www.Crossover-agm.de ARILYN: Virtual Reality
von ta

ARILYN: Virtual Reality   (quiXote-music)

Meine Güte, habe ich verbohrter Kerl für diese CD Zeit gebraucht! Die ersten Hördurchläufe gestalteten sich etwas frustrierend, weil die Elemente, aus denen sich der Sound von Arilyn zusammensetzt, nämlich sphärischer Artrock und simpler Pop, sich nicht so glatt vereinigten, wie ich es mir anfangs erhofft hatte, aber jetzt, d.i. etwa nach dem zehnten, elften Durchlauf von "Virtual Reality", komme ich - obwohl ein gewisser Prozentsatz der skizzierten Kritik erhalten bleibt - nicht darum herum, der Band ein Gespür für griffige Songs, tolle Melodien, stimmungsvolle Effekte, kurz: tolle Musik zu attestieren, die stilistisch an vielen Stellen soweit von neueren Marillion gar nicht mehr entfernt ist, auch wenn die Verzahnung der Einzelelemente noch nicht so kongenial wie bei den großbritannischen Trauerweiden verläuft, aber dafür sind Arilyn ja auch noch nicht beim vierzehnten, sondern erst beim zweiten Album ihrer Karriere angelangt. Mit einem Göttersong wie dem Opener "Chaos", der neben warmen Synthieteppichen und guten Soli auch noch eine Mega-Hookline enthält, sind sie aber auf dem besten Weg dazu. Kein anderer Track auf "Virtual Reality" erreicht dieses Format im Folgenden, aber die Qualität des Songwritings schießt nichtsdestotrotz noch ein paar Mal in Höhen, für die ein ebenfalls in Grundzügen vergleichbarer, durchaus respektabler Akt wie Dice seine Goldfische töten würde. Das achtminütige, streckenweise Pink Floyd-kompatible "Reality" beispielsweise lebt von seinem Wechselspiel aus funkigen Vibes und unglaublich elegischem Gesang (ein ähnliches Phänomen gab es seinerzeit schon einmal im "Mindsong" von Psychotic Waltz auf "Mosquito" zu bewundern, und hier funktioniert es genauso gut). Die Stimme von Christian Külbs ist weich und vergleichsweise hoch, aber fast nie (zu Ausnahmen an späterer Stelle) penetrant, und immer voller Seele. Selbst die beiden Härtnertracks des Albums, "Run" und "Unreal", die einen feisten Heavy-Touch bis hin zu beinahe Metal-mäßiger Gitarrenarbeit (zweiterer) aufweisen, sind zu keinem Moment wirklich aggressiv, wenngleich energetisch, was auch unmittelbar der Tatsache zuzuschreiben ist, dass die Gitarren von Jürgen Kaletta im Endmix etwas untergegangen sind und deutlich hinter den omnipräsenten Gesang und die vielfältigen, stets atmosphärischen Synthie-/Keyboard-Spielereien von Jürgen Mossgraber zurücktreten. Macht aber insofern nix, als dass die wenigsten Songs auf "Virtual Reality" auf ein fettes Gitarrenbrett angewiesen sind und Kaletta in vielen Fällen reine Harmonie- oder Rhythmusfunktionen wahrnimmt. Die lose verstreuten Soli sind allerdings ein Ohrenschmaus, völlig frei von Frickelambitionen und in ihrer beinahe plakativen, melodiösen, melancholischen Eingängigkeit die perfekte Ergänzung zu dem Gesang von Külbs. Und selbst wenn bei der Instrumental-Fraktion dann mal der Prog-Rocker durchbricht, dies insbesondere im Falle der Keyboard- und Rhythmusarbeit, bleibt die Band-typische Geradlinigkeit wundersamerweise völlig erhalten, man höre in den Mittelteil von "Fall From Here" oder das prinzipiell recht instrumentallastige, tolle "Time Went Backwards" hinein. Nachvollziehbarkeit und Stimmung stehen hier an erster Stelle und ein Banause ist der, der die vereinzelten Saxophon-Soli eines Gastmusikers als kitschig zu bezeichnen wagt. Insofern ist alles im mehr als grünen Bereich. Was mir auch nach dem zehnten, elften Hördurchlauf noch nicht so vollständig mundet, ist eine gewisse