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von rls

CRACK JAW: Branded   (Karthago Records)

Crack Jaw hatten mit SPV eigentlich einen Deal über drei Alben, und nachdem "Nightout" veröffentlicht worden war, gingen sie Ende 1985 ins Studio, um innerhalb von zwei Tagen eine Demoaufnahme für das zweite Album "Branded" einzuspielen. Diese stieß beim Label aber auf wenig Gegenliebe, und nach einigem Hin und Her verschwanden Crack Jaw auf dem Bandfriedhof und das Material in den Archiven - das Masterband der Aufnahmen in dem von SPV, wo es vielleicht noch heute lagert, und eine Kassettenkopie in dem von Managerin Doris Euler. Nachdem Karthago Records bereits "Nightout" in der "Heavy Metal Classics"-Serie neu aufgelegt haben, entstand nun die Idee, der geneigten Anhängerschaft auch das "Branded"-Material zugänglich zu machen. Ob ein Versuch unternommen wurde, das SPV-Band zu finden und als Quelle zu verwenden, ist dem Rezensenten nicht bekannt - "Branded" in der nun vorliegenden Form beruht auf der Kassette aus dem Archiv der Managerin, und da die zehn Songs zwar digitalisiert, aber nicht weiter bearbeitet wurden und damals in den Achtzigern in dieser Form ja auch nie veröffentlicht worden waren, wird der Release (ein Re-Release ist es ja eigentlich nicht) in die Reihe "Heavy Metal Demo Classics" einsortiert, deren dritten Teil er bildet.
Hört man die zehn Songs mit dem heutigen Wissen der musikalischen Entwicklung, so ahnt man vielleicht, warum SPV damals nicht so richtig anbeißen wollten: 1986 tobte längst der Kampf zwischen Härtnern und "Posern", und Crack Jaw hätten mit ihrem traditionellen Metal mitten zwischen diesen Stühlen gesessen, auch wenn einzelne Bands aus dieser "Mitte" durchaus noch große Erfolge einfahren konnten, wie man an Helloweens "Keeper"-Alben bemerkte, während SPV mit härteren Bands wie Sodom erstaunlich gute Resonanzen ernten konnten. Vielleicht gab es auch noch andere Gründe, von denen der Außenstehende nichts weiß und auch im gewohnt informativen Booklet nichts zu erfahren bekommt. Crack Jaw bewegten sich jedenfalls in den zehn Songs zwischen Melodic-Speed-Anflügen wie im nicht mal dreiminütigen "Metal Master", ihrem gewohnten variablen Midtempo-Traditionsmetal und einigen leicht progressiv anmutenden Anflügen, wenngleich sie es z.B. in "Hellkids Of Rock" wieder mal übertreiben - der plötzliche Übergang aus dem Intro in den eigentlichen Song mutet völlig überhastet an, während der halbakustische Bridgeteil später durchaus gekonnt eingeflochten wurde. "Trojan Horse" wiederum läßt im epischen Mittelteil Iron Maiden als großes Vorbild durchscheinen (insgesamt der wohl stärkste Song der Scheibe), und "Long Cold Lonely Nights" beweist, daß die Band auch im Melodic-Rock-Fach fähig war. Da es sich nur um Demoaufnahmen handelte, fehlen zudem Keyboards und weitere Zutaten - in welchem Maße Crack Jaw solche für die Finalversionen vorgesehen hatten, bleibt aus heutiger Sicht natürlich spekulativ, aber auf "Nightout" fanden die Tasten ja durchaus an markanten Stellen Einsatz, und so bekommt man anhand der Demoaufnahme vielleicht einen etwas rauheren Eindruck von den zehn Songs, als er letztlich geplant war. Das Interessante: Die zehn Songs funktionieren auch in den "Basisversionen" überwiegend problemlos, und mancher Purist wird diese sogar vorziehen. Und noch ein Kuriosum: Stephan Kiegerl, der beim Einsingen von "Nightout" durch eine