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GEVOLT: Sidur
von rls

GEVOLT: Sidur   (Eigenproduktion)

Bekanntlich besteht ja die Hälfte der israelischen Metalszene aus russischen Einwanderern bzw. deren Nachkommen, und so verwundert es nicht, daß man auch im Line-up von Gevolt fast ausschließlich russisch klingende Namen vorfindet und die Lyrics auch in Russisch abgefaßt zu sein scheinen, wenngleich sie im Booklet (das gestaltungsseitig übrigens ein ganz klein wenig an Zdob Si Zdubs "Ethnomecanica" erinnert) in lateinischen Lettern abgedruckt sind und nicht in kyrillischen. Aber Titel wie "Dva Plus Dva", "Yazyk" oder "Pyati Perjyev" beinhalten eindeutig slawische Sprachelemente, und da als Lyriker neben Alleinkomponist Anatoli Bonder noch ein sonst nicht zur Mannschaft zu gehören scheinender Mensch namens Leonid Polonski aufgeführt ist, dürfte sich dieser Verdachtsmoment auch bestätigen lassen. "Sidur" ist das Albumdebüt von Gevolt und läßt in puncto der musikalischen Einflüsse wenig Fragen offen - oder doch? Beim ersten Hören springt einen der Moonspell-Vergleich förmlich an, allerdings bezieht sich dieser nur auf die experimentellere Phase Moonspells, also die Alben nach "Irreligious" und vor "The Antidote". Seine stärkste Manifestation allerdings findet er im Gesang, denn in einigen Stimmlagen ähneln sich Fernando Ribeiro und Anatoli Bonder wirklich sehr - allerdings beileibe nicht in allen, vor allem in den höheren nicht. Und je häufiger man die nur knapp 37 Minuten von "Sidur" hört, um so mehr Elemente entdeckt man, die man aus dem Schaffen von Moonspell so nicht kennt. Zunächst mal haben Gevolt keinen menschlichen Schlagzeuger, sieht man von einem Gastauftritt Oleg Schumskis in "Liturgia (Diya Neyo)" ab, der sich aber soundtechnisch gar nicht so sehr vom Drumcomputer in den anderen Stücken unterscheidet - letztgenannter wurde nämlich recht organisch eingesetzt und klingt nicht vordergründig nach Maschine, obwohl man schon noch deutlich hört, daß es eine ist. Als nächstes fallen die Keyboards auf - auch hierfür haben Gevolt keinen festen Musiker in der Mannschaft (neben Anatoli hat noch Gitarrist Jewgeni Kuschnir im Studio die Tasten betätigt), aber dieses Instrument nimmt einen sehr breiten Raum in den Kompositionen ein, und zwar besonders zur Erzeugung einer spacig wirkenden Atmosphäre. Da blubbert und fiept es im Orbit, daß man als Hawkwind-Freund seine Freude haben müßte, sofern man damit zurechtkommt, daß diese Elemente hier eben nicht zum Selbstzweck eingesetzt werden. Die vier Interludien "Golubj", "Pyatj Mladentzev", "Na More" und "Yazyk" freilich werden von ihnen dominiert, wobei im zweitgenannten Stück der Geigensound auffällt. Geigen gibt es nämlich in zwei anderen Songs auch noch zu hören, dort aber echte, eingespielt von Marina Klinsky. Dazu treten als weitere Gäste noch ein Trompeter und zwei Menschen für klassischen Gesang, einer männlich und einer weiblich. Zwar kommen alle diese Gäste nur punktuell zum Einsatz, aber sie prägen die jeweiligen Songs (die in der Bookletnennung übrigens partiell durcheinandergeraten sind) deutlich und sorgen für eine Klangvielfalt, die Moonspell selbst zu ihren experimentellsten Zeiten fremd war. Trotzdem wirken die Songs nicht zerfasert, man erkennt immer noch einen roten Faden, und es muß somit anderweitig begründet sein, daß Gevolt außerhalb von absoluten Insiderkreisen niemand kennt. Gut, israelische Eigenproduktionen haben naturgemäß einen eher begrenzten Verbreitungsgrad in Deutschland, und auch über den Bekanntheitsgrad in Rußland soll hier nicht spekuliert werden (der allerdings allein sprachbedingt erstaunlich hoch liegen könnte). Negativ bemerkbar bei der Popularisierung macht sich auch das fast völlige Fehlen von eingängigeren Songs - sowas wie Refrains gibt es kaum, der Mitsingfaktor ist sprachbedingt sowieso eingeschränkt, und zum Tanzen auf irgendwelchen WGT-Partys ist das Material, von "Ekh Ma Tru La La" mal abgesehen, das wie Skyclad auf Gothic klingt, auch denkbar ungeeignet. Das stört beim hingebungsvollen Lauschen zu Hause natürlich herzlich wenig, und man entdeckt viel Interessantes - aber dazu muß man Gevolt halt erstmal kennen. Vielleicht taugt "Molotok (Vozzvanie K Arkhontu)" am ehesten als Einstieg - paradoxerweise ist es mit knapp sechs Minuten der längste Song, allerdings auch der nachvollziehbarste (nicht zuletzt dank eines griffigen Metalparts in der Mitte), nicht weit gefolgt allerdings vom erwähnten "Ekh Ma Tru La La", vom relativ hymnischen Closer "Pyatj Perjyev" sowie vom zweitlängsten der Songs, "Liturgia (Diya Neyo)" mit 4:22 Minuten, der tatsächlich so etwas wie einen Refrain mit leicht liturgischem Charakter hat, allerdings auch mit völlig schrägen Trompeten und Violinen im Solo nachhaltig verstört. Dieser Song hätte entstehen können, wenn Paradise Lost mit einer Jazzband jammen, und überhaupt kommen einen in den metallischeren Parts nicht selten Paradise Lost in einer allerdings recht abgefahrenen Spielweise in den Sinn. Generell spielt der Metal aber keine große Rolle, im Zweifelsfalle ließen sich Gevolt eher zum Gothic Rock als zum Gothic Metal rechnen. Für Puristen ist das hier also nichts, aber wem Stromliniengothicrock schon immer zu langweilig war, der könnte hier möglicherweise eine für ihn interessante Band entdecken, und wem Saviour Machine zu pathetisch agieren, der sollte bei Gevolt auch mal das eine oder andere Ohr riskieren.
Kontakt: www.gevolt.net

Tracklist:
Pozdney Nochjyu
Golubj
Molotok (Vozzvanie K Arkhontu)
Pyati Mladentzev
Dva Plus Dva
Dyshi
Yazyk
Liturgia (Diya Neyo)
Na More
Ekh Ma Tru La La
Pyatj Perjyev


 



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