DAWN HAWK: Judas von rls (Karthago Records)
War schon der selbstbetitelte Dawn-Hawk-Erstling ein partiell eher seltsames Stück Metal, so trifft dieses Verdikt in noch stärkerem Maße auf den 1992er Zweitling "Judas" zu, und das hat gleich mehrere Gründe. Zum einen entschlossen sich Dawn Hawk, zwei Songs des Erstlings noch einmal zu veröffentlichen, nämlich "Freedom", "Flying High" und "Into The Night". Wenn die Songreihenfolge auf dem vorliegenden Re-Release in der Karthago-Heavy-Metal-Classics-Serie derjenigen des Originalreleases entspricht, steht die Ballade "Freedom" ungewöhnlicherweise am Anfang von "Judas", und sie stellt nicht gerade ein Qualitätszeugnis dar und verlockt nicht unbedingt zum Weiterhören. Das liegt weniger am Songwriting, sondern eher am fürchterlichen Soundgewand: Es knistert und knarrt, die Gitarren sind völlig übersteuert, das Schlagzeug vor allem bei den Becken völlig nervig klirrend, und von den Keyboards, die in der 1990er Fassung eine hübsche Glitzerdecke über alles legten, hört man wenig bis nichts - vielleicht gehen sie auch im sonstigen Geklirr unter. Da zumindest das Schlagzeug in "Flying High" ähnlich klingt, könnte man auf die Idee kommen, diese beiden Songs seien 1992 nicht nochmal neu eingespielt, sondern aus der offenbar 1989 gefahrenen Vorproduktion des Debütalbums übernommen worden, was dann zumindest in diesem Fall auch mit der Datierung von "Judas" auf 1989, die die Encyclopedia Metallum vornimmt, korrespondieren würde. Da im Gegensatz zu den sonstigen Karthago-Classics das Backcover der Originalveröffentlichung nicht mit im Booklet abgedruckt wurde, läßt sich diesbezüglich keine Verifizierung vornehmen. Besagtes "Flying High" hinterläßt übrigens in der hier zu hörenden Fassung einen etwas flüssigeren und logischeren Eindruck als in der 1990er Fassung, wo vor allem der Refrain völlig eingeklebt wirkt. Die Theorie, diese beiden Songs einer anderen Quelle zuzuordnen als die sechs noch auf "Judas" stehenden, beruht auch darauf, daß sowohl das zwischen beiden genannten Nummern stehende "Wonderful World" als auch die hinteren fünf ab "Our Way To Rock" klanglich deutlich anders ausgerichtet sind und von der Klangqualität her deutlich besser abschneiden. Zwar gibt es auch hier noch die eine oder andere Übersteuerung zu beklagen (man höre die Vokalisen in "Our Way To Rock" vor Minute 3 oder die Gitarrenbridge vor der zweiten Strophe von "Keep Moving"!), aber vor allem der Klirrfaktor des Schlagzeugs ist deutlich schwächer ausgefallen ("Keep Moving" und der Titeltrack ausgenommen - hier hören sich die Beckenläufe wie das Zischen einer Nebelmaschine an), und die Gitarren klingen erdiger. "Into The Night", der dritte bereits auf "Dawn Hawk" vertreten gewesene Song (und wieder eine Ballade!), dürfte nach dieser Theorie allerdings nicht der gleichen Quelle entsprungen sein wie "Freedom" und "Flying High", denn sein Klanggewand ähnelt deutlich stärker demjenigen der fünf tatsächlich neuen Songs, könnte also im Zuge von deren Einspielung neu mit aufs Band gebannt worden sein. Generell haben sich Dawn Hawk ein Stück vom Metal wegbewegt und kleiden etwa in "Our Way To Rock" klassische Rock'n'Roll-Strukturen in ein hardrockiges Gewand. In "Wonderful World" bringen sie das Kunststück fertig, das Riff von Black Sabbaths "Headless Cross" zu klauen, den Song an sich aber näher an "Heaven And Hell" oder "Holy Diver" zu positionieren und in Siebziger-Rock-Manier soloseitig immer weiter auszubauen, nachdem die Grundidee erschöpfend behandelt worden ist. Auch "Keep Moving" hält sich im massiven Midtempo, ist aber eindeutig noch als Metal zu klassifizieren, ebenso wie der Titeltrack, der stilistisch etwas aus dem Rahmen fällt, da Frank Noak hier wie ein erkälteter Udo Dirkschneider kreischt, während die Instrumentalisten wieder eine klassische Rock'n'Roll-Struktur metallisieren. Daß das Backcover diese Nummer kurzerhand in "Judas Priest" umtauft, ist hingegen nicht als stilistischer Fingerzeig zu werten. Auch in den anderen härteren Nummern klingt Noak allerdings rauher als vorher, während er in den Balladen eine richtig schöne klare Baritonstimme an den Tag legt. Mit "Love At First Sight" schließt eine solche "Judas" ab und hebt den Balladenanteil damit auf drei Achtel, wobei es sich diesmal um eine komplette Akustikballade handelt, die neben "Into The Night" am stärksten zu gefallen weiß, während man in der Gesamtbetrachtung nicht so richtig weiß, was man von der Platte halten soll, wie das auch schon beim Vorgänger der Fall war.
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