www.Crossover-agm.de EDGUY: The Singles
von rls

EDGUY: The Singles   (Nuclear Blast)

Nicht-Single-Käufer wie der Rezensent dürfen frohlocken: Parallel zum neuen Studioalbum "Tinnitus Sanctus" bringen Nuclear Blast auch das Non-Album-Material von Edguy auf einer CD versammelt heraus, und zudem gibt's letztgenannte schon ein reichliches halbes Jahr nach Veröffentlichung hier und da schon zum Sonderpreis von 7,99 Euro, also einem Preis, den man sonst für eine der drei kompilierten Veröffentlichungen allein bezahlt hätte. Ein Schnäppchen also? Ja und nein. Ja aus den eben genannten Gründen, nein wegen der zusätzlich nötigen strukturellen Betrachtungen. Zunächst hätte die Platte korrekt "The NB Singles" heißen müssen - die beiden Singles von 2001, als Edguy noch bei AFM bzw. in Frankreich bei den mittlerweile vom Pleitegeier gefressenen NTS unter Vertrag standen, fehlen, und es findet sich somit lediglich der Stoff, der von Nuclear Blast herausgebracht worden ist, auf der CD. Aber auch diese drei zugrundeliegenden Tonträger sind nicht komplett auf die CD gewandert - die "Superheroes"-EP und die "King Of Fools"-EP zwar in der Tat, aber aus unerfindlichen Gründen fehlt von der "Lavatory Love Machine"-Single das Video zum Titeltrack (gut, um das ist es nicht weiter schlimm, denn der Song als Audioversion ist selbstredend vorhanden) und zudem der vierte Song des Originals, ein Vierminüter namens "Reach Out". Das schmälert den editorischen Wert dieser Veröffentlichung dann doch enorm, zumal die CD mit reichlich 60 Minuten keineswegs an Überfüllung geplatzt wäre, hätte man diese vier Minuten nun auch noch hinzugefügt.
Lohnt sich das Teil aber wenigstens aus musikalischen Gründen? Diese Frage ist nun uneingeschränkt zu bejahen, wenn man auf klassischen, mitunter auch leicht überdrehten Melodic Metal steht. Der Überdrehtheitsfaktor hat die angenehme Eigenschaft, sich nur in einigen Songs zu konzentrieren und nicht das gesamte Material zu durchziehen - will heißen: Tobias Sammet und seine Mannen können es auch vollkommen ernst, wenn es darauf ankommt, und mit "Superheroes" (ein in Gänze comichaft wirkender Song, hymnisches Midtempo mit einigen absonderlichen Einfällen wie Steelgitarren gleich als Einleitung), "Lavatory Love Machine" (ähnliche Kategorie - man höre die "Ha - Ha"-Einwürfe in der Einleitung nach dem Motorengeräuschintro) und "Life And Times Of A Bonus Track" (hier winken Spinal Tap besonders heftig um die Ecke - kann man eigentlich nicht adäquat beschreiben, muß man selber hören) befinden sich unter den 14 Songs nur fünf der überdrehten Kategorie. Wer jetzt meint, der Rezensent solle bei Adam Ries in die Lehre gehen, der irrt: "Superheroes" und "Lavatory Love Machine" stehen jeweils in zwei Versionen auf der CD, erstgenannter noch in einer Epic Version (was hier bedeutet: Gesang, Klavier und ein paar Streicher im Hintergrund), letzterer noch als Acoustic Version (also Wandergitarren und Schellenkranz, allerdings im flotten Originaltempo belassen). Ansonsten bekommt man reifen, "erwachsenen" Melodic Metal mit einem gewissen Bombasteinschlag zu hören, der zwar die Unbekümmertheit früherer Tage längst abgelegt hat (das älteste Material der Compilation stammt aus dem Jahr 2004), aber professionell in Szene gesetzt ist, Spielfreude samt positiver Attitüde versprüht und sich zweifellos hören lassen kann. Und vermute niemand, daß auf den EPs bzw. Singles nur "Ausschußmaterial" verbraten worden wäre, das nicht gut genug für die regulären Alben war. Solcherart Verdachtsmomente wischt schon das Material der "Superheroes"-EP, das die Compilation eröffnet, locker vom Tisch. "Spooks In The Attic" ist ein lockerer Gute-Laune-Rocker, "Blessing In Disguise" kein Metal Church-Cover (denn deren