www.Crossover-agm.de HELL ON WHEELS: There Is A Generation Of Handicapped People To Carry On
von rls

HELL ON WHEELS: There Is A Generation Of Handicapped People To Carry On    (Nons Records)

So schlecht, daß die Bandmitglieder nun mit Pappkartons über den Köpfen durch ihre Heimatstadt Stockholm laufen müßten, ist diese Platte mit dem bandwurmartigen Titel, den ich mich ob der In-Grenzen-Haltung der Reviewlänge weigere auszuschreiben, nun auch wieder nicht. Dementsprechend sind auf den Pappkartons die Konterfeis der Bandmitglieder zu sehen, damit den ursprünglichen Sinn der Kartons konterkarierend, ohne ihn zu persiflieren. Anhand des Bandnamens hatte ich mir zwar prinzipiell andere Musik vorgestellt, aber schon die Optik der auf dem Cover mit den bekannten Kartons in Stehaufmännchenpose abgebildeten Bandmitglieder macht überdeutlich, daß wir hier keine Manowar-Nacheiferer vor uns haben, und auch für kompromißlosen, dreckigen skandinavischen Rock'n'Roll Marke Backyard Babies, vielleicht gar noch mit Highspeed-Attitüde wie The Festermen, sehen Hell On Wheels auch viel zu normal aus. Statt dessen geben die Herren Lindgren (keine Ahnung, ob verwandt oder verschwägert mit Astrid) und Risberg sowie Frau Sohlgren (sie bearbeitet übrigens den Baß sowie das Backingmikro) eher indielastigen Rock'n'Roll von sich. Im Infoblatt fällt dazu der Name The Pixies, und das ist nicht falsch, wenn mir Frank Blacks Solowerke auch als noch stichhaltiger erscheinen. Sollte irgend jemand den Erstling von Tin Machine kennen (das war Ende der 80er ein Bandprojekt von niemand Geringerem als David Bowie), paßt der als Vergleich auch ziemlich gut. Passend zum Fallaub auf dem Cover durchzieht einen Teil der 13 Songs eine herbstliche Atmosphäre, die zwar nie so ausgewalzt wird wie auf dem Lake Of Tears-Geniestreich "Forever Autumn", aber doch rezent spürbar bleibt, auch dann noch, wenn wie in "Power Bubbles" die Gitarre den Kleintraktor anwirft, der das seine Farbe von gold und rot langsam, manchmal auch schnell in braun oder grau ändernde Laub zusammenkehrt und auf den Komposthaufen befördert, wo es als Dünger für die nächsten akustischen Wohlfühler dienen darf. Die bisweilen etwas blecherne Snare sorgt allerdings dafür, daß das Wohlfühlen nicht zum Hinwegschweben führt, wozu einzelne Passagen durchaus Anlaß gäben. Auch der Leadgesang von Herrn Lindgren stört dabei eher, wenn er nicht zufällig gerade den Ohren schmeichelt, sich förmlich in sie einschleicht, was aber ebenfalls nur sporadisch passiert. Hell On Wheels können indielastig powern, aber auch indielastig zurückschalten, und manchmal paßt der Übergang zur Stimmung des Hörers, manchmal eben nicht. So ist das eben mit dem Licht, mahnt die Avantgarde aus der Frösi: Von der Sonne kommt welches, im Kühlschrank brennt aber auch welches. Mitunter knipsen mir Hell On Wheels das eine zu rapide an und das andere entsprechend zu rapide aus, so in der an sich sehr schönen Halbballade "If I Could Hear Your Heart", die gegen Ende eine Portion Steinkohlenenergie verpaßt bekommt, was ihrer Atmosphäre leider eher abträglich ist. Besser kommt da schon "All My Efforts Are Wasted On You", wo auch noch ein Akkordeon für neuartige Töne sorgt. Erstaunlicherweise fällt mir auf (hab's beim Quasi-Titelsong "People To Carry" bemerkt, ist aber nicht nur dort der Fall), daß der Leadgesang mitunter an Wolfgang Lippert (!!!) erinnert. Das soll keine Beleidigung sein, für keine der beiden Seiten, es dürfte auch purster Zufall sein, da ich anzweifle, daß Rickard Lindgren Wolfgang Lippert und/oder Wolfgang Lippert Rickard Lindgren kennt oder sich gar einer am anderen orientiert hat - aber die Ähnlichkeit ist da. Jedenfalls für mich. Obwohl oder gerade weil ich "Erna kommt" & Co. gerade nicht zur Hand habe, um parallel prüfhören zu können. Mindestens genauso paradox ist allerdings der andere Vergleich, der mir zu Rickards Stimme einfällt, jedenfalls in den eher pathetischen Passagen: Marc Distelkamp von Insania steht da am anderen Ende der Tischtennisplatte und spielt sich mit Rickard munter die Bälle zu. Da die beiden Vergleichs-Herren weit außerhalb des Indierockgenres, in das ich Hell On Wheels jetzt einfach mal packen würde, agieren, darf Rickard somit als originell gelten (mit aller gebotenen Vorsicht, da ich nicht den suuupertiefen Einblick in dieses Genre habe). Kann zum Antesten im Plattenladen empfohlen werden, allerdings weiß ich nicht so recht, in welcher Stimmung man sich diesen ersten vollzeitigen Silberling der Schweden am besten gönnen soll. Das Beste kommt bei dieser Platte übrigens ganz zum Schluß: Die Soundwand, die "Nemozob" aufbaut, entläßt den Hörer allerdings auch mit mehr Fragen als Antworten. Und daß Belle & Sebastian die bisherigen Singles von Hell On Wheels mögen, dafür können die drei völlig unnordisch aussehenden SchwedInnen ja nix.




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