www.Crossover-agm.de DRAGONIA: Blood, Will And Soul
von rls

DRAGONIA: Blood, Will And Soul   (Eigenproduktion)

Kollege Tobias Audersch hatte vor vielen Jahren in einem Review die Frage formuliert, wie viele Bandnamen es denn noch geben könne, in denen der Drache vorkommt. Voilá - hier haben wir eine Variante, die bisher laut der Encyclopedia Metallum noch nicht anderweitig vergeben gewesen war: Die Florentiner Evil Zone beschlossen bei ihrer Reunion 2002, sich nicht wieder so zu nennen, sondern statt dessen die schöne Drachen-Ableitung Dragonia zu wählen. Nun wird der Drache, dieses Symbol der Urangst, im Kontext des italienischen Metals ja gemeinhin mit Rhapsody in Verbindung gebracht, auf deren Coverartworks eine bestimmte Bauweise von ihm eine zentrale Rolle zu spielen pflegte. Welcher metallischen Stilistik sich einst Evil Zone verschrieben hatten, ist dem Rezensenten nicht geläufig, aber Dragonia lassen sich zumindest anhand ihres vorliegenden Debütalbums "Blood, Will And Soul" tatsächlich in das einordnen, was man gemeiniglich unter Italometal zu subsumieren pflegt. Heißt praktisch: Wir hören melodischen und epischen Power Metal mit einer Extraportion Pathos, die sich allerdings gut ins Gesamtbild einfügt und nicht zum Selbstzweck verkommt. Das wirkt prinzipiell nicht neu, aber Dragonia haben dann doch einen eigenen Zugriff auf dieses Genre gefunden. Zum einen arbeiten sie auffällig oft in mittleren Tempolagen, ohne freilich den flirrenden Speed, den man von vielen Landsleuten kennt, ganz zu vernachlässigen, wobei der aber eher Erdenschwere als schwebende Leichtigkeit zu symbolisieren scheint. Auch Akustikparts setzen sie durchaus geschickt ein, wie man beispielsweise in der Bandhymne "Dragonia" eindrucksvoll demonstriert bekommt, wo ein solcher den Mittelteil prägt und in ein sich schrittweise immer weiter steigerndes Gitarrensolo mit sehnsuchtsvollem Unterton mündet. Ihre Neigung zu Balladen wird auch in den beiden Coverversionen des Zwölf-Track-Albums deutlich: Yngwie Malmsteen zu covern ist schon nicht so alltäglich (dem Rezensenten fällt spontan eigentlich nur die Umsetzung von "Rising Force" durch HammerFall ein), aber Dragonia haben sich nicht zufällig eben keinen der metallischeren Tracks vorgenommen, sondern das auch vom "Odyssey"-Album stammende kuschlige "Dreaming", und sie widerstehen der Versuchung, dieses mit so viel Gefühl vollzupumpen, daß man davon förmlich überschüttet wird, aber sie drücken ihm durchaus ihren eigenen Stempel auf, zumal Sänger Massimo Menichetti (hat er frühe gemeinsame Vorfahren mit Dave Meniketti von Y&T?) eine sich vom Original, das in diesem Fall Joe Lynn Turner heißt, durchaus unterscheidende Stimmfärbung einbringt und die Version zudem als reine Akustikfassung daherkommt. Gleiches gilt auch für die andere Coverversion, von der Songwahl her ebenfalls eine Seltenheit: "Arc Of Space" von Bruce Dickinson, original der Closer von dessen "Accident Of Birth"-Album, mit dem er nach mehrjähriger Absenz wieder in den Schoß der metallischen Gemeinde zurückfand, wobei "Arc Of Space" allerdings auch schon im Original eine reine Akustikballade war. Mit der gigantischen Halbballade "Rainbow Of Feelings", die das Album abschließt, beweist das italienische Quartett allerdings, daß es auch Eigenkompositionen dieses Fachs zu meistern versteht.
Das ist aber nur die eine Seite von Dragonias Eigenständigkeit. Auf der anderen Seite spielt Massimo neben Sechssaitern nämlich auch Gitarren mit sieben oder gar acht Seiten, und der Gitarrensound liegt für Italometalverhältnisse somit ungewöhnlich tief, was der Band interessante Kontrastwirkungen ermöglicht, wenn da nach "Dreaming" das Hauptriff von "Ti Uccidero" in finsterster Tiefe loszubrüllen beginnt. Besagter Song ist übrigens in der vorliegenden Promofassung als Bonustrack gekennzeichnet, aber die Encyclopedia Metallum führt ihn trotzdem unter den zehn regulären Songs auf, die dort allerdings in einer anderen Reihenfolge angeordnet sind, während die beiden Coverversionen, die die Promo als weitere Bonustracks nennt, in der Encyclopedia ganz fehlen. Gut möglich, daß es also