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SAVAGE CIRCUS: Dreamland Manor
von rls

SAVAGE CIRCUS: Dreamland Manor   (Dockyard1)

Der wilde Zirkus kommt in die Stadt, und wenn er sie im Kyuss-Sinne wieder verläßt, hinterläßt er nicht etwa einen leeren Platz, sondern im Gegenteil überbordende Freude bei einem Teil der Freunde des klassischen metallischen Musizierens, nämlich dem Teil, der die mittlere Schaffensperiode von Blind Guardian - also die Zeit von "Tales From The Twilight World" bis zu "Imaginations From The Other Side" - als deutlich begehrenswerter empfand als die von da bis zum heutigen Zeitpunkt entstandenen "Nightfall In Middle-Earth" und "A Night At The Opera" (die Livealben verbleiben außerhalb der Betrachtung). Die Tatsache, daß das Kreativkommando Kürsch/Olbrich die Songideen von Trommler Thomen Stauch offensichtlich nicht berücksichtigen wollte, läßt somit einerseits den Schluß zu, daß mit einer stilistischen "Back to the middle roots"-Entwicklung bei Blind Guardian nicht zu rechnen sein dürfte (ob statt dessen eine weitere Komplexisierung hin zur völligen Bedeutungslosigkeit im Bezug auf das Schreiben ausdrucksstarker individueller Songs eintritt, bleibt gespannt abzuwarten), könnte zweitens einer hoffnungsvollen schwedischen Nachwuchsband den Kopf kosten (dazu gleich noch mehr) und zeitigte drittens ein Resultat, von dem eigentlich kein "Tales From Somewhere From The Other Side"-Anhänger enttäuscht sein dürfte, denn auf "Dreamland Manor" finden sich all die Tugenden vereinigt, die Blind Guardian auf ihren beiden erwähnten letzten Alben zugunsten einer Art von Pseudoprogressivität zu vernachlässigen geruhten (daß Hansi Kürsch seine straightere Seite parallel in Demons & Wizards auslebt, stellt ein großes Paradoxon dieser Konstellation dar). Thomen Stauch jedenfalls nahm sich ebenfalls die Freiheit, ein Sideproject ins Leben zu rufen, das nach seinem Ausstieg bei Blind Guardian im April 2005 allerdings zu einer seiner beiden Hauptbands gereift ist (die zweite mit Björn "Soilwork" Strid soll bekanntlich etwas numetallischer werkeln). Über Produzent und Iron Savior-Chef Piet Sielck bekam Thomen Kontakt zu Jens Carlsson und Emil Norberg von Persuader, einer schwedischen Band, die Ende der 90er im Stall von Loud'n'Proud Records ihre ersten Tonzeugnisse unters Volk brachte (und das bürgt eigentlich für Qualität, denn die Loud'n'Proud-Leute hatten ein formidables Händchen bei der Bandauswahl, wie Seven oder Morifade bewiesen - was ungerechterweise allerdings trotzdem nicht verhinderte, daß sie nach einiger Zeit vom Pleitegeier gefressen wurden) und der schon damals bescheinigt wurde, etwas nach Blind Guardian zu klingen und zudem einen mit Hansi Kürsch vergleichbaren Sänger zu besitzen - eben jenen Jens Carlsson. Sowohl Piet als auch Jens und Emil stiegen Savage Circus, wie sich Thomens Baby mittlerweile nannte, bei, was der Band gleich zum Besitz von drei Gitarristen verhalf (Piet spielte außer den Rhythmusgitarren auch noch den Baß ein, Emil ist von Haus aus Gitarrist, und auch Jens ist neben des Gesangsmikros noch der Sechssaitenkunst mächtig), andererseits aber Fredrik Hedström und Efraim Juntunen (die Rhythmusgruppe von Persuader) zumindest vorübergehend arbeitslos machte und Persuader auf eine unsichere Zukunftsbasis stellte, da die Arbeit mit Savage Circus Jens und Emil auch in Zukunft sicherlich stark einspannen wird (bedenkt man das Echo, das "Dreamland Manor" aus dem Blätterwald bereits entgegenschallte - und diese Aufmerksamkeit muß man natürlich nutzen, um die Marke Savage Circus langfristig zu etablieren, wobei der promotionale Nebeneffekt auch für Persuader allerdings nicht zu unterschätzen ist, denn so bekommt diese Truppe eine Aufmerksamkeit, der ihr mit ihren eigenen Werken bisher verwehrt geblieben ist, was also ihrem neuen Album "Evolution Purgatory" durchaus auch nützen kann). Was hat "Dreamland Manor" hinter dem bunten Fantasycover also zu bieten? Man könnte es sich einfach machen und tatsächlich von einer Blaupause der besagten Blind Guardian-Scheiben sprechen, aber bei genauerem Hinhören lassen sich doch einige signifikante Unterschiede ausmachen, wenngleich man generell natürlich im leicht progressiv angehauchten