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IRON MAIDEN: The Book Of Souls
von rls

IRON MAIDEN: The Book Of Souls   (Parlophone)

"The Final Frontier", das 2010 veröffentlichte Maiden-Studioalbum, warf ob seines Titels Spekulationen auf, ob es sich um das letzte Werk der britischen Metal-Heroen handeln würde, und die Band, marketingtechnisch bekanntlich mit allen Wassern gewaschen, war intelligent genug, ausweichend bis schwammig zu antworten, um die Anhängerschaft auch tatsächlich zum Erwerb des vielleicht letzten neuen Studiomaterials ihrer Helden zu animieren. Fünf Jahre und eine Krebserkrankung von Sänger Bruce Dickinson später wissen wir nun, daß die letzte Grenze doch noch nicht überschritten worden ist und die Kreativität sogar für ein Doppelalbum mit 92 Minuten Spieldauer gereicht hat. Selbiges lief zufälligerweise im Media Markt Meerane über die marktinterne Soundanlage, als der Rezensent ebenso zufällig vier Tage nach der Veröffentlichung des Albums dort war - und das Abspielen erreichte sein Ziel, nämlich einen Spontanerwerb der Normaledition der Scheibe (es gibt auch noch eine riesige Buchedition, die mal wieder in kein CD-Regal paßt, allerdings auch keine Extrasongs enthält). Der erste Durchlauf in der heimischen Anlage ernüchterte dann allerdings etwas. Klar, das ist 'ne kleine Stereoanlage und nicht mit der ausgetüftelten riesigen Surroundanlage im Markt vergleichbar - aber auch das Songmaterial erwies sich als wenig zugänglich und dahinplätschernd. Dieser Eindruck begann sich erst bei den folgenden Durchläufen zumindest in gewisser Weise zu relativieren.
Halten wir die Geschichte kurz fest: Seit auf "Fear Of The Dark" (1992!) die beiden Longtracks, also "Afraid To Shoot Strangers" und der Titeltrack, am meisten zu überzeugen wußten (wobei sich der Titeltrack bis heute in den Setlisten festgekrallt hat), bestehen Maiden-Alben im wesentlichen aus Longtracks, während das Genre des knochentrockenen Kompaktmetals weitgehend oder komplett verschwunden ist. In dieser Hinsicht bildet auch "The Book Of Souls" keine Ausnahme, enthält es doch nicht nur mehrere Zehnminüter und mit dem Achtzehnminüter "Empire Of The Clouds" den längsten bisherigen Maiden-Song, sondern bringt die genannten 92 Minuten mit gerade einmal elf Songs zustande, also einem Schnitt von achteinhalb Minuten pro Song. "Speed Of Light" nennt sich programmatisch der zweite Song, und tatsächlich entpuppt er sich zusammen mit dem fünftplazierten "When The River Runs Deep", das allerdings im Refrain eher unmotiviert abgestoppt wird, während die Midtempoparts im langen Solopart als durchaus sinnvolle Gliederung anzusehen sind, als das flotteste Exempel, wenn auch weit von früheren Speedies wie "Aces High" oder "Be Quick Or Be Dead" entfernt. Der Opener "If Eternity Should Fail" hingegen gibt nach seiner orientalisch anmutenden Einleitung die typische Midtemporichtung vor, die mit geringfügigen Variationen das komplette Album prägt. Erstes Exempel für die Variationsbreite ist er allerdings gleich selbst, denn im Hauptsolo nach weit über fünf Minuten schlägt Drummer Nicko McBrain plötzlich einen schnelleren Beat an und hilft somit, den Hörer in gewisser Weise ins Album hineinzuziehen, wobei die weitere Temposteigerung mit "Speed Of Light" durchaus hilft. "The Great Unknown" bleibt allerdings nach den bisherigen Hördurchläufen für den Rezensenten das, was der Titel paradoxerweise verspricht. Hierauf folgt das erste der großen Epen, der Dreizehnminüter "The Red And The Black", interessanterweise die einzige Alleinkomposition von Bandkopf/Bassist Steve Harris, während sich bis auf zwei Dickinson-Alleingänge (der erwähnte Opener und das erwähnte Achtzehn-Minuten-Opus) sonst immer Kompositionsteams gefunden haben. Im Rotschwarzen verbringt man als Hörer die ersten neun Minuten mit der Erkenntnis der Themenentwicklung und dann im wesentlichen mit der Suche nach diversen minimalen Tempovariationen (da hat Harris ein paar winzige, aber geniale Abweichungen eingebastelt), bevor auch hier eine in diesem Fall sogar lehrbuchreife Tempobeschleunigung die bisher eingeführten Themen und Melodien nochmal zum schnelleren Grundbeat