www.Crossover-agm.de DAWN HAWK: Dawn Hawk
von rls

DAWN HAWK: Dawn Hawk   (Karthago Records)

Dieser Falke hob seinerzeit nicht in der Morgendämmerung des deutschen Metals ab, sondern erst, als es schon viel zu spät war: Dawn Hawk aus Essen wurden zwar bereits anno 1982 von den beiden Franks Noak (voc) und Hockemeyer bzw., so sein späteres Pseudonym, Vandevera (g) ins Leben gerufen, nachdem sie von der Band Hopeless Rears, in der sie ein Jahr lang gespielt hatten, gefeuert worden waren. In den Folgejahren ging es ständig bergauf und bergab mit der Band - der Drumhocker war mit Werner Lieder zwar zuverlässig besetzt, aber die Bassisten kamen und gingen, und obwohl das Quartett viele Gigs spielte, kam die Karriere nie richtig ins Rollen. Erst 1990 erschien die selbstbetitelte Debüt-LP - da waren die großen Zeiten des deutschen Achtziger-Metals längst vorbei, und außerdem kam die Platte auf Inline heraus, die schon damals ein wenig abseits der Wahrnehmung guter Teile der Metalszene operierten. Die auf 1000 Exemplare limitierte Scheibe stellte somit auch keinen entscheidenden Karriereschritt dar, entwickelte sich aber in der Folgezeit zum Sammlerstück und erfährt nun folgerichtig einen abermals limitierten Re-Release in der Heavy-Metal-Classics-Serie des Karthago-Labels, womit 500 Menschen die Gelegenheit bekommen, diese Sammlungslücke zu schließen.
Mit Spannung darf allerdings die Frage nach der Zielgruppe gestellt werden. Dawn Hawk waren zwar eindeutig im traditionellen Metal verwurzelt, aber das genügte ihnen offensichtlich nicht, und so versuchten sie auf den 10 Songs des Albums zahlreiche Breaks, Tempowechsel, krumme Taktarten und ähnliche Elemente einzuflechten, die man mit dem Terminus "progressiv" zu umschreiben trachtete. Das einzige Problem, das sich dem Hörer selbst aus heutiger Sicht, ein reichliches Vierteljahrhundert stellt: Sie übertrieben es damit und ließen das Gefühl, wo ein Wechsel Sinn ergäbe und wo er bemüht wirkt, nicht selten vermissen. Man nehme nur mal "Flying High" her: So klasse der hymnische Refrain für sich betrachtet auch ist - er wirkt derart holprig in den Song eingeklebt, daß man auch nach etlichen Durchläufen immer noch mit dem Kopf schüttelt, und das nicht zum Zwecke des Headbangens. Zudem besaß Drummer Lieder einen Hang zum intensiven Einbau von zusätzlichen Wirbeln und anderen Füllelementen, was zwar live tatsächlich das eine oder andere Soundloch zu stopfen füllen geholfen haben könnte - von einer kurzen Phase mit Rolf Matfeld als Zweitgitarrist abgesehen blieb Hockemeyer bzw. Vandevera immer der einzige Gitarrist der Band, und Keyboarderin Kate Bosan blieb nur Gastmusikerin, auch wenn sie hier und da durchaus eine tragende Rolle spielt, etwa in "Freedom", dem ohne die glitzernde Tastendecke sicherlich etwas fehlen würde. Besagter Song ist eine von gleich mehreren Halbballaden auf der Scheibe - für ruhigere Songs hatten Dawn Hawk offensichtlich ein Faible, obwohl der dem etwas unbeholfen wirkenden Intro "Here We Are" mit seinem Titel "Running Wild" etwas anderes verkündet, wobei es sich weder um ein Judas-Priest-Cover noch um eine Hommage an die Elbpiraten handelt. Im luftleeren Raum musizierten Dawn Hawk aber natürlich auch nicht: "Love Is Blind" erinnert an die härtesten Nummern von Kiss, und die treibende Knapp-vorbei-Bandhymne "Nighthawk" findet ihre Verbündeten in der zweiten Reihe des deutschen Melodic Speeds, also Attack oder auch Forced Entry. Ihr instrumentelles Handwerk verstand die Band jedenfalls, auch an Gefühl mangelt es in den Balladen durchaus nicht, und wenn man sich an Noaks leicht