www.Crossover-agm.de
BARREN EARTH: Curse Of The Red River
von rls

BARREN EARTH: Curse Of The Red River   (Peaceville)

Olli-Pekka Laine spielte bis 2000 Baß bei Amorphis, und in der Zeit seither hatten sich offensichtlich etliche Songideen angesammelt, die nicht so richtig zu seinen anderen Bands passen wollten, aber dennoch nicht in der Schublade verschimmeln sollten. Ergo gründete er eine neue Band namens Barren Earth, für die man im finnischen Kontext den Terminus Supergroup verwenden müßte. Die vollständige Liste der Parallelbeschäftigungen der Mitmusiker kann bei Interesse auf www.metal-archives.com eingesehen werden, die folgende Aufzählung beschränkt sich auf die jeweils bekannteste Tätigkeit: Marko Tarvonen (dr, Moonsorrow), Mikko Kotamäki (voc, Swallow The Sun), Janne Perttilä (g, Moonsorrow), Sami Yli-Sirniö (g, Kreator) - und dann wäre da noch Kasper Martenson an den Keyboards, der Mann, der weiland mit seinem Spiel maßgeblichen Anteil daran hatte, daß "Tales From The Thousand Lakes" der Klassiker geworden ist, als der er im Schaffenskontext Amorphis' heute angesehen wird. "Curse Of The Red River", das Full-Length-Debüt von Barren Earth, bringt nun das Kunststück fertig, wie eine konsequente Weiterentwicklung von "Tales ..." zu klingen. Das tat weiland das "Elegy"-Album auch, aber mit diesem betraten Amorphis Neuland, während die Entwicklung mittlerweile bekannt ist. "Curse ..." positioniert sich somit selbstbewußt in der Nähe von "Elegy", ohne selbiges aber komplett zu kopieren. Klar, viele Elemente finden sich auf beiden Alben wieder - wer bei der Leadgitarre bei Minute 1:50 im eröffnenden Titeltrack "Curse Of The Red River" nicht "Amorphis!" ruft, muß gehörkrank sein, und das Keyboardsolo in "Forlorn Waves" wäre fast als "Black Winter Day", Part II zu deklarieren, sowohl vom Dreiertakt als auch von der Melodie und der gewählten Klangfarbe her. Aber Barren Earth bringen das Kunststück fertig, den Entwicklungsschritt von "Tales ..." zu "Elegy" teils nur in halbem Umfang, teils aber auch verdoppelt zu absolvieren. Soll heißen: Vor allem in den Vocals Mikkos ist der Death Metal-Einfluß noch deutlich stärker erhalten geblieben (sie wurden zwar leicht in den Hintergrund gemischt, entfalten aber dadurch ein noch stärkeres bedrohliches Potential und sind auch generell etwas harscher ausgefallen als die von Tomi Koivusaari), und auch einige musikalische Bestandteile atmen noch intensiver diesen alten Geist - hört man beispielsweise die Passage um Minute 3 in "Flicker", fühlt man sich gar zum "Karelian Isthmus" versetzt. Auf der anderen Seite aber setzen Barren Earth auf Siebziger-Einflüsse und Akustikpassagen in einem Umfang, wie Amorphis sich das damals schlicht und einfach noch nicht trauten. Ein Übergang in einen tropfenden Klavierpart, dem entspannte, leicht angefolkte Passagen mit violinen- und mandolinenartigen Klängen folgen, wie "Flicker" das nach der Wiederholung des erwähnten harschen Parts vorexerziert, wäre vor reichlich anderthalb Jahrzehnten noch nicht denkbar gewesen, wenngleich Opeth zu dieser Zeit im Proberaum schon mit solchen Brüchen experimentierten. In diesem Kontext können wir uns also glücklich schätzen, im "Anything goes"-Zeitalter zu leben, in dem solche reizvollen Klangmixturen eine völlige Selbstverständlichkeit darstellen. Und was Barren Earth in den 54 Minuten ihres Debütalbums (vorher gab es schon eine Vier-Song-EP namens "Our Twilight", von der es lediglich der Titeltrack auch auf "Curse Of The Red River" geschafft hat) exerzieren, das ist vielschichtige Metalkunst der ganz großen Sorte und dürfte bei vielen Hörern, die das gängige Schubladendenken satt haben, in der Jahresendabrechnung ganz weit vorn landen. Das Booklet gibt übrigens keine Auskunft, ob Mikko sowohl für die harschen als auch für die cleanen Vocals zuständig ist - letztgenannte sind in der Klangfarbe den diversen Amorphis-Cleansängern durchaus nicht unähnlich. Was Amorphis übrigens damals (und partiell bis heute) nicht eingesetzt haben, aber im Kontext von Barren Earth aufscheint, sind speziell zwei Elemente des Titeltracks: Eines seiner Riffs wurde derart tiefergelegt, daß es stilistisch eher an den sumpfigen New Orleans-Doom erinnert, und dann findet sich dort auch noch ein ausgedehntes Flötensolo von Erno Haukkala, das sich bestens in den Seventies-Kontext einfügt, wobei Experimente mit Blasinstrumenten im Amorphis-Kontext nichts prinzipiell Neues sind (man erinnere sich an das Saxophon in "Veil Of Sin"!). Die neun Songs brauchen definitiv etliche Durchläufe - daß sich hier etwas durchaus als genial zu Bezeichnendes verbirgt, merkt man zwar schon nach dem ersten Hören, aber die Erschließungsarbeit geht nicht unbedingt leichtfüßig vonstatten. Neben einprägsamen Gesangs-, Gitarren- und Keyboardmelodien helfen aber auch einige geradlinige bangkompatible Passagen, etwa im Hauptteil von "Cold Earth Chamber", der überraschend lange ohne einen Rhythmuswechsel auskommt und witzigerweise im zentralen Hauptbreak ein Riff offenbart, das dem rhythmusgebenden Riff von Survivors "Eye Of The Tiger" ähnelt. Wenn daraus dann um Minute dreieinhalb auch noch ein großer Bombastrocker entsponnen wird, nur um nahtlos in einen Halbakustikpart überzugehen, der sich wiederum in ein episches Gitarrensolo aufschwingt, und das alles auch noch so logisch funktioniert, als gehöre es zu den gängigsten Songwritingformeln des metallischen Kosmos, dann ist einem klar, daß man hier einen wahren Schatz vor sich hat, der selbst das hohe Niveau, das man aus Finnland eigentlich gewöhnt ist, noch bedenkenlos toppt. Da dürfte selbst der disharmonische Gongschlag am Beginn der das Album abschließenden Hymne bzw. Halbballade "Deserted Morrows" eine explizite Funktion ausüben, und solcherart Fragen stellen sich in der Spielzeit mancherlei, denen man dann mit hohem Erkenntnisgewinn und natürlich Genußfaktor nachgehen kann. Wem neue Opeth-Alben mittlerweile zu sehr des Überraschungseffektes entbehren, der sollte sich "Curse Of The Red River" auf alle Fälle zulegen, und daß besonders alte Amorphis-Anhänger sowieso zugreifen müssen (und sich nach dem Hören um anderthalb Jahrzehnte verjüngt fühlen), sollte keiner zusätzlichen Erwähnung mehr bedürfen.
Kontakt: www.barrenearth.com, www.peaceville.com

Tracklist:
Curse Of The Red River
Our Twilight
Forlorn Waves
Flicker
The Leer
The Ritual Of Dawn
Ere All Perish
Cold Earth Chamber
Deserted Morrows



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver