www.Crossover-agm.de ASIA: Anthology
von rls

ASIA: Anthology   (Inside Out/SPV)

Gewisse Kreise mögen behaupten, eine Best Of von Asia herauszubringen sei gar nicht nötig; man könne statt dessen auch gleich das selbstbetitelte Debütalbum auflegen. Vom pekuniären Standpunkt her haben solche Menschen sicher recht, aber sie verkennen in künstlerischer Hinsicht zweierlei: Erstens standen auch auf besagtem Debütalbum einige Songs, die gleicher waren als die anderen gleichen, und zweitens hat die Truppe natürlich auch auf den Folgealben noch reihenweise Klassetracks ausgepackt, wenngleich der immense Verkaufserfolg des Debüts niemals wiederholt werden konnte. Und eigentlich ist die hier angestellte Betrachtung zumindest teilweise etwas müßig, denn bei "Anthology" handelt es sich nicht um ein Best Of-Album im eigentlichen Sinne (was aufgrund businesstechnischer Gründe vermutlich auch nicht so einfach wäre - keine Ahnung, was die Verantwortlichen beim Rechtsnachfolger von Geffen, die die Achtziger-Alben bis einschließlich der Halb-Best Of "Then And Now" von 1990 rausbrachten, für die Veröffentlichungsrechte dieser alten Songs haben wollen, aber die Summen dürften nicht gerade gering sein), aber auch nicht um ein richtiges neues Album, sondern nach der archäologischen Veröffentlichung "Archiva 1" aus dem Jahre 1996 (die wiederum dem regulären "Arena"-Album im geringen Zeitabstand nachgefolgt war) um einen weiteren Zwischendurch-Release aus dem Jahre 1997, der witzigerweise laut Sänger John Payne eigentlich von einem Menschen bei MCA/Geffen angeregt worden war, bis sich irgendwie herausstellte, daß ein guter Teil des alten Originalmaterials aus rechtlichen Gründen nicht hätte verwendet werden dürfen. Folglich verfiel man auf eine im künstlerischen Sinne originelle und interessante Idee, nämlich die alten Songs aus der Ära John Wetton mit John Payne und den anderen seinerzeit aktuellen Asia-Mitgliedern neu einzuspielen, um somit eine Art Komplexbild der Band, aber von der seinerzeit aktuellen Warte aus, zu erstellen. Live hatten Payne und die wechselnden Begleitmusiker (Keyboarder Geoff Downes bleibt bis heute die einzige Konstante der kompletten, nun schon über 20jährigen Bandgeschichte) die Oldies ja sowieso schon im Gepäck, also lag die Idee der Erstellung neuer Studioversionen nicht so weit im Abseits. Konkret getroffen hat's "Don't Cry", "Only Time Will Tell", "The Heat Goes On", "Go" und natürlich "Heat Of The Moment" - keine auswahlseitigen Überraschungen also, und auch die konkrete musikalische Umsetzung sollte niemanden überraschen, der die Truppe in der Neuzeit mal live gesehen hat oder aber das "America"-Livealbum aus dem Jahre 2002 besitzt, denn die Arrangements (was beispielsweise die Gewichtung der einzelnen Instrumentalparts untereinander betrifft oder die Wahl bestimmter Sounds für bestimmte Parts) unterscheiden sich geringfügig von den 80er-Originalen, weisen aber im Direktvergleich der "America"-Liveversionen und der auf dieser CD zu hörenden Studiovarianten eine erstaunlich große Homogenität auf. Das gilt auch für die wenigen Schwächen dieser Neueinspielungen, die dafür sorgen, daß ich im Direktvergleich den Originalen den Vorzug gebe, wenngleich auch die neuen Versionen definitiv mindestens als gutklassig bezeichnet werden dürfen. Das Gitarrenintro in "Don't Cry" beispielsweise beweist die mal in einem völlig anderen Zusammenhang getätigte Liveansage von Blind Guardian-Fronter Hansi Kürsch, daß man magische Momente gewöhnlich nicht wiederholen kann (das neue ist keinesfalls schlecht, aber diesen eskapistischen Unterton, den Steve Howe ins Original gelegt hat, hat der in der neuen Version auch Gitarre spielende John Payne nicht hinbekommen), "Go" entbehrt ein klein wenig die Spritzigkeit des Originals, und der Übergang vom Songintro in den ersten Stropheneinleitungspart in "The Heat Goes On" holpert temposeitig irgendwie leicht. Unter den zwölf anderen Songs der hier vorliegenden Re-Release-Version von "Anthology" (beim 1997er Originalrelease hätte an dieser Stelle das Zahlwort "elf" auftauchen müssen) befinden sich acht Übernahmen der drei bis 1997 releasten regulären Alben des Downes-Payne-Line ups (an denen dürfte, wenn ich das richtig im Gehör habe, nichts weiter verändert worden sein, der Re-Release weist lediglich noch ein digitales Remastering auf) und dann letztlich doch noch vier Überraschungen. Betrachten wir zunächst die Direktübernahmen: "Aqua" stellt drei Tracks, darunter "Aqua Part One", das eigentlich nur ein schönes atmosphärisches Intro zu "Who Will Stop The Rain?" darstellt - damals die