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von rls

V.A.: Neue Holländische Welle   (MusicXPort.nl)

Während sich die deutsche Musiklandschaft in Grabenkämpfen um eine Quotenregelung für deutsche Produktionen in Funk und Fernsehen zerfleischt (als ob es kulturtheoretisch einen Unterschied machen würde, ob amerikanische oder deutsche Billigheimerproduktionen durch den Äther wabern), stärken die seit jeher als progressiv bekannten Niederländer ihre Szene, indem sie sie im Ausland bekannt und beliebt zu machen versuchen (das könnte die deutsche auch, aber dann käme gleich wieder der alte Spruch "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" auf, und ein langer Schatten holt uns wieder ein). Im Vorfeld der Popkomm 2004 erschien also der Sampler "Neue Holländische Welle" (daß das Cover in den Landesfarben gehalten ist, geht als Selbstverständlichkeit durch), der ein breites Spektrum von 16 stilistisch völlig unterschiedlichen Acts aus dem Lande der Grachten, Tulpen und Windmühlen vorstellt, wobei einige schon recht bekannte Künstler als Zugpferde für einen Stapel Newcomer fungieren.
Die Truppe mit dem wohl höchsten Bekanntheitsgrad im Ausland eröffnet die knapp 68 Minuten: The Gathering steuern "Souvenirs" bei, einen für ihr neueres Schaffen recht rocklastigen Track, der natürlich die bis einschließlich "Nighttime Birds" gepflegten Härtegrade weder reproduzieren kann noch will, aber dennoch durch seinen forschen Charakter und lebendiges Musizieren, gepaart mit der wie immer beeindruckenden Stimme von Anneke van Giersbergen, überzeugt. Auf dem aufsteigenden Ast haben sich Face Tomorrow niederlassen können, und "Sign Up" beweist, warum: Moderne Rockmusik ohne irgendein Nu-Etikett, dafür aber mit einem hochgradig einprägsamen Chorus, leicht eskapistisch, aber ohne Weinerlichkeit. Da kann "Pay Your Dues" von der League Of XO Gentlemen nicht mithalten, denn dazu ist dieser undefinierbare Rage Against The Machine-meets-irgendwas-Abklatsch einfach nicht substantiell genug, und einen merkfähigen Chorus gibt es hier auch nicht (da hilft auch das Namedropping mit einem Ex-Mitglied von Urban Dance Squad nix). Laidback Luke drohen mit einem recht dünn produzierten alternativpoppigen Anfang in ähnliche Gefilde abzurutschen, bevor völlig überraschend ein rein elektronischer Hauptteil losbricht. Warum das Management dieser Truppe Unmanagable Artists heißt, ist nach Verklingen dieses Tracks logisch, denn in welcher Szene man eine solche Band positionieren soll, bleibt völlig unklar. Die titelgebenden "Fuck The Revolution"-Singalongs, die den Elektroteil unterbrechen, klingen auch eher nach Grachten-Einzelgänger, während der Elektroteil selbst gar nicht mal so übel ist (sofern man schalmeisoundende Keyboardflächen nicht generell ablehnt), wenngleich es noch etwas mehr Einfallsreichtum hätte sein dürfen. Konsequent in der elektronischen Geräuschabteilung bleibt Ferry Corsten, was den musikalischen Unterbau betrifft - Innovation stellt hier ein völliges Fremdwort dar, denn "It's Time" ist reinrassiger 80er-Synthiepop, und dank einer guten weiblichen Gesangsleistung kann man sich den sogar anhören, ohne Gewissensbisse ob schlechten Geschmacks haben zu müssen. An einer etwas moderneren Ausrichtung scheitern danach Zuco 103, die in "Futebol" versuchen, eine Art relaxten Barjazz mit einem rein künstlicher Produktion entstammenden Rhythmus und einigen Effekteinwürfen zu kombinieren. Die nicht eben ausdrucksstarken weiblichen Vocals und die einfallslosen Gesangslinien tragen dazu bei, diese Mischung zu weniger als der Summe ihrer Teile zu machen. Danach rettet die Rotterdam Ska Jazz Foundation fürs erste die Stimmung, indem sie in "The Man From Alskaeeda" im Prinzip genau das spielt, was ihr Name verheißt. Die schrägen Disharmonien im Intro weichen im Hauptteil einem relaxten, leicht jazzlastigen Ska, bei dem das bisweilen herrlich knurrende Fagott und das akustisch undefinierbare Blasinstrument, welches das letzte Hauptsolo spielt, die stärksten Eindrücke hinterlassen. Und ein paar disharmonische Einwürfe gibt's auch im Hauptteil nochmal. Macht Spaß - ebenso wie das nachfolgende "Mamelodi Melodies" der Heideroosjes, die selbstredend den Punkrock nicht neu erfinden, aber ihn flott und kompetent herunterspielen, das Hauptthema jeweils 12mal mit dem Wort "Yeah" einleiten und nur das pseudoafrikanisch vokalisierte Zwischenspiel ein wenig zu stark