www.Crossover-agm.de ARIJA: Feniks
von rls

ARIJA: Feniks   (Eigenproduktion)

Einunddreißig Sekunden lassen Arija den Hörer im Unklaren, was die Ausrichtung ihres neuen Albums "Feniks" betrifft: Solche Keyboardeinsätze war man von Rußlands populärster Metalband bisher ganz und gar nicht gewohnt. Ab Sekunde 32 aber bricht sich typischer Melodic Metal mit Iron-Maiden-Einschlag Bahn und macht schnell klar, daß auch das elfte Studioalbum der Band keine grundsätzlichen Veränderungen im Sound erwarten lassen dürfte. Freilich bleibt ein kleines Aber, und das in doppelter Hinsicht. Zum einen gibt es diesmal in der Tat wesentlich mehr Keyboards zu hören als auf allen anderen Arija-Alben, wozu ob deren So-gut-wie-Keyboardfreiheit freilich schon geringe Dosen genügen, und die gibt es hier denn auch nur, zudem sinnvoll zur Erzielung bestimmter Effekte eingesetzt. Man höre nur mal das große Epos "Istorija Danowo Ubiizy" - dessen teilweise entrückte Passagen gewinnen durch den dort hinterlegten sanften Keyboardteppich deutlich an Reiz. Aber so markant wie in der ersten Strophe von "Tschornaja Legenda", wo ein Klavier einzelne Akzente setzt und zudem auch noch ein dezenter Keyboardteppich hinterlegt ist, haben Arija die Tasten noch nie eingesetzt, wobei die zweite Strophe allerdings zeigt, daß das Arrangement auch mit einer Gitarre funktionieren würde, wenngleich der Entrückungsfaktor der ersten Strophe noch größer ausfällt. Zum anderen haben Arija wieder mal einen neuen Sänger: Artur Berkut ist nicht mehr dabei, seinen Platz hat nun Michail Schitnjakow eingenommen, den Kenner vielleicht noch von Kurasch bzw. Gran-Kurasch (nicht mit der Frühneunziger-Band Kurasch zu verwechseln, sondern eine Gründung des 21. Jahrhunderts) her in Erinnerung haben, da es von selbiger Truppe auch schon mancherlei Tonzeugnisse gibt. Der Rezensent besitzt bisher kein Material von ihnen und kann den neuen Jungspund (Anfang 30) daher nur anhand der Leistung auf den vorliegenden 60 Minuten bewerten. Und da schneidet Schitnjakow durchaus gut ab - er erinnert im besten Sinne an seine beiden Vorgänger, hat aber im Gegensatz zu Berkut den Vorteil, daß er nicht direkter Nachfolger der Sangeslegende Waleri Kipelow ist und daher vielleicht nicht ständig an diesem gemessen werden wird. Freilich sind Alt-Band und Neu-Sänger mutig genug, gemeinsam auch gleich noch eine Scheibe mit neu eingespielten Bandklassikern vorzulegen, die dem Rezensenten allerdings auch noch nicht vorliegt, so daß er noch nicht beurteilen kann, wie sich Schitnjakow mit dem alten Material schlägt. Im neuen jedenfalls macht er eine gute Figur und erinnert von der Stimmfärbung her stark genug an Kipelow und Berkut, daß er nicht allein aus diesem Grund von den Anhängern abgelehnt würde. Freilich könnte auch er nichts ausrichten, wenn ihm die Songwritingfraktion nichts Großes vorgesetzt hätte. In dieser Hinsicht fördert die Analyse von "Feniks" doch mancherlei interessanten Fakt zutage. Wer etwa auf einen derartigen Energieschub gehofft hatte, daß ein später Klassiker wie Berkuts Einstiegsalbum "Krestschenije Ognjom" herauskommt, der dürfte eher enttäuscht zurückbleiben, zumal die Band keinen zupackenden Opener wie damals "Patriot" geschrieben hat - ein solcher Feger ist unter den zehn neuen Songs jedenfalls komplett abwesend. Das soll nicht bedeuten, "Tschornyi Kwadrat" sei schlecht - der Song macht schon Tempo und überzeugt mit Spielfreude, aber ganz von der Straße schiebt er den Hörer eben doch nicht. Das bleibt dem strahlenden Highlight des Albums vorbehalten, nämlich dem bereits erwähnten sechseinhalbminütigen "Istorija Danowo Ubiizy", das entrückte Instrumentalpassagen mit zupackenden Powerelementen so koppelt, daß ein Ganzes heruaskommt, welches deutlich größer ist als die Summe seiner Teile. Die Ernüchterung folgt freilich mit "Tschornaja Legenda" auf