verschiedene Fassungen des Albums gibt, die zwischen 48 und über 60 Minuten Spielzeit changieren, aber zumindest in den neun "Hauptsongs" übereinstimmen müßten, die allesamt in englischer Sprache betextet sind, während "Ti Uccidero" im heimatlichen Idiom der Band gehalten ist. Sein textlicher Gehalt bleibt also den Kundigen dieser Sprache zu ergründen vorbehalten, während der Rest sich mit den typisch metallischen Themen begnügen muß, die anhand des äußerst manowarkompatiblen Albumtitels und der Songnamen bereits zu erahnen sind. Der Promo liegt kein Lyricblatt bei, aber Massimo singt durchaus verständlich und mit einer oft hohen, aber leicht angerauhten Stimme, wie man sie in ähnlicher Form etwa von Andi Deris kennt. Hier kommt nun aber ein weiterer Originalitätsfaktor zum Tragen: Bassist Marco Menichetti, Massimos Bruder, greift gelegentlich ebenfalls zum Mikrofon und steuert tiefes deathmetallisches Gebrüll bei, das an Tomi Koivusaari zu frühen Amorphis-Zeiten erinnert. Liegt darunter dann auch noch eine Kombination aus den erwähnten tiefen Gitarren und einem markanten Keyboardteppich, sind Amorphis zu "Tales From The Thousand Lakes"- oder "Elegy"-Zeiten auch instrumental nicht mehr weit entfernt, wenngleich sie natürlich aus einer ganz anderen musikalischen Welt kommen und die traditionsmetallischen Parts Dragonias logischerweise jedweden Vergleich mit den Finnen im Keim ersticken. Aber im Kontext des Italometals ist diese Herangehensweise selten - man kennt als Parallele lediglich Crown Of Autumn, wobei sich diese allerdings eher im melodischen Göteborg-Death bedienten. Ähnlich wie diese addieren auch Dragonia noch eine gewisse progressive Komponente, wenn sie manche überraschende Wendung in ihre Songs einbauen und selbst nach der Gewöhnung des Hörers an die Death-Metal-Bestandteile immer noch den einen oder anderen Pfeil im Köcher haben. Das abstrus-geniale Break in "Gods Wish You To Die" ist so schnell wieder verschwunden, daß man sich fragt, ob man das gerade wirklich gehört oder nur geträumt hat, und wenn Keyboarder Lorenzo Coppola in "My Blood" ein zentrales Break noch mit psychedelischem Geblubber ausfüllt, weiß man, daß man sich auch im Rest der Spielzeit noch auf alles mögliche einzustellen hat, worunter gleich das ekstatische und ebenfalls mit einer gewissen psychotischen Note aufwartende Gitarrensolo nur kurze Zeit später zu rechnen ist. Und ausladende Männerchöre muß man auch mögen, will man dem Schaffen Dragonias etwas für sich abgewinnen können. Dem Infoblatt ist nicht zu entnehmen, ob diese natürlichen Ursprungs sind oder von Coppola künstlich erzeugt wurden. Besagter Keyboarder ist übrigens kein Gründungsmitglied von Dragonia, spielte aber mit Drummer Filippo Ferrucci früher bei Weirdream, so daß der Kontakt schon bestanden hat, als nach dem Ausscheiden Lorenzo Cellerinis ein neuer Keyboarder für Dragonia gebraucht wurde. Cellerini bekommt für den Knapp-Achtminüter "Crying Hero (Winds Of Madness)" noch einen Komponistenvermerk, und neben diesem Song ist auch die Bandhymne "Dragonia" bereits relativ frühen Ursprungs - sie stand schon auf dem 2003er Demo "Resurrection", ist auf "Blood, Will And Soul" allerdings in einer remixten Fassung vertreten, während die beiden anderen Demotracks "Survive" und "Heart Glory" in den Archiven verblieben sind. So hat auch der Besitzer von "Resurrection" nach wie vor sein originelles und einzigartiges Schmankerl in der Sammlung, während sich der Normalhörer, der eine relativ eigenständige Fassung des Italometal kennenlernen möchte, dem Album mit großem Interesse nähern wird. Auf der Myspace-Präsenz der Band soll es vor geraumer Zeit sogar die Möglichkeit zum kostenlosen Download gegeben haben, so daß der Interessent erstmal das Netz umgraben kann, ob er diese Datei noch irgendwo bekommt.
Kontakt: www.myspace.com/dragoniaband, www.dragonia.org

Tracklist:
Days Of Sorrow
Gods Wish You To Die
Dragonia (Remixed Version)
Dreaming
Il Uccidero
Crying Hero (Winds Of Madness)
Rise Far Away
My Blood
Arc Of Space
Hate
Forever Night
Rainbow Of Feelings
 




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