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von rls

ZNICH: Mroya   (Volh Records)

Zwölf Tracks weist die CD-Rückseite aus, aber der schon etwas ältere CD-Player des Rezensenten (Baujahr 2003) zeigt deren 13 an. Also einfach auf "Play" drücken und überraschen lassen ... hmmm, das Intro besteht nur aus leisem Rauschen, das auch beim Drehen am Lautstärkeregler nicht lauter wird? Nein, so avantgardistisch musizieren Znich dann doch nicht, daß sie John Cages "4'33" in einer auf 3:10 Minuten gekürzten Variante als Intro verbraten. Vielmehr verbirgt sich hinter dem dreizehnten, aus unerfindlichen Gründen an Trackposition 1 programmierten Track ein Video zum Titelsong "Mroya", und zumindest der CD-Player des Rezensenten erkennt dessen audiovisuellen Charakter nicht automatisch, sondern man muß manuell zu Track 2 vorskippen, der dann das besagte Intro enthält, und zu den in der Tracklist verzeichneten Tracknummern gedanklich jeweils 1 addieren, um auf die im CD-Display angezeigte Tracknummer zu kommen. Vielleicht haben modernere Player dieses Problem auch nicht - probiere es selbst aus, wer die CD erwirbt.
Und wer sollte das nun sein? Nun, Znich sind schwer einzuordnen. Klar, man kann sie in den Pagan Metal stecken, aber das ist ja eher ein kulturgeschichtlicher Sammelbegriff als ein musikalisch exakt zu definierendes Genre. Folk Metal paßt auch irgendwie, zumal einer der sechs Musiker, Konstantin Trambitski, kein metaltypisches Instrument spielt, sondern eine Duda bzw. Dudka, wie es die Besetzungsliste nennt, also einen osteuropäischen Dudelsack, der zwar nicht in jedem Song eingesetzt wird, aber dort, wo er vorkommt (beispielsweise in "Atruta"), zumeist eine strukturell wichtige Rolle spielt und auch in randständigeren Bereichen reizvolle Farbtupfer setzt. Allerdings agieren Znich deutlich gemäßigter als viele auf den ersten Hör artverwandte Combos. Sie halten sich nicht nur von wildem Geknüppel, das klingt, als würde eine Horde Barbaren ein gegnerisches Dorf niederreiten, konsequent fern, sondern setzen auch nicht auf vordergründige Tanzbarkeit ihres Materials, wenngleich man zu einer Nummer wie "Jaryla" durchaus das Tanzbein schwingen könnte, wenn man die diversen kleinen rhythmischen Schlenker einmal intus hat. Dazu kommt der Faktor, daß Znich erstens mit Sergej Stets nur einen Gitarristen haben und zweitens diesen, wenn er Leadmelodien spielt, im Regelfall nicht noch extra mit einer Rhythmusgitarre unterlegen, also im Studiomaterial ihre Livesituation nachbilden. Dazu kommt der Fakt, daß die Rhythmusgitarren relativ weit in den Hintergrund gemischt sind und der auditive Fokus ganz klar auf den Melodieinstrumenten liegt, wozu neben der Leadgitarre und dem Dudelsack an vorderster Stelle auch die Keyboards von Alexander Belenki zu rechnen sind. So bildet der rauhe, aber verständliche Gesang von Ales Tabolich den einzigen härteren Knochen im Musikgemisch von Znich, das man auch als Melodic Metal mit Zutaten aus Folk, Pagan, Dark und Prog Metal titulieren könnte. Wären sie noch etwas traditionsmetallischer veranlagt und hätten sie einen klassischen hohen Power-Metal-Sänger in der Besetzung, so könnte man sie als Pendant zu den litauischen Nachbarn Thundertale ansprechen. Die fehlende Grundhärte mag mancher Underground-Purist als Zeichen einer kommerziellen Ausrichtung brandmarken, aber erstens ist der Gesang abschreckend genug, um die nichtmetallische Hörerschaft zumindest zu verstören, und zweitens sind Znich eine kleine, quasi eigenproduzierende Band aus Weißrußland, die sich wohl kaum Illusionen hingeben wird, eines Tages mal Zehn- oder Hunderttausende von Platten zu verkaufen, zumal sie mit Weißrussisch eine für Weltgeltung auch eher ungeeignete Sprache singen. Da sind selbst an die frühen Nightwish erinnernde Elemente wie das Intro von "Kaljada-Kaljadsez", das später nochmal als songstrukturierendes Element wiederkehrt, allerdings im Gegensatz zu den berühmten Finnen eine Ergänzung durch den Dudelsack erfährt. Der Progaspekt bezieht sich auf mancherlei Tempowechsel und Einsatz auch ungewöhnlicherer Rhythmen, der ein genaues Hinhören erfordert, um den Sinn zu verstehen - besonders gegen Ende der Spielzeit hin beginnen sich solche Passagen zu häufen. Die beiden Tracks vor dem wiederum dreiminütigen Outro sind übrigens als Bonustracks gekennzeichnet - es handelt sich um 2004 eingespielte Demoaufnahmen, die in anderen Versionen dann auf dem 2006er Album "Kryschi-Abjaregi" gelandet sind. Es gibt allerdings auch Pressungen von "Mroya", auf denen diese beiden Tracks und auch das erwähnte Video fehlen. Dann bleiben mit zehn regulären Tracks noch 48 Minuten Spielzeit, der CD-Player des Rezensenten zeigt insgesamt 72 an, aber das scheint eine Fehlinterpretation der reichlich fünfminütigen Videodatei zu sein - es erklingen in den zwölf Songs letztlich reichlich 55 Minuten Musik. Die beiden besagten Demotracks unterscheiden sich nur in Soundnuancen (die etwas rabiatere Rhythmusgitarre betreffend) vom regulären Albummaterial; die Besetzung ist bis auf den Bassistenposten (damals spielte noch Viktorija Sytschewitsch, ansonsten ist auf "Mroya" Timur Ganbarow zu hören) in diesen sieben Jahren identisch geblieben, und erst danach hat's im Kasten gerappelt: Mit Belenki und Stets sind die beiden Alleinsongwriter von "Mroya" mittlerweile nicht mehr dabei (Belenki hatte zudem die ganze Aufnahmeleitung übernommen), auch Ganbarow und Drummer Alexander Garoch nicht. Wie sich die "neuen" Znich auf dem nächsten Album schlagen, bleibt somit abzuwarten, zumal die Planstelle des Keyboarders (noch?) nicht wieder besetzt worden ist. Derweil können sich Freunde beschriebener Klänge bedenkenlos "Mroya" widmen und auch auf die Suche nach den drei Vorgängeralben der bereits seit 1996 aktiven Band gehen. Ach so, und vielleicht hat einer der Finder auch Glück mit dem Abspielen des Videos (eine .avi-Datei): QuickTime kommt damit gar nicht klar, und der Windows Media Player spielt zwar den Ton ab, aber es kommt kein Bild dazu.
Kontakt: alestab@mail.ru, www.volh.net

Tracklist:
Intro
Wjetschnasz
Atruta
Mroya
Jaryla
Gety Ljes
Kaljada-Kaljadsez
Schljach
Bog Wainy
Kryschi-Abjaregi
Kryschi-Kryweita
Outro



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