www.Crossover-agm.de MAD ALIEN: Time War
von rls

MAD ALIEN: Time War   (Karthago Records)

Raico Ebel gehörte zu den Pechvögeln der deutschen Metalszene. Seine erste Metalband Ill Prophecy sah als Sänger nacheinander Michael Kiske, Chris Kiauke und Ralf Scheepers, die allesamt mit ihren jeweils nächsten Bands einen oder auch mehrere Schritte auf der Erfolgsleiter nach oben kletterten, während Ill Prophecy auf der Strecke blieben. Not Fragile, bei denen Ebel danach einstieg, kamen aufgrund interner wie externer Probleme gleichfalls nicht so richtig von der Stelle. Danach trommelte Ebel einige der alten Ill-Prophecy-Musiker wieder zusammen und spielte unter dem neuen Namen Mad Alien das Demo "We Are Alive" ein, mit dem man klotzte, anstatt zu kleckern: Die Spielzeit der sechs Songs lag summiert bei mehr als einer halben Stunde, und zudem soll es die erste Demo-CD einer deutschen Band gewesen sein. 1990 begannen die Zeiten für den traditionellen Metal, dem sich Mad Alien verschrieben hatten, aber schon schwer zu werden, und so verkaufte sich die CD in Japan zwar sehr gut, aber der nächste Schritt in Richtung Popularisierung bzw. auch nur Stabiliserung eines Bandgefüges gelang nicht. Mit wechselnden Begleitmusikern spielte Ebel unverdrossen weitere Songs ein, die auf einem Werk mit dem Titel "Qui Habet Aures Audiendi, Audiat" ("Wer Ohren hat zum Hören, der höre" - ein Bibelzitat, zu dem es allerdings keinen Titeltrack auf dem Album gibt) landeten. Die Liner Notes von Karthago-Chef Stefan Riermaier und die Bandgeschichtsschilderung sind sich uneins, ob dieses Album überhaupt veröffentlicht wurde oder nicht (zumindest als Fertigstellungsjahr dürfte 1994 wie in der Bandgeschichte vermerkt stimmen und nicht 1992 wie im Riermaier-Text), aber es markierte in jedem Falle das vorläufige Ende der Geschichte Mad Aliens. Was mit Ebel danach geschah, wird wiederum verschieden geschildert - Riermaier sagt, er sei nach wie vor in diversen Projekten musikalisch aktiv, laut Bandgeschichte hängte er aber Gitarre und Gesangsmikrofon komplett an den Nagel und agiert seither nur noch hinter dem Mischpult.
Aber egal wie: Ganz beendet ist die Bandgeschichte Mad Aliens noch nicht, denn das Gesamtwerk der Band fand Eingang in einen neuen Teil der Karthago-HM-Classics-CD-Serie. Der enthält Material aus drei verschiedenen Quellen und bekam somit nicht einen der schon verwendeten Tonträger-Titel verpaßt, sondern einen neuen (und auch ein neues Cover): "Time War" steht auf dem Latein-Album an fünfter Position und ist einer der Songs, die den Prog-Einfluß Ebels widerspiegeln, während beispielsweise das gleich folgende "Shout It Out" eher an obskure schwedische Mittachtziger-Bands wie Lynx erinnert. Insgesamt hört man dem Latein-Album, dessen 10 Songs die ersten 10 Plätze dieser CD besetzen, einerseits durchaus an, daß es nicht aus einem Guß entstanden ist, andererseits ist durchaus genügend Zusammengehörigkeitsgefühl da, um den Gesamtwerkcharakter zu rechtfertigen. Ebel gestaltet auch die eher dem klassischen Melodic Rock bzw. Metal zugehörigen Songs ziemlich abwechslungsreich und gönnt sich andererseits mit "Lady Desireous" (das hier auf dem Re-Release seinen Untertitel "Opus 9, 7" verloren hat) auch Ausflüge in den Reggae, ohne daß das Ganze aber bemüht wirkt. Und in einem zehnminütigen Prog-Epos wie "Kwisatz Haderach" (klingt nach Hebräisch, oder?) kann sich der Komponist sowieso austoben und tut das auch - hier klingen bisweilen auch mal zarte Maiden-Einflüsse durch. Daß "Nightmare On Elmstreet" in den Strophen gar nach Death Metal klingt, zeigt, daß Ebel in den Frühneunzigern auch ganz weit mit vorn hätte dabei sein können, hätte er ein ganzes Album in dieser Richtung machen können, denn die Verquickung von Death und klassischem Heavy Metal steckte damals noch ganz tief im Underground und erfuhr erst wenige Jahre später größere Popularität. Was manchen Hörer etwas stören mag, ist der oftmals "künstliche" Eindruck der Drums, obwohl laut Booklet außer im allerletzten Song überall ein "echter" Drummer agiert hat, wobei es sich in sechs Fällen übrigens um Sid Gautama handelte, der ansonsten mit Sun doch ziemlich andere Musik fabrizierte, was auch auf Andy Missotten (bei Chemical Breath) zutrifft, der "Nightmare On Elmstreet" eintrommelte. Für die schöne Ballade "Goodbye" und das epische "Together", das auch zu Gallows Pole gepaßt hätte, schaffte es Ebel sogar, Mitglieder des "Cats"-Musical-Ensembles Hamburg ins Studio zu lotsen, wobei "Goodbye" einer von drei Songs ist, die schon auf "We Are Alive" standen und auf dem Latein-Album nochmal neu eingespielt wurden, wobei in diesem Fall der Chor aber nicht nochmal neu aufgenommen, sondern von den alten Aufnahmen übernommen wurde. Die Songs 11 bis 13 des Re-Releases sind dann die drei "We Are Alive"-Songs, die keine Neueinspielung erfahren haben: der überwiegend flotte Opener "Fire On Ice", den die Japaner besonders geliebt haben sollen, obwohl die Melodik gar nicht so sehr eingängig ist und gerade das Finale irgendwie amputiert wirkt, das Instrumental "Opus 8,5" (Ebel-Fanatiker checken sein früheres Schaffen, ob sich auch noch irgendwo die Opera 1 bis 7 finden) und eben die Hymne "Together", die mit ihrem A-cappella-Chorfinale einen prima Abschluß für "Time War" gebildet hätte (interessanterweise stand sie auf "We Are Alive" auch nicht am Ende, sondern statt dessen "Goodbye", während zwischen beiden noch die knapp elf Minuten "Kwisatz Haderach" positioniert waren). Leider findet sich nach diesen 70 überwiegend gutklassigen und partiell richtig starken Minuten noch ein vierzehnter Track, ein langweiliger Poptrack namens "Lovesong", über dessen Herkunft nichts Näheres bekannt ist und der zumindest in musikalischer Hinsicht trotz seines hübschen Klavierintros und einiger netter Ideen in der Instrumentalarbeit einen totalen Fremdkörper darstellt, auch wenn Mad Alien wie beschrieben durchaus sehr vielschichtig agierten. Ergo sollte man seinen CD-Player so programmieren, daß er nach Song 13 zu spielen aufhört und den sehr positiven Gesamteindruck von "Time War" nicht unnötig beeinträchtigt.
Kontakt: www.karthagorecords.de

Tracklist:
We Are Alive
Creature Of The Storm
One Of These Days
Lady Desireous
Time War
Shout It Out
Kwisatz Haderach
Only For You
Goodbye
Nightmare On Elmstreet
Fire On Ice
Opus 8,5
Together
Lovesong
 




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