www.Crossover-agm.de CRACK JAW: Nightout
von rls

CRACK JAW: Nightout   (Karthago Records)

Daß auch ein Deal bei einem etablierten Label nicht automatisch zu größerem Erfolg führt, mußten in den Achtzigern Crack Jaw erkennen, deren Debütalbum "Nightout" immerhin bei Steamhammer/SPV herauskam und auch musikalisch bestens in den 1985er Zeitgeist paßte: Typisch deutscher Traditionsmetal erklang auf den insgesamt zehn Songs, im bunten Wechsel zwischen schnellen und mittelschnelleren Nummern, dazu gekonnt instrumentiert - die beiden Gitarristen Holger Eckstein und Jürgen Schulz-Anker verstanden nicht nur ihr Handwerk, sondern wußten mit pfeilschnellen Soli wie im Titeltrack oder doppelläufigen Melodieparts wie im Instrumental "Saracen", das die B-Seite der LP einleitet, durchaus Begeisterung beim Hörer hervorzurufen. Seltsamerweise spielten Crack Jaw diesen Trumpf nicht verstärkt aus, sondern arrangierten ihre Songs eher kompakt: Vom sechsminütigen Albumcloser "Seven Days Of Wonder" abgesehen, schafft es kein Song über die Vierminutenmarke, so daß die eine oder andere Songidee möglicherweise noch nicht ganz ausgereizt wurde. Andererseits hat eine fokussierte Herangehensweise ja auch etwas für sich, und indem Crack Jaw beispielsweise "New Tomorrow" mit einem ausführlichen Zwischenspiel zwischen dem ersten Refrain und der zweiten Strophe ausstatteten, brachen sie auch gelegentlich aus den üblichen Songschemata aus. Hier und da übertrieben sie es gar, was dem plötzlichen Abstoppbreak in "Make Me Believe" einen etwas holprigen Charakter verleiht. In den meisten Fällen klappt der kontinuierliche Energietransport auch über Tempowechsel hinweg problemlos - höre als Exempel die verlangsamte Bridge im sonst flotten "Never Tell No Lie" oder das nochmals beschleunigte Solo im gleichen Song. Es muß also andere Gründe gegeben haben, warum aus Crack Jaw langfristig nichts wurde. Einer davon steht am Mikrofon: Stephan Kiegerl war nach den Angaben in den Liner Notes während der Studiozeit stark erkältet - und das glaubt man angesichts der Gesangsleistung auf "Nightout" gern: Stephan klingt nicht wirklich schlecht, aber stark limitiert und fällt gegenüber den spielintelligenten Gitarren deutlich ab. Man glaubt gerne, daß er unter normalen Umständen viel überzeugender gewesen sein könnte - aber das ist für all diejenigen, die die Band nicht aus anderer Quelle kannten, sie also schon live erlebt hatten oder das 1983er Vier-Song-Demo oder den "Rockactive I"-Sampler aus dem gleichen Jahr besaßen (auf letzterem stand "Breaking The Oath", der allererste im Studio festgehaltene Crack-Jaw-Song überhaupt), natürlich irrelevant gewesen, da sie nur die Leistung auf der LP bewerten konnten. Nächstes Problem war, daß "Nightout" mit "The Change" eröffnete, einer zurückhaltenden Midtemponummer, die außerdem noch in markanter Weise Keyboards einsetzte und damit gleich in zwei Komponenten bei den damals nach Speed lechzenden und Keyboards als Verrat am Heavy Metal einstufenden Headbangern (wir befinden uns wohlgemerkt im Jahr vor Priests "Turbo" und Maidens "Somewhere In Time") in Ungnade fielen, auch wenn etwa der speedige Titeltrack gleich an zweiter Position den allgemeinen Ansprüchen deutlich besser gerecht wurde. Interessanterweise wollte die Band das Album sogar "The Change" nennen und es mit einem harten Coverartwork versehen (ein Mädchen verwandelt sich im Spiegel in einen Werwolf), aber SPV lehnte diese Idee ab, und so wurde "Nightout" zum Titeltrack erkoren und eine "neutrale" Großstadt-Nachtaufnahme als Cover gewählt, also in genauer Umkehrung des