Chorus-Schwäche, die sich besonders im hinteren Teil des Albums abzeichnet. Das seiner Titulierung gemäß ziemlich abgespacte, dem Album seinen Namen gebende "Virtual Reality" baut mit Samples, tollen Soloparts und dezenten Effekten auf dem Gesang eine beklemmende Stimmung auf, die durch den poppigen Chorus, in dem der hohe Gesang dann doch penetrant wird, völlig ad absurdum geführt wird. Hier fühlt man sich als Hörer so herausgerissen, dass der Refrain eher nervt als der Songwirkung zuträglich ist. Dasselbe Phänomen betrifft den im Großen und Ganzen sehr einfachen Closer "Encourage Me", der eigentlich nach dreieinhalb Minuten beendet sein müsste, allerdings noch beinahe bis zur siebenten Minute ohne Gesang fortfährt, ohne dass viel passiert, bevor eine überflüssige Refrainwiederholung dem Ganzen ein Ende bereitet. Derselbe Nerveffekt tritt auch hier ein, während er sich bei Numero acht, "Break Out", m.E. der komprimierte Schwachpunkt der Platte, durch den ganzen Song zieht - einem Song, der mehr nach Mainstream-Rock, vergleichbar etwa mit Reamonn, klingt als alles andere, was auf "Virtual Reality" zu finden ist. Man verstehe mich nicht falsch, diese Ambitionen sind legitim, aber hier noch nicht flüssig in die Gesamtstimmung eingearbeitet, welche das Album entwirft. (Hinzugefügt muss aber sicherlich werden, dass jemand, der dem beschriebenen radioträchtigen Sound nicht ohnehin schon mit kritischer Haltung gegenübertritt, wie es etwa bei Rezensenten der Fall ist, dieses Problem als nicht gravierend empfinden dürfte.) Arilyn zeigen sehr deutlich das Bestreben, nicht nur einem eingefleischten Prog-Publikum zu gefallen. Dieses Bestreben findet seinen Ausdruck in einem grandiosen Bindeglied zwischen eben dem Szene- und dem nicht Szene-gemäßen Musizieren wie eben "Chaos", in den Randzonen gibt es aber m.E. noch ein paar Leerstellen, was den Blick von der Basis (Artrock) nach außen (Poppigkeit) betrifft. Aber das ist bereits Haarspalterei. Der Ansatz von Arilyn ist bemerkenswert und das Resultat überzeugt, funktioniert, nimmt mit. Ganz ehrlich und beinahe ungetrübt lege ich dieses Album jedem, der es anspruchsvoll und eingängig, rockig und ruhig zugleich mag, wärmstens ans Herz.
Und passend zur emotionalen Musik hat die Band auch einen Hang zu gefühlsträchtigen Texten. "Virtual Reality" beschreibt das Empfinden, aus dem Takt gekommen zu sein, aus dem Fluss der Welt zu fallen. Entfremdung, Abkapselung, Realitätsverzerrung sind die Folgen, der Grund oft genug: das geliebte Geschlecht. Liebe als Selbstaufgabe und Selbstverlust als Realitätverlust, so der Gipfel der Arilynschen Phänomenologie der virtuellen Realitätsaufnahme im Titeltrack (dies ausgesagt mittels der freilich beschränkten interpretativen Kraft des Rezensenten). "Encourage Me" beendet die schwermütige Reise mit dem Ausblick auf einen rettenden, stabilen Anker in einer komplizierter werdenden Welt. Ein versöhnlicher Ausklang eines Quasi-Konzeptalbums, dessen einzigen aus der Reihe tretenden Track "Time Wents Backwards" darstellt, eine großartige Hymne auf den Frieden, getextet von Mossgraber, mit der zentralen Aussage: Ich möchte die Zeit zurückdrehen bis zu dem Punkt, an dem ein Mensch seine Faust gegen den anderen erhoben hat. Da komme ich mit.
Kontakt: quiXote-music, Brentanoweg 1, 69126 Heidelberg, Germany; www.Arilyn.de; www.quiXote-music.de

Tracklist:
1. Beta
2. Chaos
3. Rise'n'Sorrow
4. Reality
5. Run
6. Fall From Here
7. Unreal
8. Break Out
9. Time Went Backwards
10. Virtual Reality
11. Encourage Me



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