Melospeed-Genre verbleibt. Erstens klingt Jens in einer bestimmten Tonlage (nämlich der dominanten hohen, leicht angerauhten) wirklich fast haargenau wie Herr Kürsch, in zwei anderen Tonlagen (nämlich der tiefen, fast brüllenden, die man zum Beispiel in der Bridge von "When Hell Awakes" findet, und der cleanen, die zum Beispiel in der Halbballade "Beyond Reality" oder in diversen Akustikpassagen auftaucht) ist er dagegen eindeutig unterscheidbar. Zweitens sitzen die meisten Breaks nicht ganz so abrupt wie besonders auf "Imaginations ...", wenngleich es natürlich auch hier diverse Wendungen "aus dem Stand" gibt. Drittens lassen sich auch im Soundgewand signifikante Unterschiede ausmachen, denn "Dreamland Manor" ist (Chöre, Atmokeyboards und sonstige Zutaten hin oder her) mit derart weit hinten stehenden Rhythmusgitarren produziert wie eben die drei genannten Blind Guardian-Scheiben gerade nicht, dafür aber zwei andere Krefelder Scheiben. Davon fällt "Nightfall In Middle-Earth" als Vergleichsobjekt ebenfalls aus, denn hier wurden die Rhythmusgitarren schlicht und einfach durch den völligen Spurenoverkill zugekleistert. Das Debüt "Battalions Of Fear" taugt also noch am ehesten als soundliche Marschrichtung (bezogen aber wirklich nur auf die Dominanzverteilung der Gitarren), wenngleich man "Dreamland Manor" die seither vergangenen fast 20 Jahre Studiotechnikentwicklung natürlich deutlich anhört (wir haben also keine staubige Uraltproduktion vor uns, wie das Bandinfo auch ausgibt: "... this is what metal in the 21st century is supposed to be all about ..."). Daß sich Thomen eine relativ drumlastige Produktion gewünscht hat, könnte angenommen werden und ließe sich anhand der 54 Minuten auch nicht abstreiten, aber der dadurch übernommenen Verantwortung für das Songgerüst und dessen vorwärtsschreitenden Aufbau wird er voll und ganz gerecht, ohne daß er sich mit irgendwelchen technischen Kabinettstückchen in den Vordergrund schieben muß. Der zentrale Punkt, weshalb viele Blind Guardian-Fans "Dreamland Manor" lieben werden, wohl mehr noch als "Nightfall At The Opera", liegt aber in den neun Songs begründet. Die sind endlich wieder eindeutig voneinander unterscheidbar, haben jeder seinen eigenen Charakter und auch sowas wie merkfähige Refrains, die man auch richtig zuordnen kann. Zudem werden sie trotz einer Durchschnittslänge von mehr als sechs Minuten über weite Strecken nicht langweilig, benötigen indes trotzdem einige Durchläufe mehr als der gemeine Speed Metal von heute, um richtig zu zünden. Als kleine Einstiegshilfe haben Savage Circus den am deutlichsten nach "Tales From Somewhere From The Other Side" klingenden Song, nämlich "Evil Eyes" (es war auch einer der beiden ersten, die für die Platte geschrieben wurden), gleich an den Anfang gestellt, und eine zweite Einstiegshilfe haben sie an Position 7 in "When Hell Awakes" versteckt. Dessen Chorrefrain könnte man, wenn man nicht ganz genau hinhört, nämlich akustisch auch als "Valhalla Waits" deuten, und spätestens hier wird jeder, jawohl, jeder Blind Guardian-Anhänger in nervöse Zuckungen ausbrechen und den Chorus für die nächstjährige Festivalsaison schon mal einüben. Zwar sind die klassikerverdächtigen Höchstnoten, die diverse Kollegen vorschnell verteilten, noch nicht ganz gerechtfertigt, da sich unter den neun gleichen Songs tatsächlich noch ein paar gleichere befinden, aber einen nur leicht ankomplexten Speedie wie "Between The Devil And The Seas" hätte (außer Blind Guardian) wirklich jede andere Speedband mit Kußhand übernommen, und da kann dem Hörer das Lamento über "wieder eine die Szene überflutende Projektband mehr", das mancher Nörgler anstimmen wird bzw. schon angestimmt hat, herzlich egal sein. Die Steigerungsmöglichkeiten, die Savage Circus in ihrer eigenen Nische noch besitzen, sind nach "Dreamland Manor" zwar noch vorhanden, aber nur sehr gering. Habe ich eigentlich schon eine Kaufempfehlung ausgesprochen? Nein? Dann aber jetzt.
Kontakt: www.savagecircus.de, www.dockyard1.com

Tracklist:
Evil Eyes
Between The Devil And The Seas
Waltz Of The Demon
Tomorrowland
It - The Gathering
Beyond Reality
When Hell Awakes
Ghost Story
Born Again By The Night
 




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