ursprünglich angedachten Prinzips. Damit freilich erschwerte man dem potentiellen Käufer die Herangehensweise noch einmal - zwar sah das Bandlogo metallisch gezackt aus, aber der Rest des Covers eben nicht, und wenn man dann noch die beiden unterschiedlichen Opener heranzieht, wird die Verwirrung komplett. Besetzungswechsel und ein neues, aber unfähiges Management warfen die Band dann zurück, sie verlor den eigentlich über drei Alben abgeschlossenen SPV-Deal, machte unter dem Namen Skin Deep weiter, aber auch das führte letztlich zu nichts, und erst 2012 fand die Band wieder zusammen, übrigens in kompletter Originalbesetzung, und spielte auch neues Material ein.
1990 war "Nightout" schon einmal als CD erschienen, damals allerdings irrtümlich mit einem frühen, von der Band nicht autorisierten Mix - der nun in der Reihe der "Heavy Metal Classics"-Serie des Karthago-Labels vorliegende Re-Release basiert hingegen auf dem Mix der Original-LP. Ausstattungstechnisch weiß man mit ausführlichen Liner Notes und Dutzenden Fotos hoch zu punkten, und daß die Musik, vom Gesang abgesehen, ebenfalls überzeugen kann, ist in der bisherigen Schilderung ja bereits angeklungen. Mit "Galley Of Aim" und dem erwähnten "Seven Days Of Wonder" unternahmen die Randfrankfurter sogar zaghafte Schritte in Richtung Progressive Metal, der damals noch in den Kinderschuhen steckte - das ätherische Zentralbreak von "Galley Without Aim" (ein schon 1983 auf dem Demo vertreten gewesener Track!) hätten Fates Warning auch nicht anders gestaltet, aber die hatten 1983 noch gar keinen diesseits des Atlantiks vernehmbaren Ton von sich gegeben! Und diverse Harmoniewechsel in "Seven Days Of Wonder" sollten auch erst geraume Zeit später salonfähig werden, so daß Crack Jaw mit diesen Songs ihrer Zeit sogar etwas voraus waren, während sie aber auch dem Freund geradlinigen Metals mancherlei Interessantes zu bieten hatten.
Drei Bonustracks runden den Re-Release ab, von denen die ersten beiden anno 2014 eingespielt wurden. "Helluva Sound" ist dabei der einzige der vier 1983er Demotracks, der nicht für "Nightout" neu eingespielt worden war ("New Tomorrow", "Never Tell No Lie" und wie erwähnt "Galley Without Aim" waren die drei anderen), "Still Wanna Rock" ist herkunftsseitig nirgendwo verifiziert, könnte also sowohl eine Neueinspielung einer alten Nummer als auch eine Neukomposition sein (die Lyrics lassen letzteres wahrscheinlicher erscheinen). Speed gibt's hier keinen mehr, beide Nummern bleiben im Midtempo und machen zugleich leider wieder den Gesang als Schwachpunkt deutlich: Wie Kiegerl sich in die Höhe des Refrains von "Still Wanna Rock" hochquält, hört man mit gewissem Unbehagen, auch wenn er in den tieferen Lagen eine achtbare Leistung bringt. Die These, er sei früher nur durch die Erkältung gehandicapt gewesen, findet in "Breaking The Oath" allerdings keinen Widerhall: Im speedigen alten Samplerbeitrag, der den 46minütigen Re-Release abschließt, klingt er genauso limitiert wie später bei den Albumaufnahmen. Schade drum - er war das schwächste Glied in dieser Riege von Könnern. Allein aufgrund der Instrumentalarbeit aber lohnt sich der Erwerb von "Nightout" für Leute, die deutschen Achtziger-Metal mögen und in dessen Kontext ganz zarte Prog-Pflänzchen entdecken wollen, definitiv.
Kontakt: www.karthagorecords.de

Tracklist:
The Change
Nightout
Make Me Believe
New Tomorrow
Never Tell No Lie
Saracen
Danger
Galley Without Aim
Struck By Thunder
Seven Days Of Wonder
Helluva Sound
Still Wanna Rock
Breaking The Oath
 




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