www.Crossover-agm.de NATURAL SPIRIT: Sita Rosa
von rls

NATURAL SPIRIT: Sita Rosa   (Stormspell Records)

Das Cover hätte in geringfügig veränderter Fassung auch in den "Wachturm" gepaßt, aber einige Details und der Bandname assoziieren, daß es sich bei dieser Formation nicht um Zeugen Jehovas handeln dürfte, und diese Vermuung stellt sich bei näherer Betrachtung dann auch als korrekt heraus. Das Booklet liefert für die der osteuropäischen Mythologie unkundigen Hörer auch gleich die Erläuterung für den Albumtitel mit: Es handelt sich um einen Regenzauber des slawonischen Völkerkreises, den die Priesterschaft weiland auch zur spirituellen Reinigung ihres Volkes anwendete. Gemäß dem Coverartwork war der Priester zumindest im Hinblick auf den Niederschlag auch erfolgreich, und die Kopplung mit dem Regenbogen und dem Wanderfalken bietet für osteuropäische Volkskundler sicherlich ein weiteres interessantes Analysefeld. Diese dürften auch mit der Sprache keine Probleme haben: Die aus der Ukraine stammenden Natural Spirit singen ohrenscheinlich in Russisch, allerdings sind nur zwei der Texte im Booklet abgedruckt, und einige der Songtitel stehen zudem in englischer Übersetzung in der Tracklist. Dafür sind sämtliche strukturellen Angaben im Booklet zweisprachig russisch/englisch gehalten, so daß auch der Hörer, dessen Verständnis kyrillischer Lettern gegen Null geht, zumindest eine Ahnung vom kulturhistorischen Hintergrund Natural Spirits bekommen kann.
Und welche Art von Musik spielt die Band nun? Anhand der eben getätigten Beschreibung böte sich das weite Feld des Pagan Metal an, aber dieses Sammelbecken ist ja eigentlich keine musikangebundene Klassifizierung, obwohl man dabei mittlerweile ähnlich wie beim Black Metal schon einen bestimmten Sound im Hinterkopf hat, und dem zeigen sich prinzipiell auch Natural Spirit zugeneigt, allerdings in seiner gemäßigten Variante. Heißt praktisch: Der instrumentale Unterbau hätte auch zu einer Melodic-Metal-Scheibe gepaßt, heftiges Geknüppel bleibt bis auf wenige Momente (etwa in "Morok Rays") völlig aus. Dazu kommen Folkeinflüsse in der Melodik sowie mancherlei Akustikpassagen sowie im Falle von "Sita Rosa" auch noch mindestens eine Sängerin. Auf dem Bandfoto ist jedenfalls eine abgebildet, vermutlich Katerina Prischepa, die laut Booklet festes Bandmitglied ist, aber die Encyclopedia Metallum nennt noch Julia Schewtschuk als Gastsängerin, die im Booklet freilich nirgendwo erwähnt wird. Die Vielfalt der eingesetzten Frauenstimmlagen ließe zweifellos die Möglichkeit mehrerer Quellkehlen zu, aber seit Arkonas Mascha Archipowa weiß man auch in diesem Genre um die stimmliche Wandlungsfähigkeit bestimmter Könnerinnen. So bleibt die Möglichkeit, daß Julia Schewtschuk nur in einem Break von "Dream" zu hören ist, wo der Frauengesang sehr stark vom Rest des Albums abweicht - es handelt sich um eine Art Jodeln, das es ja in vielen archaischen europäischen Kulturen gab und gibt. Eine andere Überraschung erlebt man gleich im Opener "Ros River": Längere Zeit wird er von der Frauenstimme bestritten, bevor die Männerstimme kurz vor Vollendung der zweiten Spielminute erstmals einsetzt - und eine Art Sprechgesang intoniert, den man im Pagan Metal nun gar nicht gewöhnt ist. Pagan Rap? Ganz so schlimm ist es nicht, aber man fühlt sich irgendwie komisch berührt. In den anderen zehn Songs agiert Oleg Kirijenko dann aber deutlich konventioneller, also zumeist im kreischenden Idiom, gelegentlich fast punkartig shoutend und nur an sehr wenigen Stellen nochmals seine Klarstimme einsetzend, dann aber eher flüsternd. Kirijenko fungiert auch als Hauptkomponist der Band - zehn der elf Stücke sind Alleinkompositionen von ihm, nur für "Lullaby" gingen ihm Prischepa und Keyboarder Iwan Popow zur Hand (was praktisch bedeutet, daß "Crossworld" kein Auberon-Cover darstellt, was freilich musikalisch gar nicht mal so uninteressant gewesen wäre, wohl aber praktisch unmöglich, denn das gleichnamige Album der Schweden enthielt keinen Titelsong), wobei die Band allerdings keineswegs nur als Erfüllungsgehilfe für Kirijenko fungiert, sondern zumindest partiell auch in den kreativen Enstehungsprozeß eingebunden ist: Das Booklet nennt nämlich vier Menschen, die für die Arrangements zuständig waren, und da ist Kirijenko interessanterweise nicht dabei, sondern neben Prischepa und Popow noch Bassist Wadim Muschenko und Produzent Ilja Iwaschenko. Und die Kreativfraktion beherrscht ihr Handwerk tadellos und hat mancherlei interessante Elemente untergebracht, ohne aber mit absoluten Highlights aufwarten zu können - die 48 Minuten von "Sita Rosa" lassen sich für den Genrefreund prima durchhören, ohne Kopfschmerzen zu bekommen (außer vielleicht an der genannten Stelle im Opener), und vielleicht wird mancher hier gar eine neue Lieblingsband entdecken, aber andere werden eher die Worte "guter Durchschnitt" gebrauchen, was keineswegs abwertend gemeint ist. "Lullaby", lange balladesk, später hymnisch werdend und mit interessanten Frauengesangsvarianten aufwartend, gerät zum wahrscheinlich besten Song hier, während der Closer "Civilisation" noch ein in diesem Kontext seltenes Element auffährt: Das Eröffnungsriff hätte auch von den Sepultura der Mittneunziger stammen können, und in der Kombination mit dem "typischen" Folk Metal der Band entsteht hier eine eigentümliche Mischung. Das mittlerweile ebenfalls erschienene Folgealbum "The Price Of Freedom" hat sich noch nicht beim Rezensenten eingefunden, so daß er nicht beurteilen kann, inwieweit sich die Band auf besagtem Drittling verändert hat. Wer mit den Landesnachbarn Znich warm geworden ist, könnte jedenfalls auch "Sita Rosa" zu schätzen wissen. Das Cleartray liefert übrigens auch noch eine Stildefinition: "Slavonic Pagan Tempered Steel From Ukraine". Na dann ...
Kontakt: www.naturalspirit.com.ua, www.stormspell.com

Tracklist:
Ros River
Kladovest
Dream
Morok Rays
Nailed Down
Kupala
Sita Rosa
Diva
Crossworld
Lullaby
Civilization
 




www.Crossover-agm.de
© by CrossOver