www.Crossover-agm.de ROTOR: Árvaház
von rls

ROTOR: Árvaház   (Blower Records)

Zu einer richtig stabilen Arbeitsweise haben Rotor erst ab 1998 gefunden - seither sind pünktlich im Dreijahrestakt neue Tonzeugnisse erschienen. Aber die Band existiert schon seit den Mittachtzigern, hat allerdings vor 1998 erst ein reguläres Album herausgebracht, zu dem man im Riermaierschen Osteuropabuch alles Wissenswerte nachlesen kann. Der Rest des Schaffens der Band wird dort allerdings nicht beleuchtet, weder der Teil ab 1998 noch das, was außer dem 1991er Album noch so in der Frühphase der Band passierte. Diesen letztgenannten Teil können 300 Menschen nun auf der vorliegenden CD "Árvaház" nachverfolgen (die vorliegende Pressung des mexikanischen Labels ist auf ebenjene 300 Exemplare limitiert). Zunächst gilt es einige Verwirrung editorischer Natur aufzuklären. Die Encyclopedia Metallum nennt ein 13-Track-Demo "Árvaház" für 1997 und bildet auch dessen Inlay ab, dessen Tracklist auch tatsächlich 13 Positionen ausweist, allerdings "Véletlen" zweimal nennt, nämlich an Position 4 und 6 der A-Seite des Tapes. Besitzer desselben können klären, wie die akustische Lage dort real war - auf der vorliegenden CD gibt es jedenfalls nur einen Song dieses Titels, einen richtig starken sogar, der geschickt zwischen Halbballade, fast doomig-schleppenden Passagen und Midtempoparts hin und her pendelt. Das Tape wurde von einem Song namens "Szürke Homály" eröffnet, der sich auf der CD nicht wiederfindet, aber vermutlich mit "Borsodban Születtem" identisch ist, denn den gab es wiederum nicht auf dem Tape, und in seinen Lyrics kommen an herausgehobener Stelle tatsächlich die Worte "Szürke Homály" vor. "Borsodban Születtem" steht auf der CD allerdings nicht am Beginn, sondern erst an Position 5 (obwohl seine Lyrics im Booklet nach wie vor am Anfang stehen), und beim Hören ahnt man auch, warum der Song nach hinten geschoben wurde: Er plaziert Rotor weiter zwischen den Stühlen als "Szárnyakat", der neue Opener, original an Position 2 befindlich gewesen. 1995, als "Árvaház" original eingespielt wurde (die Jahreszahl in der Encyclopedia Metallum stimmt also nicht), galt der traditionelle Metal bekanntlich als völlig tot, auch in Ungarn. Solchen hatten auch Rotor auf ihrem 1991er Debütalbum noch gespielt, aber danach bekamen sie gar kein Bein mehr auf den Boden und versuchten ihren Sound daher etwas zu modernisieren. Das fällt auf "Árvaház" besonders an zwei Komponenten auf. Zum einen wurde der Rhythmusgitarrensound einen Tick modernisiert, das allerdings im Prinzip in allen Songs. Zum anderen aber setzt die neu besetzte Rhythmusgruppe bisweilen auf Rhythmen, wie man sie auch aus dem seinerzeit in Mode befindlichen Neothrash (der weiland mit dem schönen Akronym Biopanturahead umschrieben wurde) kannte, also Halftimedrums und Konsorten. Das nun wiederum passiert nur in einigen der Songs und auch dort in unterschiedlicher Dosierung, was uns wieder zu unserer Reihenfolgesituation bringt. "Szürke Homály" bzw. "Borsodban Születtem" arbeitet relativ häufig mit diesem Stilmittel und ist generell von einer rhythmischen Hektik durchzogen, wie sie damals en vogue war - also ein klarer Versuch Rotors, anno 1995 eine Art Mimikry zu betreiben, nicht als ewiggestrig durchzugehen und ein paar der moderneren Kids auf ihre Seite zu ziehen. Diese Strategie wäre anno 2007 (das ist das Jahr, in dem der Re-Release original erschien), da der traditionelle Metal sich längst wieder etabliert hat, auch in Ungarn, und vom damaligen Neothrash nur ein paar zentrale Protagonisten und Überzeugungstäter überlebt haben, nun völlig verkehrt, und wohl deshalb haben Rotor den alten Opener nach hinten geschoben und das rhythmisch fast durchgehend auf traditionellen metallischen Pfaden wandelnde "Szárnyakat" zum neuen Opener befördert, um wiederum nicht als seinerzeitige Wendehälse und Trendreiter dazustehen. Überhören kann man die neueren Elemente im Gesamtmix der 12 Tracks aber trotzdem nicht, und "Itt Élsz" hätte, wäre es von einer großen amerikanischen Band geschrieben und nicht gerade in Ungarisch vokalisiert worden, durchaus das Zeug zu einem damaligen Zappelbudenhit gehabt. Der Kontrast zum folgenden, bereits beschriebenen "Véletlen" ist deutlich, wenngleich man prinzipiell schon durchhört, daß überall Rotor am Werk sind - der markante Rhythmusgitarrensound zieht sich durch das komplette Material, und Janó Szentesis charakteristischer Reibeisengesang stellt einen weiteren Identifikationsfaktor dar, zudem einen Traditionalitätsfaktor, denn derartige Organe kannte man bei Biopanturahead nun überhaupt nicht. In Kombination mit dem zappligeren Teil der Rhythmen, beispielsweise in "Lidércnyomás", ergibt das eine eigenartige Mixtur, mit der Rotor schon fast ein wenig originell wirken. Trotzdem fand sich damals niemand, der das Album veröffentlichen wollte, und so blieb es bei der Eigenproduktion als Kassettenversion, bis ein Jahrzehnt später im Zuge der rollenden Re-Release-Welle auch diese Aufnahmen wieder ans Tageslicht gezerrt wurden, erstaunlicherweise nicht in Ungarn, sondern von einem kleinen mexikanischen Label, nachdem sich vorher der Plan eines finnischen Labels, das Material als LP zu veröffentlichen, zerschlagen hatte.