Erkältung gehandicapt war, singt in dieser Demoaufnahme keineswegs schlechter als auf dem Albumvorgänger, und somit könnte man die Hypothese aufstellen, daß er sich noch hätte steigern können, wenn es zu einer "richtigen" Studioaufnahme gekommen wäre, auch wenn zu diskutieren bliebe, inwieweit er den Status des schwächsten Gliedes in der Bandmitgliederkette (und die Instrumentalisten erweisen sich auch diesmal wieder als sehr fähig - man höre nur mal die barocken Anklänge der Leadgitarre im Intro von "Wayside Icon"!) hätte relativieren können.
Neben den zehn Originalsongs enthält die CD (ausgestattet übrigens mit einem Coverartwork Marke "S.D.I. in lieblich") noch sechs Bonustracks. Wie schon beim "Nightout"-Re-Release sind auch diesmal zwei neu eingespielte Tracks hinzugefügt worden, die diesmal anhand der Liner Notes aber relativ klar als Neukompositionen aus der seit 2012 währenden aktuellen Aktivitätsperiode der Band identifiziert werden können. Kiegerl klingt auch hier leider eher angestrengt, obwohl er sich in der Akustikballade "Breaking Away" tapfer schlägt, während leichte harmonische Parallelen des Refrains von "Stories" zu Limahls "Neverending Story" vermutlich purer Zufall sein dürften. Dazu gibt es unter der Überschrift "New Sounds 2016" noch vier weitere Bonustracks. Die Herkunftsstruktur der ersten drei ist klar: Von "Beyond The Border", "Trojan Horse" und "Wayside Icon" wurden die Aufnahmen noch einmal soundlich nachbearbeitet, um sie einem vermuteten aktuellen Standard anzugleichen - es wird freilich Geschmackssache bleiben, welche der beiden Fassungen der Hörer vorzieht, denn das Originalklangbild ist für eine Demoaufnahme, für die gerade mal zwei Tage zur Verfügung standen, aller Ehren wert, und es gibt heute Bands, die sich mit viel Mühe und Aufwand genau so ein Klangbild zurechtschneidern lassen. Natürlich klingen die Neubearbeitungen fetter und rauschärmer, aber man hört ihnen zugleich an, daß es eben historisches Material ist, was als Dichotomie nicht jedem gefallen wird (man achte mal genau auf die Drums in "Trojan Horse", während dieser Faktor dort in den Gitarren weniger ins Ohr fällt als etwa in denen von "Beyond The Border"). Unklar hingegen bleibt der Status des finalen "Casual Matters", das laut den Liner Notes ebenfalls zu den soundlich nachbearbeiteten Songs gehören soll - aber in der Zehn-Track-Demoaufnahme gibt es gar keinen solchen Song. Entweder diese enthielt also noch mehr Tracks, die aber aus irgendwelchen Gründen nicht auf die CD übernommen wurden (Platzgründe dürften es nicht gewesen sein - die Laufzeit in der vorliegenden Form liegt bei reichlich 67 Minuten), oder der Song stammt doch irgendwo anders her. Diese Frage muß vorläufig offenbleiben (die auch in der bearbeiteten Variante noch deutlich hörbaren Bandlaufschwankungen lassen ersteres Szenario und eine Entscheidung aus technischen Gründen vermuten), aber die Frage, ob sich der Freund des Mittachtziger-Melodic Metals "Branded" zulegen sollte, darf getrost bejaht werden - für denjenigen, der "Nightout" mochte, ist die "neue" Scheibe sowieso Pflicht.
Kontakt: www.karthagorecords.de

Tracklist:
Beyond The Border
Trojan Horse
Branded
Rainbow Cruise
Wayside Icon
Metal Master
Hellkids Of Rock
Touch And Burn
Long Cold Lonely Nights
Allied
Stories
Breaking Away
Beyond The Border
Trojan Horse
Wayside Icon
Casual Matters



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