durcharbeitet, wobei die eine oder andere Wiederholung zwar beim ersten oder zweiten Hören zur Einprägung noch nützlich ist, aber beim fortgesetzten Hören dann doch etwas redundant anzumuten beginnt. Der Titeltrack, der auch für die optische Gestaltung im Maya-Stil Pate stand (man kann es mögen, muß es aber nicht), weckt mit seinem leicht entrückten Gitarrenintro Interesse und entwickelt sich in einen hymnischen Stampfer weiter, bevor das mittlerweile bekannte Stilmittel der Tempoverschärfung abermals Anwendung findet und in einigen ziemlich enthusiastischen Gitarrensoli mündet. Man vermutet schon einen großen "Knalleffekt" als Abschluß der ersten CD, aber dann wird der schnelle Part kurz vor Minute 10 irgendwie seltsam unmotiviert abgewürgt, und auch die Wiederkehr des stimmungsvollen Gitarrenintros als Outro kann den unbefriedigenden Eindruck nicht wegwischen.
Also schnell CD 2 in den Player geworfen - zieht man die 18 Minuten von "Empire Of The Clouds" ab, bleiben für die restlichen vier Songs im Durchschnitt "nur" noch sechs Minuten, und man ist in gewisser Weise gespannt, in welcher Form sich das niederschlagen wird. Als Opener gut gewählt ist "Death Or Glory" mit seinem treibenden Midtempo, und man versucht sich irgendwie vorzustellen, wie es wäre, wenn diese Komposition auf CD 1 als Opener des Gesamtwerkes fungiert hätte. Auch ansonsten ist der Song mehr als klassisch strukturiert: Strophe-Refrain-Hauptsolo-Refrain - so übersichtlich sind nur wenige der jüngeren Maiden-Songs arrangiert gewesen. Verantwortlich dafür zeichnen übrigens Dickinson und Gitarrist Adrian Smith, wobei besonders letzterer ja schon in der Vergangenheit durch einen etwas abweichenden Kompositionsstil auffiel. Apropos Vergangenheit: Im Intro von "Shadow Of The Valley" erlebt der langjährige Maiden-Anhänger ein Deja-Vu - und zwar in Richtung, nein, nicht des kurioserweise genau so betitelten Songs auf dem 86er Werk "Somewhere In Time", aber einem anderen Song dieses Albums, nämlich "Wasted Years". Abermals kurioserweise spielt dieses Introthema im weiteren Verlauf des abermals im treibenden Midtempo gehaltenen Songs aber keine Rolle weiter, und als weiteres Kuriosum ist hier das Kompositionsteam aus Harris und Gitarrist Janick Gers am Werke, wobei letzterer anno 1986 aber noch gar kein Bandmitglied war. Beginnt man sich im Hauptsolo über den Sinn der abgestoppten "Zeile" zu fragen, wird deren abermalige Gliederungsfunktion als "Scharnier" klar, wenn der zweite Teil des schnelleren Soloparts dahintergestellt wird. Und da offenbar alle drei Gitarristen solotechnisch mal drankommen wollen, steht zwischen dem Vorschluß- und dem Schlußrefrain kurzerhand nochmal ein entsprechender Part. "Tears Of A Clown" nimmt dann wieder Tempo heraus, auch wenn der entspannte Beat (fast im Stile von Black Sabbaths "Heaven And Hell") durch ein paar progressive Verschiebungen von Drummer Nicko McBrain "gestört" wird. Allerdings überlegt man einen Moment, ob Maiden nach "Bring Your Daughter To The Slaughter" abermals eine Komposition aus Dickinsons Soloschaffen übernommen haben - aber der betreffende Song von "Balls Of Picasso" hieß "Tears Of A Dragon" und war nochmal ein Stück langsamer; außerdem zeichnet für die Clownstränen das Duo Smith/Harris verantwortlich, das den Hörer mit einem seltsamen Soloabschluß und dem nicht minder seltsamen abrupten Songende allerdings eher zu verstören geneigt ist. Also gleich weiter zu "The Man Of Sorrows", dem diesmal einzigen kreativen Beitrag von Gitarrist Dave Murray (mit Harris als Co-Komponist). Knapp zwei Minuten lang vermutet man eine Ballade, aber dann geht's wieder im Midtempo weiter, auch wenn ein Break in Richtung des Hauptsolos vorübergehend noch einmal Tempo rausnimmt. Die ungewöhnliche Harmonisierung der letzten Strophe vor dem Solo ist da schon wieder den üblichen Hausmarken gewichen und kehrt auch später nicht nochmal wieder - schade, denn aus dieser Idee hätte man viel mehr machen können. Bleibt das bereits mehrfach erwähnte Achtzehn-Minuten-Epos als Albumfinale. Dickinson spielt hier auch die beiden einleitenden Piano-Themen, das zu einem tragenden Element der Komposition werden soll, und zudem