Zwei Jahre später spielte die Band ein Vier-Track-Demo ein, und mit dem konnte sie dann tatsächlich beim größten heimischen Indie-Label unterkommen, obwohl sich erstaunlicherweise stilistisch gar nicht so viel geändert hatte, sieht man mal vom etwas dünneren Sound ab, der den Rhythmusgitarren etwas an Volumen abknapst. Der markanteste Soundunterschied wird allerdings von den hier etwas blecherner klingenden Drums gebildet - die Bandkasse war wohl nicht eben überreich gefüllt. "Gar nicht so viel geändert" bedeutet aber, daß es trotzdem Änderungen gegeben hat: Die Ausrichtung bewegte sich wieder einen kleinen Schritt in Richtung Traditionalität. Die Halftimedrums sind in den ersten drei Songs komplett verschwunden, nur die intensivere Beckenarbeit verrät rhythmisch noch modernere Anklänge, wozu sich einige eigentümliche Stimmungen der gelegentlich eingesetzten halbakustischen Gitarren, das verquere Hauptbreak im Solo von "Nem Jut Más" und natürlich nach wie vor der modern-fette Rhythmusgitarrensound (mit den erwähnten kleinen Abstrichen) gesellen. Dafür ist der Anteil traditioneller klingender Gitarrensoli gestiegen, und die Stimme hat sich selbstredend auch nicht verändert. Nur "Végleg" mit seinen deutlich moderneren ersten drei Vierteln (allerdings dann kombiniert mit einem klassischen Speedsolo ab Minute 5) macht deutlich, daß Rotor ihren lavierenden Kurs doch noch nicht so ganz aufzugeben gewillt waren - 1997 konnte ja auch noch niemand ahnen, wo die musikstilistische Reise der metallischen Welt hingehen würde, schließlich erschien die Initialzündung für die Reanimierung des traditionellen Metals, HammerFalls "Glory To The Brave", erst just in jenem Jahre. Alle vier Songs dieses 1997er Demos sind als Boni auf der Blower-Pressung vertreten.
Und dann wären da noch die letzten beiden Songs, die uns in die Frühzeit der Band führen: 1987, also vier Jahre vor dem Debütalbum, hatte man die Songs "Metálháború" und "Rotor-Rémáilom" für die Sampler-LP "Robbanásveszély!" beigesteuert, und die klingen nun völlig anders als die anderen 16 Tracks der CD, ja sogar anders als das Debütalbum, das weiland mit Maiden und Priest verglichen wurde. Anno 1987 waren Rotor noch zu sechst und hatten offensichtlich einen festen Keyboarder an Bord (das Booklet nennt nur die "Árvaház"-Besetzung, und auch die Liner Notes geben keine weitere Info zu den alten Aufnahmen, nur das LP-Cover und eben ein Bandfoto von damals sind abgebildet). Mit dieser Besetzung entstand klassischer Mittachtziger-Hardrock, der durch die meist mit Orgelklängen arbeitenden Keyboards allerdings deutlich älter klingt, etwa wie in den späten Siebzigern. Wer die frühen Zeiten der Schweizer Black Angels noch kennt, der wird hier teils erstaunliche Parallelen finden, wobei beide Songs einen äußerst flotten Grundbeat besitzen. Der Sänger singt hier nur leicht angerauht, während eine äußerst spielfreudige Leadgitarre die Songs prägt und der Drummer geradeaus und relativ schnörkellos Tempo macht. Das LP-Knistern verrät, daß man die Songs von einer Scheibe abnehmen mußte und die Originalbänder nicht zur Verfügung hatte; das Resultat ist aber trotzdem recht annehmbar ausgefallen.
Wer soll nun aber diese CD kaufen? Ungarn-Metal-Sammler müssen sie natürlich zur Komplettierung ihres Bestandes haben, aber Rotor könnten auch diesmal zwischen den Stühlen landen, wenngleich die Lagerbildung im heutigen Zeitalter des "anything goes" ja nicht mehr ganz so intensiv ausgeprägt ist. Aber 300 Interessenten sollten sich sicherlich problemlos finden lassen, und wer gleichermaßen auf traditionelleren wie leicht moderneren metallischen Meeren segelt, könnte hier gar ein ungeahntes Highlight entdecken.
Kontakt: www.blower-records.com, http://rotor.uw.hu

Tracklist:
Szárnyakat
Nekem Mindegy
Itt Élsz
Véletlen
Borsodban Születtem
Még Mindíg
Szar Az Egész
Utolsó Játszma
Lidércnyomás
Minden Szentnek
Diósgyöri Álom
Húzd El
Ne Várj Semmit
Tehetelen
Nem Jut Más
Végleg
Metálháború
Rotor-Rémáilom
 




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