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von rls

LEWD PREACHER: The Raw Age   (Karthago Records)

Während die "Heavy Metal Classics"-Serie des Karthago-Labels sich auf die Wiederveröffentlichung konkreter Alben konzentriert, die schon einmal als solche erschienen waren, gräbt die Abspaltung "Heavy Metal Demo Classics", wie der Titel bereits assoziiert, noch etwas tiefer im Untergrund und fördert Aufnahmen zutage, die zwar als Demo eingespielt wurden, aber auch in diesem Format verblieben. In den Achtzigern waren die Welten Demo/Album ja noch etwas strikter getrennt als heutzutage, wo jedermann im häuslichen Arbeitszimmer am Rechner Metalalben im Fließbandverfahren produzieren kann (und leider gibt's auch Leute, die das tatsächlich tun ...). Damals spielte man als junge Band, sofern man nicht zufälligerweise das Glück hatte, bei einem Gig "entdeckt" zu werden, in der Regel ein Demo ein und bewarb sich mit diesem dann bei Plattenfirmen und Veranstaltern; außerdem hatte man dann auch ein Tonzeugnis in der Hand, das man an die Fanschar verkaufen konnte.
Diesen Weg beschritten auch Lewd Preacher, 1985 in Marburg gegründet und 1987 mit Einstieg des neuen Zweitgitarristen Matthias Koch eine erste "offiziell gezählte" Besetzung aufweisend. Nachdem die lokale Erfolgskurve schon stetig nach oben zeigte, beschloß das Sextett, ein Demo einzuspielen. Wo das geschah, verrät das Booklet von "The Raw Age" nicht; offenbar war es allerdings ein nicht gerade preiswertes Studio, denn einerseits ist das Klanggewand für Demoverhältnisse durchaus sehr beachtlich ausgefallen (auch wenn's in "A Cry In The Night" mal etwas arg dröhnig wird), andererseits aber blieb offensichtlich kein Geld mehr für eine optische Herausputzung der Kassette (die weiland das normale Medium für Demoaufnahmen darstellte), so daß diese mit einer simplen Bleistiftzeichnung erschien, die dem Talent der Band ganz und gar nicht gerecht wurde. Lewd Preacher spielten auf diesen vier Songs komplexen melodischen Metal mit Speedkante; gleich der hyperflotte Opener "Dr. Jekyll And Mr. Hyde" gerät zum überzeugendsten Zeugnis des Schaffens des Sextetts, das neben zwei äußerst fähigen Gitarristen mit Wolfgang Cloos auch noch einen ebenfalls äußerst fähigen Keyboarder in seinen Reihen hatte, der nicht daran dachte, sein Instrument achtzigermetaltypisch stiefmütterlich behandeln zu lassen, sondern enorm songtragende Rollen spielte. Kurioserweise hat der Rezensent gerade zuvor die im gleichen Jahr eingespielte LP "One Step Into The Uncertain" von Adrian im Player gehabt und besprochen - Lewd Preacher muten in den vier Demosongs wie eine gereifte und zwei Stufen hochkarätigere Version Adrians an und hatten mit Tammo Holzhausen auch einen richtig guten Sänger am Start. Ebenjener verließ die Band dann 1989, wurde aber durch Stefan Bosshammer adäquat ersetzt (der Rezensent überlegt immer noch, an wen ihn die Stimme erinnert), und mit ebenjenem erschien ein zweites Demo namens "The Fuse Strikes Back", wieder mit einem simplen Cover und vier Songs, aber summiert anderthalbmal so lang wie das erste Demo. Lewd Preacher hatten den Speed von "Dr. Jekyll And Mr. Hyde" mittlerweile komplett eliminiert und agierten nun im midtempolastigen Progmetal, hatten allerdings das Händchen für zugängliche Melodik und Harmonik nicht verloren, wenngleich sie durchaus auch ungewöhnliche Klangwelten erkundeten und im relativ schleppenden "Sands Of Secrets" mal nach Asien schielten, was in den Achtzigern auch nur bedingt en vogue war (bereits in "A Cry In The Night" hatten die Gitarristen einen Barocklauf eingezaubert, was weiland außer Yngwie J. Malmsteen auch kaum jemand tat). Mit dieser Stilistik waren sie im Deutschland der Endachtziger weitgehend einzigartig; von ferne winkten Jesters March und Battlefield herüber, Mekong Delta und Sieges Even bleiben aufgrund ihrer grundsätzlich anderen Herangehensweise außerhalb der Betrachtung, und möglicherweise hat mit anderen jungen Bands ein gewisser künstlerischer Austausch in der einen oder anderen Richtung stattgefunden, etwa mit Secrecy, Abraxas oder Poverty's No Crime, wobei letztgenannte in der Nachbetrachtung aus heutiger Sicht den wohl stärksten Ankerpunkt für das neue Material Lewd Preachers bilden, wenngleich Volker Walsemann und seine Mitstreiter ihr Material noch einen Deut zugänglicher und ihre Melodien noch einschmeichelnder gestalteten. (Ach ja, und ein Trommelbube namens Felix Bohnke, später als Schlagzeuger von Edguy bekannt geworden, soll sich im Dunstkreis der Band herumgetrieben haben ...) Aber auch die sechs Hessebube wußten zweifellos, was sie taten - unglücklicherweise wurden sie sich uneins, was sie als nächstes tun sollten, und so folgte anstatt weiterer Tonzeugnisse die Auflösung (im Booklet mal auf 1992, mal auf 1993 datiert). 2009 fanden sich alle sieben Mitglieder (also beide Sänger!) nochmals für einen einmaligen Reunion-Gig zusammen, aber trotz dessen Erfolgs entschieden sich die Musiker, die Aktivitäten nicht wieder aufzunehmen.
So bleibt als ihr Vermächtnis das Demoschaffen, und das findet sich nun zusammengefaßt auf der knapp einstündigen "The Raw Age"-CD, deren Cover die Bleistift-Tradition nicht fortsetzt, aber mit dem Höllenfolterbild von Hieronymus Bosch auch eher in die Irre führt. Dagegen passen die beiden stilistisch doch recht unterschiedlichen Demos besser aneinander, als man in der Theorie hätte vermuten können, denn der Speed von "Dr. Jekyll And Mr. Hyde" war ja schon in den anderen drei Songs des ersten Demos nur noch sehr dosiert aufgetreten, und auf dem zweiten Demo tritt Marc Laukel das Gaspedal nur in einigen Solospots vor dem etwas merkwürdig strukturierten Finale des über zwölfminütigen "Sands Of Secrets" durch. Der Closer "The Other Side" entpuppt sich trotz plakativem Fun-Intro und -Outro als durchaus ernstzunehmendes Exempel des Lewd-Preacher-Schaffens, auch wenn er deutlich stärker in Richtung klassischen Hardrocks schielt als der Rest des Materials auf dem zweiten Demo. Lewd Preacher hätten musikalisch das Zeug zu Größerem gehabt, aber strukturelle Mißgunst und die erwähnte bandinterne Uneinigkeit über das weitere Vorgehen verhinderten das, was indes nichts daran ändert, daß es sich bei "The Raw Age" um hochgradig entdeckenswertes Material für alle, die nach der Ursuppe des anspruchsvollen metallischen Musizierens in Deutschland suchen, handelt.
Kontakt: www.lewdreunion.de.vu, www.karthagorecords.de

Tracklist:
Dr. Jekyll And Mr. Hyde
Wings Of Evil
Knights Of Unknown Destiny
A Cry In The Night
Hands From Me
Borderline
Sands Of Secrets
The Other Side



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