ausdehnen. Das große Vorbild von Peter Pan Speedrock kann man in "Resurrection" deutlich durchhören: Motörhead lassen in diesem massiv gehärteten Rock'n'Roll freundlichst grüßen, wenngleich der Gesang nicht ganz die Rauchigkeit von Lemmy erreicht und die Band genug eigene Elemente einfließen läßt, um nicht als Clones gelten zu müssen. Guter treibender Rocker, der ruhig noch etwas länger hätte ausfallen dürfen, aber auch Kompaktheit kann manchmal ein Trumpf sein. Im Reich der angeblichen Nightwish-Clones landen wir mit After Forever, die in "Sins Of Idealism" beweisen, daß jeder, der diese Clone-Behauptung ernsthaft aufrecht erhält, die sprichwörtlichen Tomaten auf den Ohren haben muß. Klar, das ist orchestral angehauchter Metal an der Grenze von Melodic nach Gothic - aber allein schon Floors Gesang, der sich außerhalb der Mezzolagen auch in einer regulären Rockröhre wohlfühlt (was man von Nightwish-Tarja wohl nie zu hören bekommen wird), sorgt für ein brauchbares Abgrenzungskriterium, und die männlichen Vocals bei After Forever gehen auch eher in die Grunzrichtung. Die dadurch scheinbar gesteigerte Härte nehmen die Keyboardflächen und die ebenfalls recht flächig agierenden Gitarren allerdings wieder heraus, was den Song als solches aber keineswegs schlechter macht. Bleiben wir gleich im Genre: Simone Simons (sollte das ein Pseudo sein?) singt bei Epica, die im Direktvergleich aber stärker auf Chorarrangements setzen, was sie eher in die Therion-Ecke (ab "Theli") drängt. "The Phantom Agony" läßt zwischenzeitlich auch mal in Latein vokalisieren und ist einfallsreich durcharrangiert, wozu auch die intelligent eingesetzten Streicher ihr Scherflein beitragen. Spanner sind auf diesen Seiten von Georg ja schon mehrmals gelobt worden, und ihr relaxter und harmoniebedürftiger Poprock (mit bisweilen für das Genre relativ harten Gitarren) in "Wonderful World" dürfte in diversen Lebenslagen tatsächlich eine gute Gelegenheit für eine Liebeserklärung an den Partner sein - die Band hat halt nur das Pech, daß ich heute am Reviewtag vom Unterschreiben einer Textzeile wie "It's a wonderful world to be with you" meilenweit entfernt bin. Aber dafür kann sie ja nichts. Ganz andere musikalische Gefilde betreten wir mit Izaline Calister, deren "Wow' I Karino" durchaus gekonnt typisch karibischen Reggae mit einer europäischen Folkfiedel mischt. Kann nicht funktionieren, meinen Skeptiker? Tut es aber tatsächlich, und ein etwas dominanterer Leadgesang bleibt so eines der wenigen Desiderate dieses Songs (die Backings übertönen die Leadlinien, und das war noch nie gut). Im Eurofolk verhaftet sind Nits, wenngleich auch sie ein paar modernere Elemente einfließen lassen, so die liebevoll perlenden Keyboardtupfer. Nichtsdestotrotz hätte auch "Rumspringa" einen druckvolleren Sound verdient gehabt - dann wäre sowas wie eine coresubtrahierte Version von Remember Twilight entstanden. Der kurze Akkordeonpart gegen Ende hat aber schon wieder was. Ganz altertümlichen Hardrock fabrizieren danach Spoiler in "Dirty Black Shades", irgendwo zwischen The Who, dem frühen Alice Cooper und Twisted Sister. Nicht schlecht, aber irgendwie auch nichts, woran man sich festkrallen kann; dürfte aber live bedeutend mehr Spaß machen. Das Schlußwort gebührt Dreadlock Pussy, deren doomiger Nu Metal ohne die scratchähnlichen Effekte in den Strophen und die Sprachsamples im zentralen Instrumentalpart noch besser rübergekommen wäre, der aber durch den extrem massiven Chorusteil und den in dessen zweite Repetition gekonnt eingewobenen Cleanpart trotzdem überzeugen kann und diesen Sampler würdig beschließt. Kaum jemand wird alle 16 Tracks mögen, dazu sind sie stilistisch zu unterschiedlich - aber ein reizvoller Entdeckungstrip durch die Szene unseres nordwestlichen Nachbarlandes läßt sich damit durchaus starten, dem hoffentlich weitere folgen werden.
Kontakt: www.musicxport.nl

Tracklist:
The Gathering: Souvenirs
Face Tomorrow: Sign Up
League Of XO Gentlemen: Pay Your Dues
Laidback Luke: Fuck The Revolution
Ferry Corsten: It's Time
Zuco 103: Futebol
Rotterdam Ska Jazz Foundation: The Man From Alskaeeda
Heideroosjes: Mamelodi Melodies
Peter Pan Speedrock: Resurrection
After Forever: Sins Of Idealism
Epica: The Phantom Agony
Spanner: Wonderful World
Izaline Calister: Wow' I Karino
Nits: Rumspringa
Spoiler: Dirty Black Shades
Dreadlock Pussy: Milo



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