gleichnamiges Album hatte keinen Titeltrack), sondern eine bombastische Halbballade mit etwas viel Schmalz, aber auch viel Gefühl und "Judas In The Opera" ein siebeneinhalbminütiges Epos mit einem speziell durch das typische Chorarrangement im Mittelteil hervorgerufenen Queen-Touch, um das herum allerdings fröhlicher Speed Metal mit einigen aberwitzigen Breaks lauert. Für diesen Song haben Edguy Ex-Helloween-Sänger Michael Kiske wieder "entstaubt" und diesen, wie man Jahre später weiß, somit wieder vorsichtig an den Metal herangeführt, von dem er sich zwischenzeitlich komplett losgesagt hatte. Eine Coverversion steht allerdings auch auf der EP: Magnums "The Spirit" wird von Edguy nicht etwa durch den Metalwolf gedreht, sondern in einer respektvoll in Originalnähe bleibenden Epicrockversion eingespielt. Diese Wahl eines noch nicht totgecoverten Songs wiederholen die Fuldaer auf der "Lavatory Love Machine"-Single: "I'll Cry For You" gehört nicht zu den Songs, an die man als erstes denkt, wenn man den Bandnamen "Europe" in die Runde wirft, aber der etwas ruhigere Song vom eher durchwachsenen fünften Album "Prisoners In Paradise" ist nicht schlecht, und bei der Aufnahme hat man das gleiche Prinzip wie bei der Akustikversion von "Lavatory Love Machine" angewendet: Wandergitarren, Schellenkranz, aber Originaltempo (vielleicht sogar noch einen Tick schneller - die Prüfung mittels Metronom ist unterblieben). Danach glänzt "Reach Out" wie erwähnt durch sein Fehlen, und die letzten fünf Songs sind die der "King Of Fools"-EP. Den Titeltrack, eine starke, wenngleich wenig auffällige Midtempohymne, kennt man vom "Hellfire Club"-Album, den Closer "Life And Times Of A Bonus Track" haben wir oben bereits behandelt. Bleiben die drei Tracks dazwischen, und das sind typische Edguy-Songs, lediglich mit dem Zusatz, daß das Filmorchester Babelsberg dem Bekunden nach hier und da noch ein paar Orchesterklänge einwerfen durfte. Bei "New Age Messiah" (flottes Midtempo) beschränkt sich das im wesentlichen auf das flirrende Intro, bei "Holy Water" (normales Midtempo mit gekonnt verschlepptem Hauptsolo, wo nur der computervertrommelte Einstieg nervt) liegt ein Orchesterteppich hinter dem kompletten Song, bei "The Savage Union" (auch flottes Midtempo, allerdings mit einer gelungenen speedigen Bridge vom Refrain und einer nicht minder gelungenen Tempoherunterschaltung in der letzten Refrainzeile) aber kann man gar nicht ausmachen, wo da ein Orchester zu hören sein soll (hinter dem Refrain liegt irgendwas Bombastisches, aber das klingt eher nach einer alten Hammondorgel). Vielleicht ist die Kennzeichnung mit zwei Sternchen (was Orchestermitwirkung assoziiert) im Booklet aber auch nur ein weiteres Zeichen der mangelnden Songfalt beim Erstellen, die sich noch in anderen Komponenten äußert, am deutlichsten wohl in den Songwritercredits, wo man in der Zusammenfassung Gitarrist Dirk Ludwig gleich mal unterschlägt, obwohl der in der Einzelzuweisung, die jeweils über den Lyrics abgedruckt ist, bei "Judas In The Opera" und "The Savage Union" als Co-Komponist neben Tobias Sammet genannt ist. Solche Dinge (neben dem Fehlen von "Reach Out", sofern das keine global wichtigen strukturellen Gründe hatte) nähren den Verdacht einer mit der heißen Nadel gestrickten Veröffentlichung fürs Weihnachtsgeschäft 2008. Ein Schnäppchen? Ja und nein, wie beschrieben.
Kontakt: www.edguy.net

Tracklist:
Superheroes
Spooks In The Attic
Blessing In Disguise
Judas In The Opera
The Spirit
Superheroes (Epic Version)
Lavatory Love Machine
Lavatory Love Machine (Acoustic Version)
I'll Cry For You
King Of Fools
New Age Messiah
The Savage Union
Holy Water
Life And Times Of A Bonus Track



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver