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VALKYRIA: Mystical Mass
von rls

VALKYRIA: Mystical Mass   (Jet Noise Records/Mystery)

Nachdem in den Achtzigern der Einsatz eines Keyboards oftmals noch als "Verrat am Heavy Metal" galt, hat sich dieses Instrument seither doch in fast allen Metal-Stilen ausgebreitet, selbst bei den ganz Harten, also im Death oder Black Metal. Nur im Thrash ist es selten geblieben, beschränkt sich dort auf einige Vertreter, die gedanklich näher an der Progmetalszene stehen, und auch das eher in jüngeren Zeiten, während die mit dem aus heutiger Sicht unglücklichen Begriff "Techno Thrash" belegten Frickelthrashbands der Spätachtziger und Frühneunziger fast ausschließlich ohne Keyboards arbeiteten. Eine der Ausnahmen haben wir hier vor uns, nämlich die Russen Valkyria, wobei der Einsatz von Keyboards bei ihnen einen ganz simplen Grund hatte: Keyboarder Alexander Dronow ist Chefdenker und Alleinkomponist der Band. Prominentestes Mitglied dürfte aber ein anderes sein, nämlich der Drummer: Maxim Udalow trommelte einst in den Achtzigern den Arija-Meilenstein "Geroi Asfalta" ein und sitzt seit dem neuerlichen 2003er Meilenstein "Krestschenije Ognjom" erneut hinter dem Arija-Drumkit. In seiner Arija-losen Zeit widmete er sich also mit den Dronow-Brüdern (Wassili spielt Baß), Gitarrist Sergej Sawin und Sänger Pawel Nekrassow in der Band Valkyria dem äußerst progressiv angehauchten Thrash Metal, und besagte Band brachte anno 1993 ihren selbstbetitelten Erstling heraus, welcher anno 2005 unter neuem Titel, remastert, mit neuem Artwork, neuer Songreihenfolge und drei Bonustracks versehen erneut das Licht des Plattenmarktes erblickt. Als Nichtbesitzer des Originals kann der Rezensent keine Vergleiche ziehen, inwieweit die erwähnten Veränderungen eine Verbesserung hervorgebracht haben, sondern lediglich den Istzustand des Jahres 2005 beurteilen. Und der fällt, wenn man denn Liebhaber dieser Spielart ist, durchaus positiv aus. Nekrassow wechselt von gelegentlichem tiefem Gebrüll spielend zu ultrahohen Schreien, das ganze Spektrum zwischendurch auch problemlos noch mit abdeckend und zumeist leicht angerauht shoutend; Melodien sind kein Fremdwort für ihn, eingängige Melodien aber schon. Udalow hält das Tempo oft sehr hoch, spielt aber auch aberwitzige Breaks sicher und geruht bisweilen in geradlinige Parts auch noch kleine Feinheiten einzustreuen (man höre mal die Beckeneinsprengsel im entsprechenden Einleitungsteil von "Ravens"!). Dronow II fügt sich baßseitig solide ein, ohne über weite Strecken hervorzutreten, Dronow I schaltet sein Keyboard nötigenfalls auch mal aus, soliert aber ab und zu gern, legt Stützakkorde unter Sawins zumeist äußerst flinkes Riffing, wirft auch mal kurze Orchestertürme ein, ohne aber alles zuzukleistern, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, und könnte sich allenfalls an manchen Stellen mal noch von der Praxis lösen, Unisonoparts zu Sawin zu spielen (in "Ravens" solieren die beiden gar unisono, was als Einzelfall zwar gar keine schlechte Idee ist, sich aber bei häufigerem Einsatz abzunutzen droht). Sawin wiederum legt das Hauptaugenmerk seiner Gitarrenarbeit auf das Riffing, was aber nicht heißt, daß er nicht solieren könnte oder wollte - als Antithese höre man sich das Instrumentalstück an, das den gleichen Namen wie die Band und das Originalalbum trägt. Überhaupt fällt Dronows Neigung auf, lange Instrumentalpassagen zu schreiben - der neu erkorene Titeltrack etwa läßt Nekrassow erst nach knapp zwei Minuten zu Wort kommen. Daß der Hauptteil des Materials im Speedbereich angesiedelt ist, heißt nicht, daß Valkyria kein Händchen für andere Tempi hätten (höre den geschickt arrangierten Mittelteil des neuen Titelsongs, der nichtsdestotrotz irgendwann wieder in einen klassischen Speedpart umschlägt; "Gaia Drama" bleibt bis auf ein paar