Albums im Hauptsolo von "God Is Dead". Aber die Probleme lassen nicht lange auf sich warten, denn aufgrund der Unsterblichkeit braucht man keine Kinder mehr, und von diesem Punkt aus ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zum vollständigen gedanklichen Stillstand, es gibt keine Weiterentwicklung mehr, alles versinkt in Apathie, und die Emotionen sterben gleich ganz mit aus. Nix also mehr mit paradiesischer Situation (die übrigens auch mal von Jehovas Zeugen durchdacht werden sollte - wenn die 144000 Gerechten mal alle versammelt sind, wird auch in deren Areal jede Weiterentwicklung sterben), und irgendwann dämmert das dem Wissenschaftler auch. In einem letzten Anflug von Fortschrittskraft betet er also um einen nonirdischen Impuls - und siehe da, Gott antwortet tatsächlich und beendet das menschliche Experiment, indem er seiner Engelschar nahelegt, wieder Emotionen unter der Menschheit zu verbreiten, so daß irgendwann wieder ein Kind geboren wird und die Menschheit versteht, was für sie der Entwicklungsprozeß des Lebens eigentlich bedeutet, so daß sie sich entschließt, das zellulare Experiment der Unsterblichkeit wieder zu beenden. Und die Moral von der Geschichte? Hier zitiere ich gern den Promozettel: "And so it begins, again, as more and more children come to life all around the world. We took back our path, that same path we entered some million years ago and still going on. The only difference is we can walk now with that strong certainty we'd lost too much time ago: we are not alone ..." Für Agnostiker ist die Story also eher als Lehrstück zu benutzen, der ernsthafte Christ und Herr Däniken werden sie auf unterschiedliche Art und Weise als Bestätigung ihrer Ansichten interpretieren. Unabhängig davon lohnt aber auch die Beschäftigung mit der Musik erneut hochgradig, wobei das relativ schnelle (aber trotzdem noch unter der sonst von Italometal gewohnten Geschwindigkeiten angesiedelte) "The River" und das vielschichtige "Here In 6048" (bisweilen pianolastig, balladesk, jazzig, im Mittelteil dann mit einem ungewöhnlich straighten Rhythmus nach vorn marschierend) neben den bereits oben genannten "The Ancestors' Blood" und "Land Of Fear" sowie dem zusammenfassenden Closer "Now That You've Gone" zum Antesten empfohlen seien.
Kontakt: www.scarletrecords.it, www.visiondivine.com

Tracklist:
The Perfect Machine
1st Day Of A Never-Ending Day
The Ancestors' Blood
Land Of Fear
God Is Dead
Rising Sun
Here In 6048
The River
Now That You've Gone







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