Begrüßer auf "Aqua" und damit die ersten Tracks, die die geneigten Asia-Fans 1992 von der neuen Besetzung zu hören bekamen. Das Urteil fällt folgendermaßen aus: Geringfügig anders, aber immer noch klasse. Dritter vertretener "Aqua"-Track ist "Someday", auch ein starkes Stück, dessen Strophe mit verändertem Sound beinahe auf Black Sabbaths "Heaven And Hell" gepaßt hätte und das mit den kurzen "And you - and you"-Backings im ersten Chorus sogar noch ein Showelement aus dem Fundus Ronnie James Dios adaptiert, während man die Solokeyboards soundlicherseits später auf Ayreons "Universal Migrator" wiederfinden sollte. "Aria" aus dem Jahre 1994 steuert ebenfalls drei Tracks bei, nämlich den damaligen Opener "Anytime", den man auch als Single auskoppelte und der etwas schwer anläuft, aber dann doch noch zündet, das straight marschierende "Military Man" und die gute, aber nicht weiter auffallende Halbballade "Feels Like Love" (eine "Balladenband", die nur aufgrund ihrer kuschlig-massenkompatiblen Tracks großen Erfolg hatte, waren Asia ja nie). Zwei Jahre später kam "Arena" heraus und trägt das etwas ruhigere "Two Sides Of The Moon", das abgefahrenerweise einen Reggae-Schlußpart besitzt, der nicht aufgesetzt oder eingeklebt wirkt, und den bombastischeren Titeltrack (der allerdings immer noch weniger Bombast auffährt als die Achtziger-Werke) bei. Von den Überraschungen letztlich wartet die erste gleich als Opener von "Anthology": Geoff Downes lotste den Track "The Hunter" aus dem Repertoire von GTR zu Asia herüber. (Kurze rockhistorische Abzweigung: GTR waren so etwas wie die theoretischen Statusnachfolger von Asia, nämlich eine weitere AOR-Supergroup, bei der Asia-Gitarrist Steve Howe ebenfalls dabei war und Geoff Downes als Songwriter - u.a eben für "The Hunter" - und Produzent fungierte; der Rest bestand aus Sänger Max Bacon von Nightwing, Gitarrist Steve Hackett von Genesis, Drummer Jonathan Mover von Marillion, den später Saxons Nigel Glockler ersetzte, und Bassist Phil Spalding, den ich spontan nicht einordnen kann. Nach einem selbstbetitelten Album war allerdings schon wieder der Ofen aus; ob das seinerzeit noch eingespielte, aber aufgrund der Auflösung nicht mehr veröffentlichte zweite Album mittlerweile doch noch irgendwie das Licht der Welt erblickt hat, weiß ich nicht.) Sollte der Rest von "GTR" allerdings ebenso unauffällig wie "The Hunter" ausgefallen sein, erscheint der Untergang nicht als explizites Wunder. Da ist die zweite Überraschung "Reality" schon von anderem Kaliber. Die stand im Original nämlich nur auf "Archiva 1", wurde während der "Aria"-Sessions geschrieben und bleibt durch den experimentellen Vocoder-Refrain im Gedächtnis haften. Dritte Überraschung ist "Different Worlds", ein damals neuer Song (also Baujahr 1997) aus der Downes-Payne-Schmiede, der die 90er-Asia-Linie kompromißlos fortsetzt und eine recht entspannte Strophe mit einem Bombastrefrain koppelt. Ob der Track dann noch auf "Archiva 2" oder einem der folgenden, nicht in meinem Besitz befindlichen Studioalben gelandet ist, weiß ich nicht. Bonus des 2005er Re-Releases, der die Spielzeit bis auf 79:30 min schraubt, ist ein Akustikmitschnitt des Duos Payne/Downes aus einem Radiostudio in Washington D.C. anno 2003, wo die beiden eine interessante Version von "Time Again" zum besten geben, die bis auf den Text, einige Teile der Gesangsmelodie und die markante Keyboardlinie nicht mehr viel vom Original hat. Das Booklet bildet u.a. noch ein Werbeblatt für die seinerzeitige Japan-Pressung von "Anthology" ab, wo man überrascht feststellt, daß das Tracklisting doch ein gehöriges Stück von der Europaversion abweicht (u.a. sind "Heat Of The Moment" und "Only Time Will Tell" parallel auch nochmal in den alten Versionen vertreten, dazu kommen "That Season" - woher stammt das gleich noch? - und "Heart Of Gold" - in den "Aqua"-Sessions aufgenommen, aber nicht auf dem regulären Album, sondern nur irgendwo mal als Bonustrack und letztlich noch auf "Archiva 1" gelandet -, die auf der Europapressung fehlen - die Japaner dagegen mußten ihrerseits ohne "Anytime", "Arena", "Aqua Part One", "Reality" und "Feels Like Love" auskommen, so daß sie unterm Strich nur 15 Tracks bekamen, die Europäer damals dagegen 16).
Kontakt: www.insideout.de, www.asiaworld.org

Tracklist:
The Hunter
Only Time Will Tell
Arena
Anytime
Don't Cry
Aqua Part One
Who Will Stop The Rain?
The Heat Goes On
Two Sides Of The Moon
Reality
Go
Feels Like Love
Someday
Heat Of The Moment
Military Man
Different Worlds
Time Again (Acoustic)

 




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