nasale, aber durchaus wandlungsfähige Stimme einmal gewöhnt hat, möchte man sie in diesem Kontext hier auch nicht mehr missen. Was man aber eben gerne gehört hätte, wäre etwas mehr, nennen wir es Logik im Songaufbau. So brillant wie das große Speedsolo in "Berlin" getrennt betrachtet auch ist - es wird nicht vorbereitet, und es endet auch einfach so, wirkt somit mühsam in den auch per se schon nervösen Midtempostampfer eingeklebt. Solche Passagen findet man im Material des Albums leider durchaus nicht selten, wo man sich verzweifelt fragt, was sich die Kompositionsfraktion denn hier nun wieder gedacht hat - die geradezu hilflose Aneinanderreihung der treibenden Strophen, der marschtrommelunterlegten Bridge, des wieder schnelleren Refrains und der noch schnelleren Zwischenspiele, verbunden mit mancherlei Drumverschiebung läßt den Hörer mit dem Eindruck zurück, daß hier eine Band mehr wollte, als sie (gedanklich-kompositorisch, nicht instrumentell!) konnte.
Einige Bonustracks bringen den Re-Release auf knapp 76 Minuten Spielzeit - entweder fünf oder sechs. Die Unklarheit ergibt sich aus "Dragon Tears", das auf dem im Booklet abgebildeten Original-Backcover der LP nicht genannt wird, auf dem Backcover des Re-Releases aber auch nicht mit dem für einen Bonustrack stehenden Sternchen gekennzeichnet ist. Einer der im Booklet abgebildeten historischen Zeitungsausschnitte verkündet, daß die LP "Dragon Tears" hätte heißen sollen - vielleicht wurde der Song einfach im letzten Moment gestrichen, weil die so schon 48 Minuten lange LP sonst zu lang für eine Einzelscheibe geworden wäre. Ob er anderweitig schon veröffentlicht wurde, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten, und auch die Quelle der anderen fünf Tracks bleibt unklar: Zwar ist in Stefan Riermaiers Liner Notes vermerkt, diese Tracks stünden erstmals auf einem Tonträger, aber woher sie stammen, wann und mit welcher Besetzung sie aufgenommen wurden, das bleibt unklar - nur Noaks Gesang bleibt natürlich eindeutig identifizierbar und klingt etwa in "Love Is Truth" noch nasaler als auf dem regulären Albummaterial. Aber besagter Song, wieder eine Halbballade übrigens, verdeutlicht, welche Qualitäten Dawn Hawk erreichen konnten, wenn sie eine Songidee von Anfang bis Ende durchexerzierten, ohne irgendwelche seltsamen Wendungen einzubasteln. Und "Warning" will man gerade dafür loben, daß die Drumverschiebungen den Refrain hier nicht nervös machen, sondern aufwerten, da wird Lieder wieder von der Tarantel gestochen, und über ein Break wird wieder so ein für sich betrachtet richtig starkes Speedsolo eingeklebt, das auch durch den Umstand, daß es diesmal eben durch verbreakte Parts eingeleitet und abgeschlossen wird, nicht besser in den Song paßt. Auch in "Raised By Wolves" und dem verhinderten Titeltrack "Dragon Tears" fühlt man sich hin- und hergerissen, bis Dawn Hawk mit dem reinrassigen Speedster "Win Or Lose" abermals beweisen, was sie bei Einhaltung einer gewissen Geradlinigkeit für Kracher schreiben können - wenn da nicht das verunglückte Schlußbreak wäre ... So bleibt ein unentschlossener Gesamteindruck haften, und man weiß nicht so richtig, wem man den Re-Release empfehlen soll, der mit Lyrics (der regulären Albumsongs), diversem historischem Material und Liner Notes karthagotypisch ausgestattet ist.
Kontakt: www.karthagorecords.de

Tracklist:
Here We Are
Running Wild
Flying High
Never
Freedom
Love Is Blind
Going Crazy
Into The Night
Berlin
Nighthawk
Raised By Wolves
Dragon Tears
Love Is Truth
Warning
Win Or Lose
It Will Get You






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