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von ta

TOXIC SMILE: Toxic Smile In Classic Extension   (F-act Records)

Toxic Smile folgen wieder mal ihrer eigenen Nase. Kurz nach der regulären DVD mit dem Mitschnitt des Progpower-Festivals in Leipzig wird schon die nächste DVD hinterher geschoben und die ist dann auch noch irregulär, zumindest in musikalischer Hinsicht. Wer am 05.03.2005 dabei war, weiß warum, alle anderen müssen sich durch den nächsten Satz kämpfen. Der 05.03.2005 war jenes Datum, an dem die Leipziger Progressive Rock/Metal-Institution Toxic Smile das Schloss zu Waldenburg erstürmte, im Gepäck das dreißigköpfige Studentenorchester der Weimarer Musikhochschule "Franz Liszt" und das viermündige Vokalensemble Condé, im Kopf ein Dutzend hochklassige Songs aus der mehr oder weniger langjährigen Bandgeschichte, für die neue Aufstockung der Band um 34 Nasen vollständig über den Haufen geworfen, d.h. umarrangiert, in der Hinterhand eine Handvoll verdeckt arbeitende Kameraleute, vordergründig 50 Zuschauer, die im Blauen Saal des Schlosses, der eigentlich golden ist, die Stühle besetzen und kräftig applaudieren. Die Retrospektive auf dieses Datum ermöglichen vorliegende DVD und - in abgeschwächter Form - Rolands Review zum Gig. Ich konzentriere mich wenig überraschend weitestgehend auf ersteres. Zum Verhältnis Gig-DVD sei nur angemerkt, dass die Ansagen von Larry vollkommen rausgeschnitten wurden (warum, kapiere ich zwar nicht so recht, aber es stört weniger, als es das auf einer regulären Live-DVD vermutlich tun würde) und damit auch große Teile vom Applaus des Publikums (der Roland zufolge in regelmäßigen Standing Ovations gegipfelt haben soll). Die Bild- und Schnittqualität ist nicht zu beanstanden, die weichen Schnitte und vielen Überblendungen passen ebenso perfekt zur Musik wie der gelegentliche Fall in s/w-Bilder. Auch soundmäßig gibt es nur das zu bemäkeln, was sich bei Toxic Smile inzwischen zum Running Gag entwickelt hat: Die (diesmal akustische) Gitarre ist oft zu leise. Unabhängig davon ist die Abstimmung zwischen Band und Orchester sowohl auf Sound- als auch musikalischer Ebene brillant. Hier wird nicht nebeneinander, sondern miteinander musiziert. Das heißt, wie schon erwähnt, dass jeder Song nicht nur in einem teilweise, sondern in einem völlig neuen Gewand erstrahlt. "Escape" etwa, das in der Originalfassung eine eher verträumte Melancholie verströmt, wird durch die neue Harmonisierung zu einer Gefühlsklemme, die dich hinterrücks packt und irgendwie unentschlossen macht, ähnlich wie Pain Of Salvations "Ashes" in der auf dem Geniestreich "12:5" verewigten Fassung. Genannte Scheibe scheint hier ohnehin Pate gestanden zu haben, nicht unbedingt, was die Songs an sich, aber doch sehr, was die Art und Weise der Umarrangierung betrifft. Und in Akustikschmelztiegeln wie dem entspannt-flockigen "Confidence" (im Original "Confidence in Deception" - schade, dass der skurrile zweite Teil nicht ebenfalls verwurstet wurde) mit seinem Beieinander von Kontrabass, Konzertgitarre, Drums und Piano klingt es dann auch mal musikalisch sehr nach Pain Of Salvation. Allerbeste Referenzen also. Zu den neuen alten Songs weitere Details zu verraten erspare ich dem gespannten Leser, der sich lieber selbst auf die Reise begeben soll. Klassikfans dürften ohnehin keinerlei Probleme mit dem Material haben (Sinn machen tun die Songs allemal), beinharte Toxiologen - nicht Toxikologen, die gehören in eine andere Klasse - ggf. schon, weil sie die Originale kennen und also um den Vergleich schwer herumkommen. Ein Toxiologe etwa, wie ich einer bin, kratzt sich schon mal am Kopf, wenn der Rocker "Fall Down" plötzlich zur Semiballade wird, oder beim Konsum von "Steps Back", das im Original weite Keyboardflächen feilbietet, die nun weder auf dem Klavier noch mit Streichern adäquat reproduziert werden können (und - wie gesagt - es ja auch nicht sollen). Überhaupt ist der Wegfall des Keyboards in der Instrumentation der frappanteste Unterschied, was das neue Klanggewand der Songs betrifft. Aber dieser Unterschied existiert - ich wiederhole mich - nur relativ auf das Lager, aus dem der Zuschauer/-hörer des Mitschnitts kommt. Als völlig cool auch in der Neufassung seien beispielhaft das schräge "O.T." und der Hit "Pyramid", der streckenweise in pures, vertracktes Rhythmusgeschredder mit Stakkatocelli und Doppelfußmaschine ausartet, angeführt. Von den zwei extra für diesen Anlass entstaubten TS-Uralttracks "Cold Run" und "Thought Away" gefällt zweiterer mir am besten, hier baut sich eine magische, an Blues grenzende Atmosphäre auf. Auch die immer atonaler werdende Langfassung des a capella-Lehrstücks "Voix du passé" ist ein Ohrgasmus oberster Güteklasse und wird (wie eigentlich alles hier) exzellent performt. Apropos Performance: Sänger Larry nimmt man selbst im Anzug, mit Okular und sitzend den Kneipenschläger ab. Aber dies nur am Rande.
Was soll ich hier noch zusammenfassend sagen? Ambitioniert ist dieses Projekt allemal, gelungen ohne Zweifel auch und für progressivere Denker/Hörer aus dem Rock- wie aus dem Klassiklager deshalb letztlich unbedingt zu empfehlen. Wer eine feine Nase hat, darf ihr eben auch folgen. Und Toxic Smile haben eine feine Nase.
Kontakt: www.toxic-smile.de

Tracklist:
1. Voix Du Passé
2. Horns
3. Fall Down
4. Confidence
5. Escape
6. O.T.
7. Cold Run
8. JB
9. Thought Away
10. Steps Back
11. Pyramid
12. Could It Be
13. Medley



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