nimmt ein Cellist eine wichtige Rolle im ausgedehnten Intro ein, wobei unklar bleibt, ob es sich um eine Keyboardsimulation oder einen echten Spieler handelt. Die Besetzungsangabe im Booklet, die nur Jeff Bova mit dem Titel "Orchestration" ausweist, läßt eher ersteres vermuten, aber es bleibt auch die andere Möglichkeit offen, da ja nicht jede Band wie Nightwish volle Orchesterbesetzungen bis hin zum allerletzten Chor-Hinterbänkler anzugeben pflegt. Apropos Booklet: Für Steve Harris ist "Bass and Keyboards" angegeben, aber etwas versteckt findet sich außer dem Orchestrator auch noch ein weiterer Keyboarder namens Michael Kenney, dessen Beteiligungsumfang eher unklar bleibt. Der Orchestrator hat jedenfalls im besagten Song eine Menge zu tun gehabt: Es handelt sich um den ersten "richtigen" Versuch Iron Maidens, eine Art modernen Orchestermetals mit starkem Progrockeinschlag zu erschaffen, und der ist für ein solches Erstlingswerk erstaunlich gut gelungen, obwohl oder vielleicht auch weil Steve Harris kompositorisch hier nicht mitgemischt hat und daher keine Veranlassung oder auch nur Versuchung bestand, den Song zu weit in Richtung der "normalen" Maiden-Epen, von denen es ja auch schon genug auf dem Album gibt, zu lenken. Maidentypische Elemente enthält er trotzdem noch genug, um dem Kenner ohne Zweifel als ein Werk dieser Band zu gelten - man achte beispielsweise mal auf den Instrumentalpart ab Minute 9! Und wer das auf CD 1 so häufig eingesetzte Stilmittel der Tempoverschärfung so liebgewonnen hat, daß er es gern noch einmal hören möchte, der bekommt hier ab Minute zehneinhalb die Gelegenheit dazu, wobei Dickinson diese Verschärfung aber interessanterweise nicht durchzieht, sondern schon nach relativ kurzer Zeit abermals das Tempo wechselt und wieder etwas herausnimmt, bevor bei Minute zwölfeinhalb quasi aus dem Nichts nochmal ein flotter Grundbeat um die Ecke geschossen kommt, den man im ebenso plötzlich einsetzenden Gesangspart erst gar nicht richtig wahrnimmt. Der urlange Instrumentalpart braucht auf alle Fälle ähnlich viel Erschließungszeit wie der gesamte Song an sich, und ab Minute vierzehneinhalb bahnt sich mit einem großen orchesterdominierten Part ein dramatisches Finale an, das allerdings dann ganz schlicht mit der Wiederkehr eines der klavierdominierten Einleitungsthemen anhebt, bevor Dickinson die Eindringlichkeit seines Gesanges nochmals steigert, aber irgendwie auch das Gefühl hinterläßt, als würde er hier vor dem Gipfelpunkt zurückschrecken, so daß der Hörer abermals irgendwie unbefriedigt zurückbleibt, da der besagte Orchesterpart eigentlich nicht zur kompletten Spannungsableitung gedacht gewesen sein kann. Aber vielleicht gibt es auf dem einen oder anderen Folgewerk weitere Songs dieser Kategorie, und - um mal bei Nightwish zu bleiben - Tuomas Holopainen hat seine Highlights der Orchestermetalkategorie auch nicht gleich im ersten Wurf geschafft, obwohl gerade "Ghost Love Score" schon nah dran war, näher noch als Dickinson dem Idealbild jetzt mit "Empire Of The Clouds". Trotzdem: Der Song überzeugt über weite Strecken und rundet ein nicht überragendes, aber gutes Album ab, das definitiv seine Wachstumszeit braucht und von dem man wissen muß, was man von ihm zu erwarten hat. Die von Kevin Shirley relativ zurückhaltend produzierte und gemixte Scheibe springt den Hörer jedenfalls definitiv nicht aktiv an (daher die eingangs erwähnte "Vorbeiplätscher-Gefahr"), und wer eine alte Band im ähnlichen Stil, aber mit fast jugendlicher Frische erleben will, ist mit dem neuen Arija-Album "Tscheres Wsje Wremena" deifinitv besser beraten. "The Book Of Souls" hingegen geht als einerseits reifes Alterswerk Iron Maidens durch, das andererseits aber mit dem besagten Finaltrack beweist, daß auch aus dieser Ecke noch die eine oder andere positive Überraschung zu erwarten ist.
Kontakt: www.ironmaiden.com

Tracklist:
CD 1
If Eternity Should Fail
Speed Of Light
The Great Unknown
The Red And The Black
When The River Runs Deep
The Book Of Souls

CD 2
Death Or Glory
Shadows Of The Valley
Tears Of A Clown
The Man Of Sorrows
Empire Of The Clouds
 




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