dem Fuße - zwar funktioniert die erste Songhälfte mit der beschriebenen Struktur problemlos, aber es wäre besser gewesen, den Song danach zu beenden und auf den eher Verwirrung stiftenden Mittelteil zu verzichten, den auch der hörbare Schlußteil nicht mehr wettmachen kann. Hier und da scheinen Arija schlicht und einfach zu viel zu wollen und verzetteln sich in den Windungen und Wendungen - das fällt auch in "Boi Bjes Prawil" auf, einem Fast-Siebenminüter mit vielen guten Elementen, aber auch einzelnen rhythmisch verschleppten Passagen, die sich auch nach etlichen Hördurchläufen nicht erschließen wollen. Wie prima Einfälle prima umgesetzt werden können, demonstriert der Mittelteil des Titeltracks, wo wieder mal das Keyboard zum Einsatz kommt und eine extrem eindrucksvolle plastische Ausgestaltung des sich erhebenden Phönix gelingt, deren ausgedehnte Gitarrenpassagen bisweilen wohlige Erinnerungen an die in Helloweens "Keeper Of The Seven Keys"-Titeltrack wachrufen, wohingegen die Melodik vieler Teile des musikalischen Rahmens, die balladeske Einleitung ausgenommen, aus der klassischen Maiden-Schule stammt und den Ruf Arijas als russische Antwort auf Iron Maiden wohl oder übel einmal mehr zementiert, wobei diese Aussage als Kompliment und nicht als Kritik zu verstehen ist - Cholstinin, Dubinin und ihre Mitstreiter sind lange genug im Geschäft, um zu wissen, wo die Grenze zwischen Inspiration und Kopismus liegt. "Feniks" ist übrigens verstärkt ein Dubinin-Album - von den ersten sechs Songs gehen gleich fünf auf das Konto des Bassisten und nur das verwirrte "Tschornaja Legenda" auf das des Gitarristen Cholstinin. Der reißt auch mit seinen noch folgenden beiden Beiträgen "Simfonija Ognja" (also keine Coverversion des brillanten Catharsis-Tracks) und "Dalnyi Swjet" (guter, aber unauffälliger zurückhaltender Melodic Metal an der Grenze zum Melodic Rock) keine Bäume aus, obwohl der interessant strukturierte Refrain der Feuersinfonie beweist, daß der Gitarrist nicht ganz im songwriterischen Formtief steckt. Aber man höre sich mal genau das halbakustische Break nach Minute 4 an - was hätte man da für eine sehnsuchtsvolle Gitarrenmelodie drüberlegen können, und was bekommt man für ein unentschlossen wirkendes Ergebnis geboten! Da wäre viel mehr drin gewesen, und es bleibt zu hoffen, daß sich der Bandälteste wieder aufrappelt. Wie das besser geht, zeigt sein Gitarrenkollege Sergej Popow im Intro von "Attila", seinem einzigen Beitrag für "Feniks", aber dafür einem richtig guten, einem midtempolastigen Epos mit viel Dramatik, bei dem man ihm auch gerne verzeiht, daß die Strophenriffs an irgendeinen Siebziger- oder Achtziger-Klassiker angelehnt sind, der dem Rezensenten gerade nicht einfallen will (dürfte irgendwas von Michael Schenker gewesen sein). Nicht sonderlich kompliziert, aber effektvoll inszeniert, weiß "Attila" trotz überschaubarer Tempovariationen über seine kompletten 7:56 Minuten hin zu überzeugen. Mit der keyboarddominierten schönen Ballade "Rekwiem", die den neuen Sänger nochmal in den Mittelpunkt stellt, endet eine Stunde gute bis sehr gute Musik, die aber die hohen Erwartungen nicht bis in den letzten Zipfel erfüllen kann. Freilich: Wer Arija bisher schon mochte, kann ohne vorherige Hörprobe zugreifen, und auch als Einstieg ins Schaffen der Band ist "Feniks" durchaus geeignet, da dieser Hörerkreis ja erstmal ohne definierte Erwartungen an die Scheibe herangehen wird. Vielleicht wachsen manche Songs mit zunehmender Hördurchlaufanzahl auch noch, aber vom derzeitigen Standpunkt aus bleibt der zusammenfaßbare Eindruck: Stark, aber nicht das Nonplusultra.
Kontakt: www.aria.ru

Tracklist:
Tschornyi Kwadrat
Rawnowesije Sil
Istorija Danowo Ubiizy
Tschornaja Legenda
Boi Bjes Prawii
Feniks
Simfonija Ognja
Attila
Dalnyi Swet
Rekwiem
 




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