kurze Ausbrücke sogar komplett eher im Midtempo). Bisweilen fühlt man sich beim Hören an Mekong Delta erinnert, aber der Nervfaktor der Russen fällt deutlich niedriger aus (wiewohl auch ihr Album für den gemeinen AC/DC-Freund pures Gift darstellen dürfte), da man bei ihnen nie den Eindruck hat, sie würden die Sache um der Kompliziertheit willen verkomplizieren; das Keyboard wirkt bei Valkyria allerdings nicht etwa abmildernd, sondern beteiligt sich aus tiefstem Herzen am fröhlichen Ringelreihen um das Erbe solcher Semilegenden wie Dyoxen, Genetic Wisdom, Sacrosanct, Arcane oder Target, deren musikalisches Vermächtnis von Valkyria auf eine neue Ebene gehoben wird, auf der man heute Bands wie die Italiener Exiled On Earth oder die Amis Prototype findet, die ebenfalls keinen gesteigerten Wert auf die Eingängigkeit des Materials legen und spielkulturell höchst beschlagen sind; Riermaiers Osteuropa-Lexikon führt als Vergleichsband außerdem Midas Touch an, die dem Rezensenten allerdings nur vom Namen her geläufig sind. Drei Bonustracks ergänzen die Neuauflage, wobei das Booklet nicht verrät, woher sie stammen. Da ihr Soundgewand dem der neun regulären Songs gleicht, sind sie entweder 2005 neu eingespielt oder aber zumindest mit den regulären Tracks remastert worden. Die Theorie spricht eher für die letztgenannte Variante, denn der Sänger ist offensichtlich der gleiche wie auf den originalen Stücken - seit der Wiedergründung der zwischenzeitlich aufgelösten Band 2001 steht aber nicht mehr Pawel Nekrassow am Mikrofon, sondern Kirill Njemoljajew von Boney Njem, und der klingt ja nun völlig anders. Auch die Musik soll sich deutlich gewandelt haben, hin zu einer eher industriallastigen Thrashvariante, was allerdings noch nicht angehörs eines eigenen auditiven Eindrucks bestätigt oder dementiert werden kann. Dagegen klingt "Drunk nach Osten", so der niedliche Titel des ohrenscheinlich wie der Rest des Materials in Englisch gesungenen ersten Bonustracks, stilistisch noch fast exakt wie der Rest des Originalmaterials, wenn man von zwei Komponenten absieht: Erstens wirft Udalow (oder wer auch immer hier trommelt) im Solo mal kurz einen Blastbeat ein, und zweitens gestaltet Dronow das Keyboardintro ein bissel gothicartig, so daß man auch auf das Loslegen von Lacrimosa warten oder gar eine abgedrehte Coverversion des Sisters Of Mercy-Hits "Temple Of Love" erwarten könnte. Die beiden anderen Bonustracks sind Alternativaufnahmen zweier regulärer Albumtracks: "Mystical Mass" als "E-Flat Version" (komme niemand und verlange vom Rezensenten, die Tonart der originalen Version festzustellen; die neue klingt jedenfalls ein klein wenig dumpfer, der Mittelteil der Originalversion war aber irgendwie spannender) und "Scream From Hell" als "Sommerville Version", was ohne Kenntnis etwaiger Hintergründe nun völlig obskur bleibt (der eröffnende Schrei jedenfalls klingt eher nach Jon Oliva und nicht nach Jimmy Sommerville oder wie der gleich nochmal hieß). Macht aber nichts: Die kleine Gemeinde der Verehrer progressiven Thrash Metals hat sicher sowieso schon ihre Raben zum Erwerb der CD nach Rußland geschickt, und für alle anderen ist der knapp einstündige Silberling sowieso nicht so richtig geeignet, da bei ihnen auch nach dem 15. Durchlauf nur Fragezeichen vor den Augen stehen würden, während erstgenannter Personenkreis spätestens nach dem fünften Durchlauf "Mystical Mass" ins Herz geschlossen haben dürfte, wenngleich auch für diese Menschen eine gewisse Einarbeitungszeit notwendig sein dürfte.
Kontakt: www.mystery.msk.ru

Tracklist:
Introduction
Fear Of The Night (Beast)
Scream From Hell
In The Heart Of Darkness
Ravens
Mystical Mass
Gaia Drama
Valkyria (Instr.)
The Hanged Men Dance
Drunk nach Osten
Mystical Mass (E-Flat Version)
Scream From Hell (Sommerville Version)



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